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    Herr Poschmann,
    blicken 
    wir zurück zur Europameisterschaft 2004: „Bilder wie 
    wir sie so noch nicht gesehen haben“, so oder ähnlich kommentierte Ursula 
    Hoffmann die Bilder, die während der EM aus dem Wohnzimmer der Familie 
    Ricardo ausgestrahlt wurden. Bisher kannte man solche Bilder eher von RTL II 
    aus dem Big Brother Container.  Dies war eine eher untypische Art der 
    öffentlich-rechtlichen Bericht-erstattung. Wie stehen 
    sie dem gegenüber? 
     
    
    Poschmann: Grundsätzlich äußere ich mich nicht zu Personen anderer 
    Sender. Wir haben ja genug Probleme mit unseren eigenen Hervor-bringungen. 
    Die Berichterstattung während der EM hat aber gezeigt, dass dies nicht 
    unsere Herangehensweise ist. Wir klettern eben nicht bei Familien in 
    Wohnzimmer, um da zu versuchen „mittendrin statt nur dabei“ 
    (lacht) 
    zu sein. Gleichwohl ist das Interesse vorhanden, mehr über das Umfeld und 
    die Familie der Hauptakteure zu erfahren. Dafür gibt es verschiedene 
    Möglichkeiten des Zugriffs. Ich muss dann überlegen: was bringt mir am 
    meisten, was lässt die Privatsphäre vergleichsweise unangetastet. Ich muss 
    nicht, das ist der Ansatz unserer Redaktion, in Wohnzimmer eindringen. Man 
    kann mit der Familie ja genug außerhalb einer Privatsphäre erleben. Es gibt 
    schon eine generelle Tendenz in der Berichterstattung, einfach mehr zu 
    erfahren. Das heißt, Sportlern und ihren Familien näher zu kommen. Da ist 
    die Gefahr des boulevardesken sehr groß. Man ist gut beraten, gewisse 
    Trennungslinien nicht zu überschreiten. 
     
    Auch die Kommentatoren 
     Beck-mann und Kerner standen während der EM 
     in der Kritik. Überspitzt gesagt wurde 
    Ihnen vorgeworfen, mehr für die Medienseite der Süddeutschen Zeitung zu 
    kommentieren, als für den Zuseher. Bela Rhéty hingegen wurde für seine 
    Leistungen gelobt. Wie viel Entertainment und Hintergrund-berichterstattung 
    braucht denn ein Fußballkommentar? 
     
     
    
    Poschmann: Hier muss man differenzieren. Erstmal gab es eine 
    Auswertung sowohl des Forsa-Instituts als auch eine 
    
    
    Emnid-Umfrage. 
    Nach diesen repräsentativen Umfragen war Johannes B. Kerner der 
    Bestbewerteste – das ist erst mal ein Fakt. Und wenn man seine Leistung beim 
    Spiel Portugal gegen England sieht, so muss man sagen: das war einfach ein 
    Highlight. Wir überlegen, ob wir diesen Kommentar nicht sogar zum 
    Fernsehpreis einreichen werden. Generell kann man sagen, dass alle Fußball 
    sehen wollen und es etliche Bundestrainer gibt und wir – so gesehen – 
    eigentlich keine Reporter bräuchten. Die Vorlieben sind da natürlich sehr 
    unterschiedlich. Der eine mag den begleitenden Kommentar mit 
    Hintergrundinformationen, der andere mag den emotionalen Typ und wieder 
    andere wollen den Unkonventionellen oder Unge-wöhnlichen. 
    Die Presseresonanz spiegelt 
    hingegen auch klare Interessenslagen wieder. Seien es persönliche 
    Verbindungen oder auch kommerzielle Aktionen. Es gibt ja häufiger 
    Zusammenarbeiten zwischen Sendeanstalten und Verlags-häusern, so dass man für 
    bestimmte Zeitungen schon vorbelastet ist. Viele Zeitungen schreiben auch 
    nur voneinander ab. Der Tenor zur Bewertung eines Sportkommentators ist 
    meist aber einfach nur Daumen hoch oder Daumen runter. Traurig finde ich, 
    wenn selbst renommierte Zeitungen nur eine Schublade aufziehen und 
    Kommentatoren in die so genannte „Unterhaltungs-schublade“ stecken, bloß weil 
    sie auch eine Talkshow machen. Da fehlt mir die Fähigkeit zur 
    Differenzierung, ja sogar ein Mangel an Intellekt. Man darf nicht vergessen, 
    dass Beckmann und Kerner aus dem Sport kommen. Wer Kerner mal gesehen hat, 
    wie er sich auf ein Spiel vorbereitet, weiß, was Professionalität ist. 
    Andere lesen einfach nur den Kicker. Kerner spricht immer zuvor mit dem 
    Trainer. Was die Unterhaltung angeht: Natürlich 
    machen wir Unterhaltung. Sport ist Unter-haltung. Ein klasse Fußballspiel ist 
    Unterhaltung. Damit wollte ich jetzt nicht Bela Rhéty abwerten. Rhéty hat 
    ein Auge für den Fußball, ähnlich wie ein erfahrener Kameramann. Er liegt 
    meist schon vor der Zeitlupe mit seiner Bewertung richtig, ist aber eben ein 
    anderer Typ, den man nicht vergleichen kann. 
     
