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    "Die 
    Arbeitslosigkeit unter den Journalisten wird zunehmen" 
    
    
    
     
     
    INTERVIEW:  
    
     STEPHAN 
    LENHARDT 
    BILD: SÜDDEUTSCHE ZEITUNG 
     
     
    
    Hans Leyendecker hat sich 
    durch das Aufdecken zahlreicher Affären im investigativen Journalismus einen 
    Namen in der Republik gemacht. Die erste große Geschichte schrieb er 1982 
    für den Spiegel. Damals ging es um die  Flick-Affäre 
    und den Parteienspendenskandal. 
     
    Leyendecker, geboren im Mai 1949 in Brühl im 
    Rheinland, arbeitete ab 1979 für den Spiegel. 
    Zuerst als Landeskorrespondent in Düsseldorf, später als Büroleiter in Bonn. 
    1997 wechselte Leyendecker zur Süddeutschen Zeitung und ist heute Leitender 
    Politischer Redakteur. Leyendecker ist verheiratet, 
    hat fünf Kinder und vier Enkelkinder. 
     
    Im Münsteraner Schloss hielt er einen Vortrag zum Thema „Korruption in Gesellschaft und Journalismus“. 
    Am Rande des Vortrags hatte Die Gegenwart die 
    Möglichkeit, mit ihm über Ausbildung, „Lieblingsfeinde“ und die 
    Zukunft der Medien 
    zu sprechen. An einen Aufbruch 2004 glaubt Leyendecker nicht. 
     
    
    Scheint wirklich 
    eine Menge zu tun zu haben, der Herr Leyendecker. Schon 
    während des Vortrags sieht er unentwegt auf die Uhr des Hörsaals und 
    entschuldigt sich mehrfach für seinen Zeitmangel. Nach dem Vortrag geht’s im 
    Eilschritt zum nächsten Festnetz-Telefon. Der Hessische Rundfunk hat sich 
    zum Interview angemeldet. Bloß Leyendecker weiß noch nicht genau wann. Drei 
    Anrufe später sitzt er mir gegenüber. Einige Minuten bleiben noch. Na gut, 
    ich fasse mich kurz. Möchte ja nicht daran schuld sein, dass irgendwer in 
    Frankfurt ein Sendeloch produziert. Los geht´s ! 
     
    Herr 
    Leyendecker, wie war  Ihr Weg in den Journalismus? 
     
    Leyendecker: Mein Weg in den Journalismus war  klassisch: Schule, 
    Universität, Volontariat und dann angefangen. 
     
    Na ja. Ein bisschen mehr wollte ich schon wissen. Scheint er 
    auch zu wissen. Er wartet ja förmlich schon auf die Nachfrage. 
     
    Wo genau haben sie zu Beginn denn gearbeitet ? 
     
    Leyendecker: Ich habe 
    beim Stader Tageblatt angefangen, in Stade. Das hatte den Vorteil, 
    dass das eine 
    gute Lokalzeitung war und gleichzeitig ein 
    redaktioneller Mantel vorhanden war. Dann bin ich 
    freier Journalist in Bayern geworden, das war eine ziemliche Katastrophe, 
    weil es in Bayern viele Journalisten gab und ich war einfach nicht gut 
    genug, um zu bestehen. Danach bin ich zu einer Regionalzeitung, der 
    Westfälischen Rundschau in Dortmund. Dort habe ich Lokalredaktion gemacht, 
    Nachrichtenredaktion, war in der Politik und dann Reporter. Von der 
    Westfälischen Rundschau bin ich dann zum Spiegel gegangen, um dann zur Süddeutschen zu wechseln.
     
     
    Nicht gut genug, 
    um  zu bestehen? Scheint wohl doch etwas dran zu 
    sein, dass die unten in Bayern andere Maßstäbe ansetzen. Und wo  
    ist eigentlich Stade? Westlich von Hamburg offenbar, mit dem simplen Internetauftritt www.tageblatt.de. Da hat er aber auch einen 
    ziemlichen Sprung in der Republik gemacht. Weiter im Text! 
    
     
    Meinen Sie, dass es heute 
    schwieriger ist, im  Journalismus Fuß zu fassen als früher? 
     
     
    Leyendecker: Ich 
    glaube, heute ist es deutlich schwieriger 
    hinein zu
    kommen als früher. Die 
    Studierenden, die ich kennen lerne, sind oft deutlich besser auf den Beruf 
    vorbereitet, als wir es gewesen sind. Gleichzeitig haben Sie viel mehr 
    Schwierigkeiten, Tritt zu fassen. Aber es besteht noch ein Unterschied zu den 
    Berufseinsteigern von heute: Junge Journalisten sind häufiger bereit, heute 
    Geschichten so zu machen, wie ihre Vorgesetzen meinen, dass diese 
    Geschichten auszusehen haben. Das heißt: ihnen wird eine Geschichte 
    vorgegeben und die Recherche wird dann so gemacht, dass das Ergebnis am Ende 
    auch so aussieht. 
     
