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    Wie Pinguine auf dem Land 
     
    
    
     
    Text:
    
    
    Hendrik Steinkuhl
     Bild: 
    Photocase.de 
    
    
     
    
    
    
    Der gelernte Lehrer und ehemalige Medienjournalist Bernd Gäbler war bis Ende 
    letzten Jahres Geschäftsführer des Adolf Grimme Instituts 
    in Marl. Seinen 
    auslaufenden Vertrag wollte der 52-Jährige nicht mehr verlängern, da er das 
    Verhältnis zum Aufsichtsrat als „zerrüttet“ betrachtete. In seiner Funktion 
    als oberster Repräsentant des renommierten deutschen Fernsehpreises hat 
    Gäbler immer wieder für bessere Qualität im Fernsehen geworben und dieses 
    Ansinnen wie keiner seiner Vorgänger offensiv in den Medien vertreten.  
    
    
     
    
    
    Die Gegenwart: Herr Gäbler, als im vorletzten Jahr Harald Schmidt das Ende 
    seiner Sat1-Show verkündete, beklagten viele Feuilletonisten das Ende der 
    Intellektualität im deutschen Fernsehen. Hat diese ihren ersten großen Tod 
    nicht um die Jahreswende 1997/1998 gestorben, als ARD und ZDF in kurzem 
    Abstand Friedrich Küppersbuschs „Privatfernsehen“ und „Willemsens Woche“ 
    eingestellt haben?  
    
    
     
    
    
    
    Bernd Gäbler: Beides habe ich bedauert. Beide waren und sind sicherlich 
    intelligente Moderatoren, dennoch halte ich diese Verallgemeinerung für zu 
    hoch gegriffen. Ich persönlich fand „Privatfernsehen“ von Friedrich 
    Küppersbusch ja auch nie ganz so gut wie „ZAK“. Richtig ist, dass ARD und 
    ZDF heute durch ihre Talk-Schienen einen festen Querriegel im Programm 
    sitzen haben und alles zutalken. Da ist wenig Platz für besondere Programme. 
    Insofern ist es bedauerlich, dass es Küppersbusch und Willemsen nicht mehr 
    im „on“ im Fernsehen gibt. 
     
    
    
    Die Gegenwart: Die Diskussion um Eliten ist in Deutschland in vollem Gange, 
    angeführt von dem Gerede um Elite-Universitäten. SWR-Intendant Peter Voß hat 
    nun kürzlich in einem Interview mit der Frankfurter Rundschau davon 
    gesprochen, das Programm seines Senders könne auf keinen Fall nur aus
    Elitefernsehen bestehen. Was halten Sie von diesem Begriff?  
    
    
     
    
    Gäbler: Zunächst einmal ist diese Diskussion ja aufgekommen, weil 
    Harald Schmidt in der Rückschau nach seinem Weggang von Sat1 ironisch den 
    Begriff Unterschichtfernsehen benutzt hat. Das geht auf Paul Nolte 
    zurück, der in einer ernst gemeinten Schrift konstatiert hat, dass sich die 
    Unterschichten durch schlechtes Fernsehen und schlechtes Essen auszeichnen. 
    Da ist etwas dran. Es gibt eine sozial bedingte typische Form der 
    Mediennutzung und der Körperorganisation. Das heißt aber keineswegs, dass 
    Menschen mit höherem Bildungsgrad nur Sendungen mit Niveau anschauen. Der 
    Domino-Day bei RTL hatte früher zum Beispiel in der Zuschauerstatistik stets 
    einen überdurchschnittlichen hohen Akademikeranteil.
    So wie ich das Gerede von Elite-Universitäten für einen misslungenen 
    Reklamegag der Bundesregierung halte, an dem im realen Leben nichts dran 
    ist, gibt es auch kein Elitefernsehen. 
    
    
     
    
    
    Die Gegenwart: Würden Sie den Begriff Elitefernsehen denn für eine 
    bestimmte Art von Sendungen zulassen, oder wie würden Sie Formate wie etwa 
    das „Philosophische Quartett“ im ZDF nennen? 
    
