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    Schöne neue 
    Medienwelt. Die Geschichte der Medienentwicklung zeigt, dass die 
    Durchsetzung neuer Medien maßgeblich von ihrem sozial-utopischen Potenzial 
    abhängt. Mobiler Kommunikation ist ein Freiheitsversprechen inhärent: 
    Freiheit von der Ortsgebundenheit direkter Kommunikation, Freiheit von 
    alltäglicher Nicht-Erreichbarkeit. In aktuellen Spielfilmen ist das 
    Mobiltelefon allerdings eher Medium der Überwachung und des Verrats, werden 
    die Schattenseiten mobilen Schicks thematisiert. 
     
    Mit Beginn des neuen Jahrtausend beginnt auch der Siegeszug des 
    Mobiltelefons: Weltweit wurden im Jahr 2005 mehr als zwei Milliarden 
    Mobilfunkanschlüsse gezählt, in Deutschland stieg die Anzahl in den letzten
    zehn Jahren von knapp fünf auf über 82 Millionen Anschlüsse 
    
    ( 1) 
    und übertrifft damit die Einwohnerzahl. Der Bremer Medienwissenschaftler 
    Andreas Hepp sieht in der steigenden Bedeutung des Mobiltelefons in Alltag 
    und Kultur einen Teil jenes großen sozialen Prozesses, den er als "mobile 
    Privatisierung" 
    
    ( 2)  
    bezeichnet. Alles ist in Bewegung. Sei es im Beruf, in der Partnerschaft 
    oder der Freizeit: Zu überwindende räumliche Distanzen nehmen zu, immer mehr 
    Menschen verbringen immer mehr Zeit unterwegs. Für den Einzelnen wird daher 
    die Möglichkeit in Bewegung kommunizieren zu können, auch an Nicht-Orten 
    erreichbar zu sein, immer wichtiger. Es kann also nicht verwundern, dass das 
    Mobiltelefon in den letzten Jahren einen immer häufigeren Auftritt im 
    Spielfilm hat, nicht mehr nur – wie noch in den frühen 1990ern als Attribut 
    der Yuppies und Geschäftsleute fungiert, sondern zu einem veritablen Element 
    im Handlungsaufbau avanciert.  
     
     Frank Costello 
    stirbt, weil sein Handy klingelt. Auf der Flucht glaubt sich Costello sicher 
    im Schutze der Dunkelheit. Doch sein Verfolger weiß, wie er ihn sichtbar 
    machen kann: Ein kurzer Anruf auf dem Mobiltelefon genügt und das Klingeln 
    macht den Paten der Bostoner Mafia schutzlos wie ein Reh auf der Lichtung. 
    Überhaupt avanciert das Mobiltelefon in Martin Scorceses The Departed zum 
    zentralen Handlungsträger. Es organisiert den diskreten Verrat. Und Costello 
    bleibt nicht das einzige Opfer mobiler Leichtsinnigkeit, auch sein 
    Counterpart Captain Queenan findet durchs Handy in die Falle gelockt den 
    Tod. 
     
     
     Es gibt kaum einen 
    Film, in dem nicht telefoniert wird. Doch was unterscheidet das Telefon in 
    seiner Bedeutung von anderen Requisiten? Der zentrale Unterschied liegt in 
    der kommunikativen Funktion des Telefons. Bereits in den 1990er Jahren hat 
    sich eine Forschergruppe unter Leitung des Kommunikationswissenschaftlers 
    Bernhard Debatin mit dem Telefon im Spielfilm beschäftigt und ist zu dem 
    Ergebnis gekommen, dass es vornehmlich der Thematisierung von Kommunikation 
    samt ihrer Fallstricke und Untiefen dient 
    
    ( 3). 
    Filmische Belege für diese These sind mittlerweile Legion. So listet die 
    Internet Movie Data Base (www.imdb.com) 
    309 Titel unter dem Schlagwort 'phone-call' und 209 unter 'phone-booth'. 
    Sucht man explizit nach Filmen, in denen Formen mobiler Kommunikation von 
    Bedeutung sind, kommt man sogar auf fast 1.000 Treffer. 
     
    Kurt Wallander 
    kommt noch einmal mit dem Schrecken davon, aber auch ihm wäre sein 
    Mobiltelefon fast zum Verhängnis geworden. Der schwedische Fernsehpolizist 
    nach den Romanen von Henning Mankell jagt in Die Brandmauer einen 
    gefährlichen Killer. Unversehens nimmt jener aber Wallander unter Feuer. Der 
    Jäger wird zum Gejagten, verschanzt sich, versteckt sich in einer 
    Industrienanlage. Als dann sein Handy klingelt, nimmt der Schütze ihn ins 
    Visier. 
     
    Lange Zeit dagegen 
    galt: Wer unterwegs ist, ist auch frei, unerreichbar. Frei von den Zwängen 
    des Alltags, frei von den normierenden Kräften sozialer Beobachtung. 
    Telefone gab es nur an festen Orten, nicht on the road. Das New Hollywood 
    Cinema der späten 1960er Jahre feierte diesen Mythos zum letzten Mal 
    ausgiebig. Bonnie & Clyde (Arthur Penn) und Easy Rider (Dennis 
    Hopper) sind in diesem Sinne Roadmovies einer telefonlosen Freiheitsutopie. 
    In Deutschland hatten zu dieser Zeit gerade einmal 50 Prozent aller 
    Haushalte einen Telefonanschluss. Heute ortet man Outlaws mittels GPS. Die 
    romantische Utopie des Auf-Der-Walz-Seins ist im Zeitalter mobiler 
    Kommunikation nicht länger aktuell.  
     
