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    Fiktiver Flashback ins 11. Jahrhundert:  
    
    Robert Jeremy Cole ist dazu berufen, Arzt zu werden. Der Protagonist in Noah 
    Gordons „Der Medicus“ muss dazu die beschwerliche und abenteuerliche Reise 
    quer durch den europäischen Kontinent bis in den Orient auf sich nehmen. Der 
    Erzählung nach studiert er arabische Heilkunst in Isfahan – eine Stadt im 
    heutigen Iran –, um nach einem bewegten Leben in seiner alten Heimat England 
    als Mediziner zu arbeiten. In der vor-aufklärerischen Zeit des Romanhelden 
    sind die wenigen verfügbaren und handgeschriebenen Medizinbücher Mangelware 
    und das darin dokumentierte Wissen in den Händen und Köpfen der wenigen auf 
    dem Erdball verteilten Lehrmeister. Wissensarbeit bestand für Bob Cole also 
    darin, sich physisch tausende Kilometer von A nach B zu bewegen, dabei 
    Schreib-, Sprach- und kulturelle Barrieren zu überwinden, um sich letzten 
    Endes das zu seiner Zeit verfügbare medizinische Wissen anzueignen. 
    Mobilität, egal ob per pedes, per Schiff oder mit der Pferdekutsche, wird 
    dem Wissbegierigen abverlangt, die Mobilität der Information ist an Raum, 
    Zeit und Personen gebunden.  
     
    Fastforward an 
    die Schwelle zum 20. Jahrhundert:  
    Die 
    Industrialisierung hat die westliche Welt verändert, das Leben und den 
    Zugang zu Information und Wissen beschleunigt. Mobilität wird durch die 
    physische Überwindung von Distanzen per Zug oder mit den ersten Automobilen 
    erheblich erleichtert. Elektrizität, Telegraphie, Telephonie und die frühen 
    elektronischen Massenmedien laufen der seit Gutenbergs Erfindung 
    dominierenden Leitmedien Zeitung und Buch an Aktualität und Schnelligkeit 
    den Rang ab. Endlich wird auch Information mobiler, die Wissensarbeit für 
    den Lernenden von der Überwindung physischer Distanzen zusehends entbunden. 
    Problem ist dennoch: Die Alphabetisierung erreicht noch lange nicht alle 
    Schichten. Zwar ist der Zugang zu Informationen über die Massenmedien sicher 
    gestellt. Wissensarbeit im Zyklus von Lehren, Lernen, der Erzeugung neuer 
    Erkenntnisse und deren Weitergabe bleibt aber weiterhin ein Exklusivgut, das 
    die Elfenbeintürme der Welt nur sehr dosiert verlässt. Dennoch: Durch die 
    zunehmende Unmittelbarkeit zwischen Ereignis und der Berichterstattung 
    darüber naht das Informationszeitalter heran – der Wechsel von 
    Informationsmangel zum Information Overload steht bevor. Die 
    Informationsflut beginnt über immer mehr und immer weiter verzweigte Kanäle 
    den Menschen entgegen zu schwappen. 
     
     
      
     
     
    Ein 
    Blick auf Realität gewordene Zukunftsvisionen:
     
    „As 
    we may think“ betitelt Vannevar Bush einen 1945 in der Zeitschrift „The 
    Atlantic Monthly“ erschienen Artikel. Darin beschreibt Bush – aus heutiger 
    Sicht einer der Pioniere des Computer- und Hypertextzeitalters – den so 
    genannten Memory Extender. Der Memex, Blaupause des ersten 
    elektro-mechanischen Analogrechners, ermöglicht es dem Nutzer über 
    unterschiedliche Input- und Outputschnittstellen wie Scanner, Mikrofilme, 
    Drucker und Displays Informationen und Daten aller Art nach individuellen 
    Bedürfnissen zu archivieren und abrufbar zu halten. Übrigens: Tagging und 
    Verlinkungen nach dem Hypertextprinzip waren in Bushs damaligen Überlegungen 
    bereits inklusive. Der Visionär ist sich schon vor über 60 Jahren sicher:
    „Ganz neue 
    Arten von Enzyklopädien werden entstehen, bereits versehen mit einem Netz 
    assoziativer Pfade, bereit, in den Memex eingebaut und dort erweitert zu 
    werden.“ Think Wikipedia!  
     