     
    Blick auf die Uhr. Noch massig Zeit. Da kann ich ja getrost noch mal 
    ausholen.  
     
    Herr Leyendecker, 
    Sie haben sich gerade im investigativen Journalismus einen Namen gemacht. 
    Was ist für sie das hauptsächliche Qualitätsmerkmal des
    guten Journalismus?
    
     
     
    Leyendecker: Der recherchierende 
    Journalismus ist ja nur ein Teil. Es gibt ja glänzende Reporter, gute 
    Meinungsjournalisten, gute Sportleute – der Sportjournalismus heute ist ja 
    viel besser, als er früher gewesen ist. Im 
    recherchierenden Journalismus ist das Ziel, Vorgänge öffentlich zugänglich 
    zu machen, die nicht öffentlich werden sollen. Und da die Hartnäckigkeit zu 
    haben, den Fleiß zu haben, auch den Erfindungsreichtum manchmal, um an den 
    Stoff zu herankommen und ihn dann so zu befördern, dass die Leute sich dafür 
    interessieren: das zeichnet den
    guten Journalisten 
    aus. 
     
    So, genug Allgemeines. Wollen wir doch noch mal etwas aus dem Leben des 
    H.L. hören. Noch bleibt ja Zeit. 
     
    Nun haben Sie 
    in ihrer Karriere einige Skandale aufgedeckt und sich dabei nicht immer nur 
    Freunde gemacht. Wer zählt denn zu ihren – sagen wir mal – Lieblingsgegnern? 
     
    
    Leyendecker: Andere betrachten mich mehr als Lieblingsgegner: Dr. Helmut 
    Kohl, da bin ich immer stolz drauf, hat mich sehr weit oben in seiner 
    Agenda. Er teilt die Welt immer ein in Gut und Böse, Freund und Feind. Ich 
    bin bei den Feinden merkwürdigerweise einer, der ...[stockt] Aber ich 
    würde es auch sehr vermissen, wenn er es nicht tun würde. Otto Graf 
    Lambsdorf gehört dazu, der mich tief in sein Herz geschlossen hat und eine 
    Reihe von Leuten, deren Lebensleistung ich auch sehr akzeptiere. Das gilt 
    gerade für Otto Graf Lambsdorf, der eine ganz erstaunliche Biografie hat und 
    eine tolle Lebensleistung hat. Aber er hat sich dazu entschlossen, dass ich 
    Feind bin – und dann ist es auch in Ordnung. 
     
     
    Wie gesagt, sie haben ja zahlreiche Affären aufgedeckt in 
    ihrer Karriere. Frustriert Sie das nicht irgendwann? 
     
    Leyendecker: Das Aufdecken ? [schaut 
    aufgesetzt verwirrt] 
     
    Herr 
    Leyendecker, bitte! Natürlich nicht das Aufdecken. Also 
    schön, 
    angesichts der Tatsache, dass ich den Leitenden Politischen Redakteur der 
    Süddeutschen Zeitung vor mir habe, sollte ich mich vielleicht um sprachliche 
    Eindeutigkeit bemühen. Aber es scheint ihm auch Spaß zu machen, meine Frage 
    zu redigieren. 
    
     
    Eher die Tatsache, dass sie so viele Affären auf zu 
    decken haben! 
     
    Leyendecker: Nein, ich 
    weiß ja, dass das nur ein Ausschnitt der Gesellschaft ist. Das meiste was 
    passiert, bekommt man sowieso nicht mit. Ich glaube auch, dass der Zorn, der 
    sich manchmal gegen recherchierende Journalisten richtet, auch damit 
    zusammen hängt, dass sie aus Sicht der Betroffenen  über Kleinigkeiten 
    schreiben, während die großen Dinge ganz anders noch abgelaufen sind. Wir 
    erahnen auch nur, wie Vorgänge sind und bringen sie auch zu keinem Ende, das 
    heißt wir brechen irgendwann die Recherchen ab. Wir sind ja keine 
    Historiker, die sich mit dem Stoff sehr viel länger beschäftigen. Und da 
    liegen die Unzulänglichkeiten und das nehmen die Betroffenen auch stark wahr 
    ! 
     
    Am Ende noch der gute Rat für alle, die in seine Fußstapfen treten 
    wollen.   
     
    Was ist ihr Tipp, 
    den sie den angehenden Journalisten bzw. Studierenden der Journalistik und 
    Kommunikationswissenschaft mitgeben können? 
     
