| 
     
    
    
      
     
     
     
    INTERVIEW 
    Bagdad zur Primetime 
     
    
    
    
    TEXT:  
    
     CLAUS HESSELING 
    BILD:
     TAGESSCHAU.DE 
     
    
    
     
    Bagdad im Frühjahr 2003: Zwischen Raketeneinschlägen, Kampfpanzern und 
    Sandstürmen liefert eine Schar von internationalen Journalisten aus dem 
    Irak Berichte direkt von der Front. Mehrere Hundert
    berichten aus dem mittlerweile berühmten Hotel 
    Palestine am Tigris, mindestens ebenso viele kämpfen sich als „embedded
    correspondents“ nach Bagdad vor. Für Christoph Maria Fröhder war es nicht der erste 
    Einsatz in Bagdad, 1991 berichtete er neben Peter Arnett von CNN als 
    einziger westlicher Reporter aus dem Irak. Die Gegenwart 
    sprach mit dem ARD-Sonderkorrespondenten. 
     
    Im Rückblick auf den Krieg im Irak – Wie beurteilen 
    Sie die Arbeit der Medien? 
     
    
    Fröhder: Wir 
    mussten alle Kompromisse machen, ganz massive Kompromisse. Wenn man in einer 
    Diktatur arbeitet, kann man einfach nicht so arbeiten, wie man es als 
    Journalist gelernt hat und von der journalistischen Ethik her soll. Diese 
    Kompromisse konnte man größer oder kleiner gestalten, es ist eine Frage des 
    Temperaments, des Durchsetzungsvermögens und – etwas großmäulig gesagt – des 
    bildungspolitischen Ansatzes. Für die, die wirklich willens waren, den 
    Zuschauern und Lesern möglichst viel über die Hintergründe mitzuteilen, dann 
    konnte man das sehr wohl, auch wenn man sich ab und zu mal mit der Zensur 
    gerauft hat. Man konnte aber, wenn man den Ansatz nicht hatte, ein relativ 
    zufriedenes Leben dort vor Ort führen, mit den Risiken leben, aber sich 
    nicht verrückt machen. 
     
    In Ihrem Buch schreiben Sie, manche Kollegen und Kolleginnen wären einfach 
    nach Bagdad gefahren und hätten sich die Faxe und E-Mails 
    von den Heimatredaktionen zuschicken lassen und die dann vorgelesen.  
     
    Fröhder:
    Das ist so gewesen, gar keine Frage. Das haben verschiedene gemacht. 
    Ich selber halte da gar nichts von – dafür braucht man keine Journalisten 
    vor Ort. Ich habe sehr gut mit der Form leben können, die zum Beispiel die 
    Tagesschau veranstaltet hat. Einerseits hat sie Beiträge und Bilder aus 
    unterschiedlichen Agenturen und Quellen zusammen geschnitten, um den 
    Kriegsverlauf des Tages nachzuzeichnen, und andererseits danach die 
    Korrespondentenberichte gesendet hat. Manchmal hat die Zentralredaktion mehr 
    Einblick in das Gesamte als der Korrespondent vor Ort. Zum Beispiel bin ich 
    oft so früh wie möglich aus dem Hotel raus und so intensiv wie möglich 
    gearbeitet habe und wenn wichtige Geschichten in einem völlig anderen 
    Stadtteil passiert sind, konnte es passieren, dass man da nichts von 
    mitbekommen hat. Wir haben aber Glück gehabt, dass wenig an uns vorbei 
    gegangen ist. Eine gut organisierte Redaktion im Hintergrund ist da sehr 
    wichtig. 
    Sie haben bereits nach dem 
    zweiten Golfkrieg 1991 gefordert, in der ARD eine zentrale Redaktion gibt, 
    die sich um die Krisenberichterstattung kümmert. Hat sich da etwas getan? 
     
    Fröhder:
    So weit ich feststellen kann, gar nicht. So etwas halte ich jedoch 
    für zwingend erforderlich. Ob man das nun in der ARD-Aktuell-Zentrale in 
    Hamburg oder für jedes Krisengebiet bei den jeweiligen großen Sendern 
    ansiedelt, spielt erst einmal keine Rolle. Es muss zumindest ein Schema und 
    eine Aufgabenverteilung vorliegen, die im Kriegsfall dann einfach abgespult 
    werden kann. 
     
    Was hat sich denn in ihrer Arbeit zwischen 1991 und 2003 verändert – zum 
    Beispiel bei der irakischen Zensur? 
     
