| 
     
    
      
     
     
    
    Die Elite fördert ihre Kinder 
     
    
    
     
    Text:
    
    
    Stephan Lenhardt 
     Bild: 
    ESJ 
    
    
     
    
    Die 
    l'Ecole Supérieure de Journalisme (ESJ) in Lille 
    ist Frankreichs erste Adresse  für die Journalistenausbildung. Die 
    Schule gehört den ehemaligen Absolventen:
    sie sorgen somit selbst für 
    ihren Nachwuchs. Wie in Frankreich an den „Grandes Ecoles“ üblich, 
    schafft es nur eine kleine Auswahl Studierender nach 
    harten Auswahlverfahren an die Schule. Im vergangenen Studienjahr waren es 
    an der EJS 94 angehende 
    Journalisten. Und damit bildet die Schule von den staatlich anerkannten 
    Schulen die meisten Studenten in Frankreich aus.  
     
    Die Gegenwart sprach mit dem Direktor der ESJ, Loïc Hervouet. Hervouet ist 
    natürlich selbst Absolvent der ESJ. Sein Lebenslauf ist, 
    kaum verwunderlich, beeindruckend: Er 
    arbeitete für Europe 1 als Reporter bei der Uno, als Chefredakteur einer 
    Zeitung auf Madagaskar, er war Lehrer an einer Journalismusschule und 
    Direktor verschiedener französischer Verlagsgruppen, bevor er 1998 Direktor 
    der ESJ wurde. Den Begriff „Elite“ vermeidet Hervouet. 
     
    Die Gegenwart: Fragt man in Frankreich nach der 
    Journalistenausbildung, so fällt zumeist der Name der Stadt Lille und nicht, 
    wie man als Ausländer vermuten würde, Paris. In Deutschland glaubt man, 
    alles drehe sich in Frankreich  um Paris. Wie kommt 
    ihre 
    Schule zu dem guten Ruf? 
     
    
    Loïc Hervouet: Unsere Schule ist 
    mit ihren 80 Jahren die 
    älteste der anerkannten Schulen. Aber das allein reicht 
    nicht. Die Generationen der Ehemaligen haben ihre Qualität bewiesen, sie 
    haben ihren Beruf weiterentwickelt und so ein Beispiel geschaffen. Die 
    Leitung und die Pädagogen der ESJ, gestärkt durch ihre Unabhängigkeit,  haben 
    eine „Misch“-Pädagogik entwickelt, die zur Referenz wurde. Unter permanenter 
    Beobachtung der Weiterentwicklungen in der Welt und des Berufsbildes hat 
    die ESJ auch eine internationale Auswahl entwickelt, indem sie auch 
    Ausländische Studenten anwirbt, aber gerade auch indem sie seit Jahren in 
    der Welt ein frankophones  Modell der Journalismusausbildung aufbaut: 
    in Bosnien, Ruanda, Haiti, in Afghanistan, in der Ukraine und im Irak. Die 
    ESJ hat Ehemalige in über hundert Ländern. In Lille, aber auch in Paris und 
    Montpellier, wo die ESJ lokale Zweigstellen hat, ist die ESJ die Schule in 
    Frankreich, die am meisten Studenten in Frankreich ausbildet, die am meisten 
    Journalisten weiterbildet und die die meisten internationalen Kooperationen 
    aufbaut. Sie unterhält zudem einen einmaligen spezialisierten 
    Dokumentations- und Bibliothekservice. Sie publiziert eine eigene 
    Forschungszeitschrift, die sich mit der Reflektion des Journalistenberufs 
    beschäftigt. Diese Zeitschrift ist ein Zentrales Organ aller Debatten über 
    den Journalismus in Frankreich.  
     
    Die Gegenwart: Frankreich gilt in Europa nach wie vor 
    als Paradebeispiel der Elitenförderung. Im ganzen Land werden an den 
    „Grandes Ecoles“ die besten Studenten ausgesucht und gezielt gefördert. 
    Absolventen der Grandes Ecoles stehen zumeist im Berufsleben alle Türen 
    offen. Bezeichnet sich die ESJ selbst als Elite-Schule für Journalisten in 
    Frankreich?  
     