     
    
    Mobilität wird Mainstream: 
     
    Die massenhafte Anwendung computergestützter Wissensarbeit und das dadurch 
    verbesserte individuelle Wissensmanagement 
    entwickelte sich Hand in Hand mit der Verbreitung erschwinglicher Personal 
    Computer, des Internets als weltumspannende Infrastruktur sowie 
    flatrate-basierter Zugangs-möglichkeiten via Breitbandanschluss. Die 
    Konsequenz: Daten und die darin enthaltenen Informationen waren noch nie so 
    mobil wie heute. Sie schwirren in Echtzeit und in digitalisierter Form über 
    den extra-terrestrischen Clarke-Orbit und die submarinen Glasfasernetze 
    durch den Äther. Weltweite Daten-Mobilität ist nicht mehr nur Fiktion, 
    sondern inzwischen alltägliche Realität. Blackberries pushen E-Mails, Handys 
    roamen, es 
    
     twittert und bloggt in den digitalen Gassen. Wissen to go! 
    Wissensarbeit on the fly! 
     
     
     
    Massenkultur 
    meets Netzkultur: 
     
    Am Thron der durch die Massenmedien vermachteten öffentlichen Arena sägt 
    eine neue Generation von Wissensarbeitern, die mit Hilfe digitaler Werkzeuge 
    aus der Lethargie des konsumierenden couch-potatoes erwacht ist. Die 
    Massenkulturproduzenten bekommen Konkurrenz durch ein soziales peer-to-peer 
    Netzwerk von Wissensarbeitern. Diese setzen sich internet-öffentlich in 
    Szene, werden von anderen in Beziehung gesetzt, 
    konsumieren und produzieren einen neuen, an keinen physischen Ort gebundenen 
    – damit maximal mobilen – Kulturraum. Netz und Mensch im Remix, online und 
    offline! Folge: Die Abhängigkeit von Raum und Zeit sinkt, ein bisher nie da 
    gewesenes Reflexionswissen über die Welt als Ganzes emergiert – und zwar in 
    der Wechselbeziehung zwischen Menschen, die unter Einsatz von 
    Internettechnologien alte Kulturtechniken anwenden und neue erschaffen, 
    dabei Wissen kollaborativ erarbeiten, bündeln und mit der Gemeinschaft 
    teilen. Aber: Nur die wenigsten partizipieren im hochgehypten Mit-Mach-Web. 
    Fakt ist: Ein digitaler Wissensgraben durchfurcht die Wissensgesellschaft. 
    Gleichzeitig steigt die Abhängigkeit des Menschen von den technischen 
    Errungenschaften.  
     
    Höhlengleichnis 
    2.0:  
    Die 
    alt bekannten Informationsfilter beim Durchkämmen des analogen und digitalen 
    Rauschens wollen nicht mehr so recht greifen. Zum Glück gibt es Google! 
    Google Search, Google Maps, Google Docs, Google Sheets, Google Calendar, 
    Google Ads, Google Earth. Nach der Globalisierung also die Googleisierung 
    der Earth? Es ist doch so: Zwar hat der Mensch als Wissensarbeiter und mit 
    ihm auch Information in den letzten 100 Jahren eine nie da gewesene 
    Geschwindigkeit und Mobilität erlangt. Aber: Das Metawissen über die 
    Wissensarbeit und die dabei eingesetzten technischen Hilfsmittel selbst, ist 
    unter den geschilderten Bedingungen der globalisierten, vernetzten, 
    digitalisierten Wissensgesellschaft für die breite Masse weiterhin noch eine 
    große Unbekannte. Frei nach Platon: Die Googles dieser Welt projizieren 
    ihre Realität 2.0 an die virtuellen Höhlenwände. Die Gutgläubigen sind 
    gleichzeitig die Unwissenden, der (noch) kleine Rest bloggt sich zum 
    Beispiel an den Grasswurzeln der Netzkultur die Finger wund. Durch die 
    Wissensarbeiter der Netzkultur gelangt jedoch zusehends Licht in die 
    platonsche Höhle moderner Prägung. Inwiefern? Die Spezies des modernen 
    Wissensarbeiters nutzt Internettechnologien, denkt vernetzt, egozentrisch, 
    ist selbstreferentiell, agiert aber gleichzeitig immer mit dem Wissen, Teil 
    einer übergeordneten Struktur zu sein. Der Wissensarbeiter handelt in dieser 
    Struktur, erzeugt sie in seinem Handeln aber auch immer wieder neu. Der 
    Einzelne wird im vernetzten Kollektiv so zur Reproduktionseinheit des 
    Sozialen. Das soziale Netz erstreckt sich dabei online und offline, die 
    Unterscheidung in Cyber- und Realspace ist für den modernen Wissensarbeiter 
    eh obsolet. 
     