    Fröhder:
    Die irakische Zensur ist dieses Mal eindeutig überfordert gewesen. 
    Was man 1991 noch mit sehr viel Aufwand und Gehirnschmalz betreiben musste, 
    um sie ins Leere laufen zu lassen, das war diesmal fast kein Aufwand wert. 
    Die haben es zeitlich gar nicht geschafft, die 400 Medienvertreter zu 
    beaufsichtigen. Ich habe zum Beispiel mit dem türkischen Kollegen, der die 
    Berichte nach Deutschland überspielt hat, einen Trick vereinbart, indem ich 
    ihm die Bänder mit den fertigen Beiträgen in alten, von der Zensur 
    abgestempelten Umschlägen übergeben habe. Damit war die Form gewahrt, und 
    dennoch konnten wir unsere Beiträge unzensiert überspielen. Das wäre 1991 
    überhaupt nicht machbar gewesen. Da mussten wir das ganz versteckt und 
    konspirativ betreiben, durften keinen Dritten einweihen. Ganz aufwendig war 
    damals auch die Textkontrolle. Da waren Leute, die mal Deutsch gelernt, aber 
    überhaupt kein politisches Bewusstsein hatten, haben 
    ständig an kleinen Nebensätzen Anstoß genommen. So etwas habe ich in diesem 
    Jahr nicht erlebt. 
     
    Das neue Konzept der Amerikaner war das der „Embedded 
    Journalists“. Hatten Sie nach dem Einmarsch der Invasionstruppen in Bagdad 
    Probleme, weil Sie keiner dieser bevorzugten Berichterstatter waren? 
     
    Fröhder:
    Zuerst einmal hatten wir mit den Amerikanern grundsätzlich Probleme, 
    weil wir Deutsche waren. Das zweite war, dass wir als einzige Akkreditierung 
    die irakische hatten. Das war eigentlich schon ein Urteil. Die Amerikaner 
    waren nicht in der Lage und nicht willens uns neue Akkreditierungen 
    auszustellen. Ich habe dann solche Absurditäten gehört, dass man uns auf 
    unsere Kosten mit einem Hubschrauber nach Katar fliegen würde, dort stände 
    die Einschweißmaschine und unsere Unterlagen würden geprüft, am zweiten Tag 
    dann würden uns unsere Akkreditierungen erteilt und am dritten Tag hätten 
    wir dann zurückfliegen dürfen. Das ganze sollte knapp 4000 Dollar kosten. 
    Der für uns zuständige Offizier war in Bagdad in einem Hotel untergebracht, 
    in das nur die embedded-Kollegen rein durften – wir aber nicht. Es war 
    unheimlich schwer, einen Gesprächspartner zu bekommen, den wir dazu befragen 
    konnten, wie das amerikanische Engagement aussehen könnte, welche Konzepte 
    die Amerikaner für den Irak hatten – alles brennende Fragen. Ich war ja in 
    meiner Naivität davon ausgegangen, dass sie ein Grundkonzept für den Irak 
    hatten, das sie dann nach dem Einmarsch verkünden würden. Ich konnte es gar 
    nicht fassen, als ich dann kurz mit Jay Garner sprechen konnte und der mir 
    sagte, es wäre noch nichts vorgesehen. Alles, was ich mir als vernünftige 
    Lösung für das irakische Volk erhofft hatte – wenn man den Krieg schon nicht 
    verhindern konnte –, das hat alles nicht statt gefunden. Durch die Bank weg 
    wurden die Iraker von den Amerikanern als Verbrecher gehalten. 
     
    Stellen die „Embedded Journalists“ die Zukunft der Krisenberichterstattung 
    dar? 
     
    Fröhder:
    Ich hoffe es nicht. Ich gehe davon aus, dass die „Embedded 
    Journalists“ eine Zwischenphase darstellen, die wir zur Zeit erleben, die 
    aber in einer absehbaren Zeit wieder vorbei ist. Es hat solche Versuche in 
    der Zwischenzeit immer wieder gegeben, nach meiner Erwartung wird sich die 
    alte Form wieder stärker durchsetzen. Nach der Krise der Berichterstattung 
    im Golfkrieg III werden sie sich hoffentlich wieder auf ihre grundsätzlichen 
    journalistischen Pflichten besinnen. In all den Kriegen, in denen ich 
    gewesen bin, ist es neben der starken Reglementierung, die es durch die 
    Kriegsparteien gegeben hat, durchaus möglich gewesen, sich frei zu bewegen. 
    Auch so, dass man selber entscheiden konnte, was man recherchiert, was man 
    hinterfragt, welche Geschichte man macht. Das war auch im Irak 2003 möglich: 
    Es gab einen englischen Hörfunk-Journalisten, den ich in Bagdad getroffen 
    habe. Der war nicht „embedded“, hat einer Einheit zwei Kisten Bier 
    mitgebracht und die dann bis nach Bagdad begleitet. Von seinem eigenen 
    Land-Rover konnte er über die Satellitenantenne frei berichten und war noch 
    vor den „embedded“-Kollegen in der Hauptstadt. 
     
     
    Hat es oder kann es jemals eine wahrhaftige Krisenberichterstattung geben? 
     
    Fröhder:
    Ich glaube das nicht. Ich denke, man kann immer nur versuchen, sich 
    einer gewissen Wahrhaftigkeit anzunähern. Deshalb halte ich es für wichtig, 
    die jeweils aktuellen Bedingungen, unter der die Berichterstattung 
    stattfindet, dem Leser und Zuschauer mitteilt. Es sind halt keine normalen 
    Voraussetzungen, unter denen gearbeitet wird: Es gibt die unterschiedlichen 
    Kriegsparteien, es gibt gesellschaftliche Drücke, der Wahrhaftigkeit oder 
    Wahrheit kommt man allenfalls nahe. Ich würde auch sehr irritiert gucken, 
    wenn mir jemand sagen würde: ‚Das ist die blanke Wahrheit und nichts 
    anderes.‘ Ich habe zu oft vor Ort erlebt, dass Dinge, die ganz offenkundig 
    so erschienen, wie wir sie berichtet haben, im Nachhinein im anderen Licht 
    erschienen, wenn man mit Akteuren sprechen konnte, die vorher nicht 
    zugänglich waren. Oder die dann ganz anders differenziert haben.  
     