     
     
    
     
    
    Gäbler: Also: Elitefernsehen – das gibt es nicht! Es gibt lediglich 
    den Versuch, einige Sendungen besonders anspruchsvoll zu machen. Die sollen 
    möglichst attraktiv sein auch für belesene Zuschauer. Dabei gibt es 
    Unterschiede: man kann dies durch besondere filmische Qualität machen, was 
    leider zu selten geschieht, oder dadurch, dass man ein paar Professoren aufs 
    Sofa setzt. Da besteht immer die Gefahr, etwas herzustellen, was dem Medium 
    Fernsehen doch äußerlich bleibt. Peter Sloterdijk und Rüdiger Safranski [die 
    Moderatoren der Sendung] wirken dann bestenfalls wie Pinguine auf dem Land – 
    sie können zwar gehen, aber im Wasser des Hörsaals fühlen sie sich doch 
    wohler.    
    
    
     
     
    
    
    Die Gegenwart: Auf mich wirkt es manchmal wie ein gefilmtes Oberseminar. 
     
    
    
    
    Gäbler: Ja genau – ein Oberseminar, in dem man übt, im richtigen 
    Moment in die Kamera zu schauen. So löblich solche Versuche sind, 
    gelegentlich wäre da ein geübter, kluger Fernsehmann, der im richtigen 
    Moment die Zügel strafft, sicherlich ein Gewinn.   
    
    
     
     
    
    
    Die Gegenwart: Ist das beste Beispiel für einen solchen intelligenten 
    Fernsehmann Gerd Scobel, der Moderator von „Kulturzeit“?  
    
    
     
    
    
    
    Gäbler: Gerd Scobel ist ein gutes Beispiel. Er liefert Moderationen, 
    die inhaltlich weit intelligenter sind als der Fernsehdurchschnitt. Oft 
    konfrontiert er auch das Publikum mit offenen Fragen – das wagt kaum noch 
    jemand. Die Sendung „Kulturzeit“ muss meines Erachtens aber nicht unbedingt 
    ins Hauptprogramm, wenn man sie weiter redaktionell pflegt. Ich sehe sie 
    gerne und oft – fast wie eine Art Nachrichtensendung, die mehr Wert auf 
    gesellschaftliche Entwicklungen legt und weniger auf die 
    parteipolitisch-taktische Oberfläche. Sie könnte gelegentlich noch etwas 
    weniger erwartbar und korrekt sein. Aber sie ist für die deutsche 
    TV-Landschaft unbedingt eine Errungenschaft.   
    
    
     
     
    
    
    Die Gegenwart: Sie fänden es also nicht in Ordnung, wenn ARD und ZDF alles 
    Kulturelle und Anspruchsvolle irgendwann ganz zu Arte und 3sat abschieben 
    würden? 
    
     
     
    
    
    
    Gäbler: Um Gottes willen, natürlich nicht. Ich bin sogar insofern für 
    inhaltliche Eingriffe, dass ich zum Beispiel Quoten für Dokumentationen in 
    der Prime Time befürworte. Das heißt ja nicht, dass um 20.15 Uhr ein 
    Dokumentarfilm über die Entwicklung des Maoismus in Nepal ausgestrahlt 
    werden muss, aber warum darf denn zum Beispiel Lutz Hachmeisters „Schleyer – 
    eine deutsche Geschichte“ oder Thomas Schadts „Amok in der Schule“ erst ab 
    23 Uhr laufen? Ich zahle meine Gebühren doch auch dafür, dass sich ARD und 
    ZDF von RTL und Sat.1 unterscheiden.   
    
    
     
     
    
    
    Die Gegenwart: Was halten Sie von der These, dass durch die Ergebnisse der 
    Marktforschung das Fernsehpublikum völlig unterfordert wird. Gäbe es nicht 
    ständig Untersuchungen zum Rezeptionsverhalten der Zuschauer, gäbe es dann 
    nicht auch ein viel höherwertiges Fernsehen, an das sich das Publikum 
    einfach gewöhnen müsste? 
    
     
     
    
    
    
    Gäbler: In der BBC gilt eine Aussage von John Reith, einem der Gründer 
    des Senders, aus den fünfziger Jahren noch heute: „Wer sich rühmt, dem Volk 
    zu geben, wonach es verlangt, schafft eine fiktive Nachfrage nach niedrigen 
    Standards, die er dann befriedigt.“ Wer stets nur anbietet, was sicher 
    nachgefragt wird, wird stereotyp, unterschätzt sein Publikum. Selbst die 
    Marktforscher merken gelegentlich, wie sehr sie sich bei dieser 
    Milchmädchenrechnung ins eigene Fleisch schneiden. Sie gieren nach der 
    großen Zahl, verhindern es so aber, noch Interesse zu wecken.    
    
    
     
     
    
    
    Die Gegenwart: Man muss ihrer Meinung nach also antizyklisch vorgehen. 
     