    
    Hervouet: 
    Wir lehnen 
     
    den Elitebegriff gänzlich ab.  Was uns nicht daran hindert zu versuchen, die 
    Besten in Sachen Journalistenausbildung zu sein.  Aber gerade das erfordert 
    sowohl einen großen Ehrgeiz, als auch Bescheidenheit.  Wir 
    wollen Studenten unterschiedlicher Profile  rekrutieren, außerhalb "der 
    studentischen Elite" oder der, die sich dafür hält. Wir 
    wollen Journalisten für alle Funktionen, alle Rollen und alle Medien ausbilden.  
    Das erfordert Vielfalt in der Auswahl,  in 
    den Studiengängen und in den Bildungsinhalten.  Wir sind die einzige Schule, 
    die unterschiedliche Niveaus der Selektion und unterschiedliche 
    Ausbildungswege anbietet.  Wir sind entschieden gegen 
    eine 
    "Backform der Vorzüglichkeit", die gleichzeitig die künftigen Politiker 
    oder die 
    künftigen Wirtschaftexperten ausbildet. Und natürlich 
    auch die Informanten. Diese müssen vor gefährlichen Einflüssen und Verbindungen geschützt werden. 
    Der Journalist ist im Dienst der Öffentlichkeit, er darf nicht das komplizenhafte Echo der „Regierungselite“ sein, was leider noch immer viel 
    zu häufig vorkommt.  
     
    Die Gegenwart: Welche Voraussetzungen muss man 
    erfüllen, um Student an ihrer Schule zu werden? 
     
    
    Hervouet: 
    Unsere 
    Rekrutierungs-Wettbewerbe überstehen. Für den Hauptstudiengang ist das 
    an der Einschreibung erforderliche Niveau Abitur plus drei Jahre, das 
    heißt 180 ECTS-Kredite in europäischer Sprache. Von 800 bis 900 Kandidaten 
    werden etwa 50 Franzosen jedes Jahr ausgewählt. Hinzu kommen die 
    Ausländer, die in Rekrutierungsveranstaltungen auf allen 
    Kontinenten gewonnen werden konnten.  Darunter sind auch von Zeit von Zeit  deutsche 
    Studenten.  Für den wissenschaftlichen Studiengang 
    ist das Wettbewerbsniveau „bac+4“ entscheidend, 
    also 240 ECTS-Kredits.  
     
    Die Gegenwart: 
    Welche Vorteile 
    hat ein Absolvent ihrer Schule gegenüber 
    dem Studenten einer „normalen“ 
    Universität? Was können Studenten von ihrer Schule erwarten, 
    dass sie woanders nicht bekommen? 
     
     
    
    Hervouet: 
    Ich verkenne nicht 
    die Qualitäten der Universität.  Aber lang hat sie nicht an 
    die praktische Vermittlungsfähigkeit des Journalismus geglaubt. Die Auffassung, die die Fachleute gehabt haben, 
    ist, dass man einerseits dort die professionelle Praxis zugunsten 
    spekulativer Debatten über die Soziologie der Medien vernachlässige und 
    andererseits vermische man 
    – wie heute noch oft  
    
    – die Ausbildung der Kommunikation und 
    die der Information.  Der Journalismus ist ein spezifisches Handwerk.  
    Wir glauben, dass man innerhalb einer praktischen Ausbildung
    sowohl professionelle Techniken lernen kann und 
    gleichzeitig den kritischen Umgang mit diesen Techniken. Und man kann das subtile Gleichgewicht 
    zwischen Theorie und Praxis, Reflektion und Aktion halten.  Zweifellos wegen 
    dieser Konzeption, die mit der Zeit etabliert wurde, haben die  privaten Journalismusschulen, allen voran die ESJ, historisch die 
    engsten Verbindungen mit dem Beruf und seinen verschiedenen Akteuren 
    geknüpft.  Sie verfügen über die notwendigen Werkzeuge, eine solche 
    Konzeption zu verwirklichen. 
     
    Die Gegenwart: 
    Wo 
    finden ihre Absolventen nach der Schule Arbeit? 
     
    
    Hervouet: 
    Das ESJ 
    hat ehemalige Schüler in allen großen und kleinen 
    Medien in Frankreich und im Ausland – im Print-, Hörfunk- 
    und Fernsehbereich.  Durch 
    den Ruf und durch das Netzwerk der Ehemaligen
    ist das Diplom des ESJ in der Tat der sicherste Pass, um in 
    die Medien zu gelangen. Die Schule sorgt dafür, dass ihre 
    Studenten auch außerhalb der traditionellen Kreisläufe Fuß fassen.
    Danach liegt es an jedem selbst, sich zu bewähren 
    und seine Karriere zu gestalten.  Wir glauben 
    nicht, dass ein Journalist in Paris notwendigerweise ein besserer Journalist 
    ist, als ein Journalist, der seinen Beruf in Provinz ausübt.  Es gibt nicht 
    großen oder kleinen Journalismus. Es gibt nur gute oder schlechte 
    Journalisten. 
     
     
    Die Gegenwart: Ein Studienjahr an der ESJ kostet den 
    Studenten 3.500 Euro Studiengebühren. Ist der Aufstieg in die journalistische 
    Elite nicht auch eine Kostenfrage?  
     