    Jessica Martins 
    wurde entführt. In Cellular gelingt es ihr trotz beschädigten Telefons noch 
    einen, vermutlich letzten Kontakt zur Außenwelt herzustellen – auf das Handy 
    des ihr völlig unbekannten Ryan. Legt Ryan auf, bricht die Verbindung im 
    Funkloch ab, scheint Jessica verloren. 
     
    Wer die totale 
    Überwachung fürchtet, der fürchtet vor allem die allgegenwärtige 
    Beobachtung, Orwells Diktum "Big Brother Is Watching You" ist heute mehr als 
    zwanzig Jahre nach dem vermeintliche Schicksalsjahr 1984 zur populären 
    Chiffre für diese Furcht geworden. Das Schreckensbild klassisch-moderner 
    Dystopien ist die panoptische Gesellschaft. Jeremy Bentham – zu seiner Zeit 
    als Sozialreformer bekannt – entwickelte im 19. Jahrhundert die Idee des 
    Panoptikums, eines architektonischen Konzepts, das die Rationalisierung der
     
    Überwachung gefährdeter wie gefährlicher Menschen zum Ziel hatte: "Sein 
    Prinzip ist bekannt: an der Peripherie ein ringförmiges Gebäude; in der 
    Mitte ein Turm, der von breiten Fenstern durchbrochen ist, welche sich nach 
    der Innenseite des Ringes öffnen; das Ringgebäude ist in Zellen unterteilt, 
    von denen jede durch die gesamte Tiefe des Gebäudes reicht; sie haben 
    jeweils zwei Fenster, eines nach innen [...] und eines nach außen. [...] Es 
    genügt demnach, einen Aufseher im Turm aufzustellen und in jeder Zelle einen 
    Irren, einen Kranken, einen Sträfling, einen Arbeiter oder einen Schüler 
    unterzubringen" 
    
    ( 4). 
    Der Regisseur Joel Schumacher realisiert in Phone Booth eine modere Variante 
    des Panoptikums: Die Telefonzelle. Als der Protagonist des Filmes Stu 
    Sheperd den Hörer einer Telefonzelle abhebt, droht ihm ein unbekannter 
    Teilnehmer am anderen Ende der Leitung mit seiner Tötung, sollte er 
    auflegen. Mit dem Mobiltelefon potenzieren sich die Möglichkeiten totaler 
    Überwachung und Kontrolle noch einmal. 
     
    Im 
    ZDF-Samstagskrimi Lutter erlebt der Manager Marco Seidel den Druck der 
    ständigen Erreichbarkeit. Als er seine Schulden nicht mehr begleichen kann, 
    erhält er Drohungen per SMS. Kontrolle durch Furcht. Auch wenn Seidel sich 
    entziehen will, den Schuldeneintreiber abwimmelt, die Nachrichten erreichen 
    ihn immer und überall. 
     
    Nicht nur die omnipräsenten Kameraaugen staatlicher wie privater 
    Sicherheitsagenturen haben die Überwachung ganzer Gesellschaften 
    perfektioniert. Gerade mobile Kommunikationstechnologien erlauben ein bisher 
    ungeahntes Maß an sozialer Kontrolle: Neben der Lokalisierung über GPS, der 
    Speicherung von Telefongesprächen und der Identifizierung einzelner Personen 
    in Menschenmengen durch einen gezielten Anruf ist der Druck, aus der 
    Potenzialität ständiger Erreichbarkeit auch Realität werden zu lassen, 
    enorm. Wer sein Handy abschaltet, macht sich verdächtig. Zum Schrecken des 
    Panoptikums hat sich eine erste Ahnung über die Möglichkeiten panakustischer 
    Beobachtung gesellt.  
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    Der 
    Autor 
    
     
    
      
     
     
    
    
    Andre Donk M. A. 
    
     
    
    
    Geboren 1981 in Oberhausen, 2001-2006 Studium der 
    Kommunikationswissenschaft, Politikwissenschaft und 
    Neueren und Neuesten Geschichte an der Universität Münster. Während des 
    Studiums studentische Hilfskraft und Tutor. Abschluss im Juli 2006 mit einer 
    Magisterarbeit zur Diskussion um die Auswirkungen digitaler Medien auf 
    soziale Erinnerung (‚Zwischen Verheißung und Verlust. Erinnerung im 
    digitalen Zeitalter. Ein kritischer Theorievergleich.’). Praktische 
    Erfahrungen in der Organisationskommunikation. Seit Oktober 2006 
    wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für 
    Kommunikationswissenschaft der Universität Münster. 
     
     
     
    Die 
    Illustratorin 
     
    
      
     
     
    
    Kristina Schneider 
     
    
    Kristina Schneider, geboren im April 1983, studiert seit 2002 in Münster 
    Kommunikationswissenschaft, Kunstgeschichte und 
    Germanistik und arbeitet als PR-Volontärin für skulptur projekte münster 07. 
    Neben der Theorie schlägt ihr Herz für spitze Minen, Federkiele und 
    Grafiktablette: Kristina Schneider arbeite frei als Illustratorin. Außerdem 
    hat sie praktische Erfahrung im Webdesign, Online- und Lokaljournalismus und 
    absolvierte 2006 in Auslandssemester am Institut für Publizistikwissenschaft 
    und Medienforschung der Universität Zürich.  |