    
    
    
    Gäbler: Ja genau. Das sehen wir im Moment an US-amerikanischen 
    TV-Serien. Sie sind unterhaltsam, spielen auch mit Klischees, weisen dennoch 
    oft viel differenziertere Charaktere auf als unsere Serien. Ob „Nip/Tuck“ oder „Desperate Housewives“ – diese Serien müssen bei uns nicht 
    unbedingt gleichermaßen funktionieren wie in den USA, sie zeigen aber eine 
    Tendenz auf, das Publikum nicht zu unterschätzen. Nicht zufällig sind diese 
    Serien im Bezahlfernsehen entwickelt worden.  
    
     
     
    
    
    
    
    Die Gegenwart: Vom Elitefernsehen haben wir uns ja inzwischen verabschiedet, 
    nennen wir es also vielleicht Bildungsbürgerfernsehen oder eben, wie 
    sie vorgeschlagen haben, den Versuch besonders anspruchsvoller Sendungen. 
    Was halten Sie dabei vom „nachtstudio“ im ZDF? 
    
     
     
    
    
    
    Gäbler: Ich selber bin dort immer gerne zu Gast und ich sehe das 
    Bemühen von Volker Panzer, intellektuelle Diskurse verständlich zu machen. 
    Es gibt eine ähnliche Problematik wie beim „Philosophischen Quartett“. Ob 
    eine Sendung gelingt, hängt hier meines Erachtens stark vom Thema ab. Ich 
    habe eine Sendung zum Vogelflug gesehen und auch eine zu „Dick und Doof“, 
    die beide sehr gelungen waren. Nur wenn vier Napoleon-Experten darüber 
    streiten, wer denn die bessere Biografie geschrieben habe, ist das meist 
    weniger erquicklich. Es hängt also von den Experten ab.  
    
    
     
     
    
    
    Die Gegenwart: Um nicht Fachidioten zu sagen. 
     
    
    Gäbler: Richtig. Es sollten ruhig Spezialisten sein, aber eben keine 
    Fachidioten. 
     
    
    
    
     
    
    
    Die Gegenwart: Und was halten Sie von den Formaten 
    von Alexander Kluge?  
    
    
     
    
    
    
    Gäbler: Alexander Kluge hat ja eine sehr spezifische Interview-Form 
    entwickelt, bei der man den Interviewer gelegentlich besser vernehmen kann 
    als den Interviewten. Das ist oft sehr anstrengend und sicher im 
    Programmumfeld von RTL oder Sat.1 ein Fremdkörper. Von Oskar Negt oder dem 
    Luhmann-Schüler Dirk Baecker habe ich aber auch schon tolle Sachen gehört, 
    dennoch scheint mir Kluge eigentlich klassisches Spartenfernsehen zu 
    produzieren.  
    
     
     
    
    
    Die Gegenwart: In einem kürzlich ausgestrahlten Porträt über Stefan Aust hat 
    dieser bekräftigt, dass ihm großes Misstrauen von Seiten der Redaktion 
    entgegenschlug, als er vom „Spiegel TV“ -Chef zum „Spiegel“ -Chefredakteur 
    wurde. Er sagte, die Vertreter des Bildungsmediums politische Zeitschrift 
    hätten den Fernsehmann einfach nicht ernst genommen. Kennen Sie als 
    ehemaliger Printredakteur diesen Standesdünkel? 
    
     
     
    
    
    
    Gäbler: Ja. Es gibt bei schreibenden Journalisten Vorbehalte gegenüber 
    dem Fernsehen, komplexe Sachverhalte nicht abbilden zu können. Da mischt 
    sich dann Dünkel mit berechtigter Kritik. Das Verhältnis zwischen Print und 
    TV hat sich beim politischen Journalismus aber meines Erachtens vor allem 
    dank Phoenix deutlich gebessert. Dort kommen viele schreibende Journalisten 
    zu Wort. Die Verachtung des Fernsehens ging natürlich immer mit dem Wunsch 
    einher, da doch bitte auch einmal vorzukommen.    
    
    
     
     
    
    
    Die Gegenwart: Ist Fernsehen ihrer Beobachtung nach eigentlich immer noch 
    Medium, dem in intellektuellen Kreisen eine Art Gossengeruch anhängt? 
    
     
     
    
    
    
    Gäbler: Ja, oft ist das auch berechtigt. Zu häufig aber schreiben 
    Leute in diesem Sinne kritisch ohne Detailkenntnis über das Fernsehen. Ich 
    beobachte, dass sich wieder mehr Menschen fast komplett vom Fernsehen 
    abwenden. Dennoch nutzen Oberstudienrats-Pauschalurteile  nichts.  
     