    Leyendecker: Ja, was kann man 
    machen? Es ist eigentlich überall dasselbe: Wenn sie sich für den Beruf 
    begeistern – manche machen ja auch PR, das ist ein anderer Zweig – aber wenn 
    Sie sich für den journalistischen Zweig begeistern, muss man neugierig sein. 
    Man muss sich für Menschen interessieren, für strukturelle Fragen 
    interessieren und man muss fleißig sein. Wenn man das macht, ist das ein 
    wunderbarer Beruf. 
     
    "Schaffe, 
    schaffe – Häusle baue“ würden sie dazu im Süden wohl sagen. Obwohl das ist 
    dann doch eher schwäbisch. Und die Süddeutsche orientiert sich ja eher an 
    München. Oder warum findet der VfB Stuttgart im Vergleich zu den Bayern im 
    Sport kaum statt. Leyendecker wird’s egal sein. Er ist ja schließlich 
    Borussia Dortmund Fan. Ich schweife ab. Obwohl noch 
    Zeit bleibt. Na dann wollen wir doch mal sehen, ob Herr
    Leyendecker nicht mit den eigenen Waffen zu schlagen ist. Ganz im 
    Sinne des „Süddeutsche Zeitung Magazin“. 100 Fragen an Hans Leyendecker. Für 
    100 wird die Zeit dann wohl doch nicht genügen. Vier müssen reichen. 
    
    
     
    Kommen wir noch mal auf unser Thema „Aufbruch 2004“. Ich 
    nenne vier Fragen, Sie Antworten so schnell wie möglich. Nachdenken 
    verboten. Das kennen sie ja aus dem „Süddeutsche Zeitung Magazin“. 
     
     
    Leyendecker [grinst]: 
    Wird sicher schwierig werden... 
     
    
    Gerade hatte ich kurz das 
    Gefühl, ich könnte in seinen Gesicht den Satz lesen: „Witzig ist er ja...“ 
    Nicht beirren lassen. Das ziehe ich jetzt durch. 
     
    Aufbruch 2004 – Duales Rundfunksystem 2004. Müssen die
    Öffentlich-Rechtlichen 
    wirklich bangen ? 
     
    Leyendecker: Sie 
    müssen bangen, weil sie sich selbst kaputt machen. Sie haben sich den 
    Privaten soweit angenähert, dass man nicht mehr gut begründen kann, warum es 
    sie in dieser Gestalt gibt und warum sie öffentlich-rechtlich sein sollen. 
     
    Aufbruch 2004 – Süddeutsche Zeitung 2004. Wann kommt der 
    NRW-Teil zurück? 
     
    Leyendecker: Der 
    NRW-Teil kommt, fürchte ich, nie zurück. Die Ökonomische Krise ist so groß, 
    dass die Süddeutsche möglicherweise auch noch dünner werden wird. 
     
    Aufbruch 2004 – Arbeitsmarkt 2004. Wo bekommen 
    Journalisten noch Arbeit? 
     
    Leyendecker: Sehr 
    schwierige Frage. Die Arbeitslosigkeit unter den 
    Journalisten wird zunehmen. Es werden Blätter zumachen. Ich glaube, dass auch große 
    Blätter noch dicht machen werden. Der „Run“ auf die wenigen Stellen wird 
    größer sein. Gleichwohl kann man, wenn man sich Nischen sucht und sich 
    langsam in den Beruf rein arbeitet, überwintern, um dann in sechs Jahren 
    2010 den ganz großen Schlag zu landen. 
     
    Aufbruch 2004 - Jahreswechsel zu 2004. Müssen sie an Sylvester arbeiten? 
     
    Leyendecker: Nein.  
     
    Herr Leyendecker, 
    vielen Dank für das Gespräch. 
     
     
    Im Rausgehen fragt er mich noch, was ich denn werden wolle? Ob ich in die 
    PR gehen wolle oder in den Journalismus. Journalist wollte ich werden. 
    Vielleicht hätte ich die Frage zum Arbeitsmarkt doch nicht stellen sollen. 
    2010 bin ich immerhin schon 30.  
     
    
    
     ZUM 
    SEITENANFANG 
     
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    AUSGABE 35 
    SCHWERPUNKT AUFBRUCH 2004 
     
     
      
     
    
    STARTSEITE 
     
    
    EDITORIAL VON BJÖRN 
    BRÜCKERHOFF 
    INTERVIEW MIT HANS 
    LEYENDECKER 
    
    VIRTUELL EXISTIERENDER 
    SOZIALISMUS 
    INTERVIEW MIT HOLGER JUNG 
    EINEN VERSUCH WAR ES WERT 
    INTERVIEW MIT SEBASTIAN KRÜGER 
    
    LASST BARBIE UND KEN IM KARTON! 
    DIE VERTEIDIGUNG DER GESCHICHTE 
    VORAN, ZURÜCK? 
     
    
    
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