    
    Hervouet: 
    Die Summe der 
    Schulgelder deckt nicht mal ein Viertel der Einnahmen der Schule und kaum 
    ein Fünftel der tatsächlichen Kosten der Ausbildung pro Student.  
    In Wirklichkeit wird jeder Student für mehr als 15.000 Euro "subventioniert".  Es 
    ist der Preis für die Qualität eines Unterrichts und eines individuellen 
    Rahmens für jeden Studenten.  Wir bieten Stipendien 
    von mehr als 
    45.000 Euro jedes Jahr und wir garantieren jedem Studenten ein 
    Sommerpraktikum, welches  annähernd so hoch wie seine Studiengebühren 
    entlohnt wird.  Die wahre soziale Schwierigkeit ist,  das Niveau 
    der höheren Studiengänge zu 
    erreichen. Es sind die drei 
    Jahre vor diesem höheren Studium, die die Familien am meisten kosten. 
    Deshalb haben wir einen Vorgang gestartet, der mit dem Abschluss der 
    „sekundäre Studiengänge“ insbesondere in den Kreisen der Einwanderer 
    geeignete journalistische Kandidaten herausfiltert, um ihren Weg zu 
    vereinfachen und ihre Ausbildung zu erleichtern. 
     
    Die Gegenwart: An ihrer Schule wurden 2003/2004 94 
    Studenten ausgebildet. Sind sie der Meinung, dass
    sich durch bestimmte Auswahlverfahren  an 
    ihrer Schule die talentiertesten Jungjournalisten rekrutieren 
    lassen? 
     
    
    Hervouet: Wir 
    halten nicht viel vom Begriff „Talent“ in Bezug auf Journalisten. 
    Das ist ein 
    Begriff  aus dem Showbusiness, 
    er klingt nach Spektakel. Wir ziehen es vor, über 
    Eignung zu sprechen und unter diesem Gesichtspunkt versuchen unsere 
    verschiedenen Auswahl-Wettbewerbe, bei den jungen Kandidaten mehr als ihre 
    Übereinstimmung mit den sozialen Codes einer kulturellen Klasse zu messen – 
    nämlich ihre Eignung für das Handwerk:  Wissbegierde, Strenge, 
    Geschwindigkeit, Allgemeinbildung, Originalität und Kreativität.  Dies 
    wird durch eine Reihe von spezifischen Prüfungen festgestellt, die seit 80 
    Jahren immer wieder angepasst wurden, und die drei Tage 
    dauern. 
     
    Die Gegenwart: In Deutschland stehen an den privaten 
    Journalistenschulen den wenigen freien Plätzen immer Unmengen Bewerber 
    gegenüber. Um ansonsten in den Medien zu arbeiten, bedarf es eines 
    Hochschulabschlusses, praktischer Erfahrung und nach Möglichkeit gute 
    Kontakte. Bietet dies auch die ESJ?  
     
    
    Hervouet: 
    Die zwölf 
    französischen Journalismusschulen, die sowohl vom Bildungs- und Schulwesen, 
    als auch durch die Wirtschaft anerkannt wurden, bringen jedes Jahr
    zwischen 600 und 700 neue Journalisten auf den 
    Arbeitsmarkt. Die Zahl neuer Pressekarten erreicht im Durchschnitt 
    die 2.000er Marke 
    jedes Jahr.  Selbst wenn wir denken, dass der Beruf offen für alle bleiben 
    muss, gibt es also Plätze für andere Diplomierte 
    – 
    unter der Bedingung, dass 
    die Unternehmen die Qualitätsauswahl treffen und dass sie die Mittel haben, 
    die Leute zu rekrutieren und sie angemessen zu bezahlen.  Dies ist nicht immer der 
    Fall, und immer häufiger müssen unsere jungen Ehemaligen lange Perioden der 
    freien Mitarbeit akzeptieren, 
    bevor sie einen festen Arbeitsplatz finden.  
    Wir bereiten sie auf diesen Status und auf diese Art von 
    Journalismus vor.   | 
    
    AUSGABE 43 
    DIE ALLTÄGLICHE ELITE 
     
     
      
     
    
    STARTSEITE 
     
    EDITORIAL VON BJÖRN 
    BRÜCKERHOFF 
    IM SCHLARAFFENLAND DER ÄSTHETIK 
    
    WIE 
    PINGUINE AUF DEM LAND 
    PULITZERS ELITE 
    MOHNS ERBEN IM GEISTE 
    DIE ELITE FÖRDERT IHRE KINDER 
    
    
    BILDUNGSEINRICHTUNGEN AUFMISCHEN 
    
    ZWISCHEN SPRACHEXIL UND HEADLINE 
    WO DER STUDENT ZUR ELITE 
    GEHÖRT  
    ELITE AUF BAYERISCH 
    DAS GESPENST DER ELITE 
    
     
    
    ALLE AUSGABEN IM ARCHIV 
    DIE GEGENWART IN STICHWORTEN 
    ÜBER DAS MAGAZIN 
    IMPRESSUM 
     
    
    
      
    
    
     
    
    
    
    
    
    
     
    
    
      |