     
      
     
     
    Wissenschaft 
    schafft Metawissen:  
    Geht 
    man mit der Überzeugung konform, dass es die Funktion von Wissenschaft ist, 
    dem Gesellschaftssystem, dessen Teilsystemen und Mitgliedern Problemlösungen 
    und Handlungswissen zur Verfügung zu stellen, so gilt dies auch für die bis 
    hierhin beschriebenen Herausforderungen moderner mobilisierter 
    Wissensarbeit. Das hierzu notwendige Metawissen und die Vermittlung 
    entsprechender Kompetenzen, muss dann konsequenter Weise Teil des 
    Lehr-/Lernbetriebs sein. Woran genau das in weiten Teilen derzeit scheitert: 
    An den Hochschulen gibt es nur in einigen Fachgebieten wirklich moderne 
    Wissensarbeiter, Wissen wird frontal vorgelesen, referiert, selten 
    diskutiert. E-Learning-Angebote sind in weiten Teilen lediglich webbasierte 
    Distributionskanäle für multimedial angereicherte Lehrbuchinhalte. Was brach 
    liegt: Die Wissensarbeiter der Zukunft kommen an die Hochschulen bereits 
    voll ausgestattet mit Laptop, Smartphone, iPod, einem StudiVZ-Account, 
    manchmal sogar mit einem eigenen Blog aber auf jeden Fall mit dem Wissen 
    über die Allzweck-Zitierwaffe Wikipedia. 
     
    Wir nennen es 
    (Wissens-)Arbeit!  
    
    Wissensarbeiter der Zukunft brauchen wissen über die Nutzung von 
    Technologien, etwa Social Software, Tools also, die das individuelle mit dem 
    kollaborativen Wissensmanagement und die dabei Beteiligten vernetzen, den 
    Einzelnen als soziales Wesen nicht ausblenden, sondern involvieren. Hierzu 
    abschließend ein Szenario für die Hochschullehre: Adieu Referateseminar, 
    adieu Frontalunterricht. Sender und Empfänger, Lehrende und Lehrende 
    wechseln die Rollen, Diskussion steht im Fokus der Präsenzlehre. Ein Wiki 
    bildet die Ergebnisse ab, ist dynamisches Sammel- und Wachstumsorgan für das 
    gemeinsam erarbeitete Wissen. Blogs von Studierenden und Lehrenden zum Thema 
    betonen die persönlichen Sichtweisen und Meinungen, geben den Einzelnen eine 
    Leinwand für die eigene Identität, RSS aggregiert, bündelt. Social 
    Bookmarking und Tagging dokumentiert die Reisen in den Recherchepools der 
    Bibliotheken und Onlinedatenbanken, Präsentationen als Audio- und 
    Videopodcast für die Nachwelt, Sprechstunden auch als Instant Messaging. 
    Diese Form der Wissensarbeit braucht mobile Schnittstellen zwischen Mensch 
    und Technik. Life-long-Learning heißt nicht Life-long zur Uni fahren. Zugang 
    zu den webbasierten Wissensorten, seien es die eigenen oder die geteilten, 
    wird und muss in Zukunft wireless und always on geregelt sein.  
     
     
     
     
     
    
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    Der 
    Autor 
     
    
    
    Steffen Büffel (Jahrgang 1975) studierte 
    Medienwissenschaft und Linguistik an der Georgetown 
    University in Washington DC und der Universität Trier. Dort arbeitete er bis 
    2006 als wissenschaftlicher Mitarbeiter und Dozent im 
    Fach Medienwissenschaft, wo er neue didaktische Lehr-/Lernkonzepte unter 
    Verwendung von Social Software erfolgreich 
    entwickelte und erprobte. Heute arbeitet er freiberuflich
    als Wissenschaftler, Berater, Trainer und Publizist für
    Medienunternehmen und Agenturen in Deutschland und Europa. 
     
    Steffen Büffels Weblog:  
    
    
     Media 
    Ocean 
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