     
     
    
    
    
    ZUR PERSON 
     
    
    
    Christoph Maria Fröhder 
     
    Christoph Maria Fröhder wurde 1942 in Fulda geboren, studierte an der 
    Universität Tübingen und volontierte bei der Stuttgarter Zeitung. Ab 1965 
    war er drei Jahre lang landespolitischer Korrespondent im Hörfunkstudio des 
    Hessischen Rundfunks in Wiesbaden, danach wechselte er zum 
    Regionalfernsehen, wo er für die Sendung »Hessenschau« hauptsächlich über 
    die Studentenbewegung berichtete.   
     
    1969 berichtete er zum ersten Mal aus einem Krisengebiet. Mit Beginn des 
    Biafrakriegs begann seine Filmberichterstattung für die ARD aus dem Ausland, 
    er beschrieb die Rettung von Kindern aus Biafra, dem heutigen Nigeria. 
    Danach arbeitete er als freier Fernsehjournalist an fast allen Krisenherden 
    der Welt meist an vorderster Front: in Vietnam, Bangladesh, Angola, Uganda, 
    Peru, Afghanistan und im Nahen Osten.  
     
    Nach der Berichterstattung aus Vietnam waren vor allem Fröhders Reportagen 
    aus Kambodscha Aufsehen erregend: 1975 blieb er als einziger 
    Fernsehkorrespondent beim Einmarsch der Roten Khmer in Phnom Penh, das von 
    den angreifenden Roten Khmer überrollt wurde. Bevor sein gedrehtes Material 
    beschlagnahmt werden konnte, schmuggelte er die Filmrollen in einem 
    Gipskorsett aus dem Land.  
     
    In den achtziger Jahren drehte Fröhder zahlreiche, mit aufwändigen 
    Recherchen verbundene Features und Dokumentarfilme für den HR und die ARD (u.a. 
    für Monitor und Report). In den neunziger Jahren wendete er sich wieder der 
    Kriegsberichterstattung zu: 1991 blieb er als einer der wenigen Journalisten 
    während des ersten Golfkriegs in Bagdad. 1992 wurde er von serbischen 
    Soldaten bei Dreharbeiten zusammengeschlagen. Fröhder ist darüber hinaus 
    auch für seine politischen Reportagen aus Deutschland bekannt: Mit seinen 
    investigativen Berichten über Justiz ("Maulkorb für den Staatsanwalt", 
    Koautor Hans Leyendecker), innere Sicherheit und Atomindustrie ("Der Fall Transnuklear") sorgte er stets für kontroverse Debatten.  
     
    Für seine Arbeiten wurde Christoph-Maria Fröhder mit dem Preis der deutschen 
    Fernsehkritik, dem Eduard-Rheine-Preis und dem 
    Hanns-Joachim-Friedrichs-Preis ausgezeichnet. Er lebt in Frankfurt. 
     
    (Quelle: Hofmann und Campe) 
     
    
    
     ZUM 
    SEITENANFANG  | 
    
    AUSGABE 33 
    SCHWERPUNKT INFOWAR 
     
    
     
      
     
    
    STARTSEITE 
     
    
    EDITORIAL VON BJÖRN BRÜCKERHOFF 
    INTERVIEW MIT HOWARD RHEINGOLD 
    WARBLOGS: AUGENZEUGENBERICHTE 
    ODER DESINFORMATION? 
    FRIEDEN AN DER 
    GRENZE, KRIEG IM NETZ 
    BAGDAD ZUR 
    PRIMETIME 
    
    KANONENFUTTER IM GEISTE 
    DAS IFG STEHT IM 
    KOALITIONSVERTRAG 
    WAS GEHEN DIE 
    PHILOSOPHIE COMPUTER AN? 
    DER DRITTE TURN DER 
    PHILOSOPHIE 
    WAR OF 
    EMOTIONS 
    PROPAGANDAMATERIAL 
    FÜR DEN GESCHLECHTERKRIEG? 
    ALLGEMEINE VERUNSICHERUNG 
    FRIEDMAN - DÜRFEN DIE MEDIEN 
    RICHTEN? 
    POLITISCHES BRANDING 
    KRIEG ALS FORTSETZUNG DER PR? 
     
     
    
    NEWSLETTER 
    DER GEGENWART 
    PRESSESERVICE: 
    WAS IST DIE GEGENWART?  
    IMPRESSUM 
    
     
    
      
     
    
    DAS COVER DER AUSGABE 33 
     
      
     
    
    ALLE AUSGABEN IM ARCHIV 
     
    
      
     
    
     
    
    
    
    
     
    
      
      |