    
    
     
     
    
    
    Die Gegenwart: Was halten sie denn von solchen Menschen, die mit einem 
    gewissen Stolz verkünden „Ich gucke gar kein Fernsehen, ich brauche das 
    überhaupt nicht?“ 
    
     
     
    
    
    
    Gäbler: Solchen Leuten sage ich: Euch entgehen interessante Sachen. 
    Ich habe neulich im SWR zu einer halbwegs vernünftigen Zeit ein 
    wunderschönes Porträt von Hannah Arendt gesehen, auf 3sat lief ein Porträt 
    von Hubert Fichte. Das Fernsehen kann nicht nur Ereignisse prägend abbilden, 
    sondern auch zu Hintergründen intensive Bilder liefern. Deswegen finde ich 
    eine grundsätzliche   Verweigerungshaltung unproduktiv.   
    
    
     
     
    
    
    Die Gegenwart: Finden Sie es eigentlich vertretbar, wenn etwa in 
    anthroposophisch oder besonders intellektuell geprägten Haushalten Kinder 
    heute noch völlig ohne Fernsehen aufwachsen?   
    
     
     
    
    
    
    Gäbler: Das finde ich weltfremd. Kinder müssen lernen, mit diesem Medium – 
    so wie mit anderen Sachen auch – vernünftig umzugehen. Es ist sinnvoll, wenn 
    Eltern und Kinder einiges gemeinsam anschauen, aber total überwachen muss 
    man die Kinder auch nicht.   
    
     
     
    
    
    Die Gegenwart: Als Geschäftsführer des Grimme Instituts sind Sie in vielen 
    Fernsehsendungen wie wohl keiner ihrer Vorgänger als Forderer von Qualität 
    im Fernsehen und als Anwalt guter TV-Formate aufgetreten. Ihre Auftritte 
    waren so glaubhaft und überzeugend, dass man denken könnte, sie würden Ihnen 
    nach ihrem Rückzug als Geschäftsführer sehr fehlen. Ist dem so? 
    
     
     
    
    
    Gäbler: Mir fehlt nichts, denn ich denke durchaus noch dasselbe und vertrete 
    das auch. 
     
     
    
    
     
    
    
    Die Gegenwart: Aber nicht in dieser institutionalisierten Form.
    
    
     
     
    
    
    
    Bernd Gäbler: Das stimmt. Aber ich habe auch festgestellt, dass manche 
    Kritisierte einen mit Freude missverstanden haben: man wurde schon 
    angefeindet, wenn man zum Beispiel öffentlich-rechtliche Sender nur an ihren 
    eigentlichen Auftrag erinnerte. Insofern fühle ich mich jetzt auch 
    unbeschwerter.  
     
    
    
     
     
    
    
    Die Gegenwart: Womit beschäftigen Sie sich jetzt, nach Ihrem Rücktritt von 
    der Geschäftsführung des Grimme Instituts?  
    
    
     
    
    
    Gäbler: Ich arbeite 
    weiterhin publizistisch, schreibe Artikel, trete bei Veranstaltungen auf, 
    berate, helfe hier und da bei der Ausbildung, mache also eigentlich da 
    weiter, wo ich aufgehört habe.  
    
     
     
    
    Die 
    Gegenwart: Vielen Dank für das Gespräch.
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    AUSGABE 43 
    DIE ALLTÄGLICHE ELITE 
     
     
      
     
    
    STARTSEITE 
     
    EDITORIAL VON BJÖRN 
    BRÜCKERHOFF 
    IM SCHLARAFFENLAND DER ÄSTHETIK 
    
    WIE 
    PINGUINE AUF DEM LAND 
    
    
    PULITZERS ELITE 
    MOHNS ERBEN IM GEISTE 
    DIE ELITE FÖRDERT IHRE KINDER 
    BILDUNGSEINRICHTUNGEN AUFMISCHEN 
    
    ZWISCHEN SPRACHEXIL UND HEADLINE 
    WO DER STUDENT ZUR ELITE 
    GEHÖRT  
    ELITE AUF BAYERISCH 
    DAS GESPENST DER ELITE 
    
     
    
    ALLE AUSGABEN IM ARCHIV 
    DIE GEGENWART IN STICHWORTEN 
    ÜBER DAS MAGAZIN 
    IMPRESSUM 
     
    
    
      
    
    
     
    
    
    
    
    
    
     
    
    
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