     
    Dem mittlerweile fest installierten Moderatorenduo Netzer 
    und Delling in der ARD hat das ZDF die
    Doppelmoderation Posch-mann 
    und Beckenbauer entgegengesetzt. Wollten sie 
    bewusst einen Gegenpart zur inszenierten Moderation installieren? 
     
    
    Poschmann: Nein, ganz im Gegenteil. Wir haben ja 1994 angefangen mit 
    der Doppelmoderation, damals mit Kalli Feldkamp. Die Antwort der ARD war 
    dann Günter Netzer. Uns ging es darum, ein munteres Gespräch über Fußball zu 
    führen und kein Trainerfachseminar zu veranstalten. Netzer mit Beckenbauer 
    zu vergleichen ist ungefähr dasselbe, wie Kerner mit Rhéty zu vergleichen. 
    Es ist nicht legitim: Netzers Stärke, für die er ja auch vollkommen zu Recht 
    ausgezeichnet worden ist, ist die sachliche Analyse eines Spiels. 
    Beckenbauer hingegen spricht mehr den Fußballfans aus dem Herzen. 
    Und das ist genau das, was wir haben wollten. Natürlich profitieren wir auch 
    von seinen Kontakten. Er ist ja jemand, der noch voll im Fußballgeschäft 
    steckt. Wir hatten beispielsweise schon lange den Traum, gemeinsam mit dem 
    holländischen Fernsehen zu arbeiten. Bislang war das Interesse des 
    holländischen Fernsehens aber nicht groß. Die Zusammenarbeit kam dann auch 
    durch die Kontakte von Beckenbauer zu Johan Cruyff zustande. Und das war ja 
    etwas völlig Neues. Andere Sender hätten dies als „großes Novum“ in der 
    deutschen Sportberichterstattung ange-kündigt. Wir geben uns da bescheidener. 
    Johan Cruyff war völlig begeistert von der Zusammenarbeit und ich denke 
    auch, dass die Kooperation mit den Holländern sehr gut ankam – auch wenn ein 
    Großteil des Gesprächs ins Holländische übersetzt wurde.
    Durch die Kontakte 
    von Franz Beckenbauer kam auch Gary Lineker zu uns ins Studio. Und das ohne 
    horrende Honorarzahlungen. 
     
     
    Blicken wir mal zurück 
    zur Tour de France. Da gibt es auch Gesprächsbedarf. Der ARD wurde aufgrund 
    des Sponsoren-Vertrags mit der Telekom die Unabhängigkeit der 
    Berichterstattung in Frage gestellt. ARD-Kommentator Hagen Boßdorf 
    bezichtigte Rennfahrer Jens Voigt des „Verrats an einem Freund“, weil dieser
    
     nicht für Jan Ullrich fuhr. Am folgenden 
    Tag wurde die Kritik von Voigt an der Berichterstattung in einem 
    ZDF-Interview vehement durch das Abbrechen der Ausstrahlung beendet. Wie 
    kann so etwas passieren? 
     
    
    Poschmann: Das ist halt klar, dass ein paar schreibende Kollegen ihre 
    Form der Interpretation dieser Vorgänge finden. Tatsache ist, ich habe es ja 
    miterlebt und war selbst als erster erschrocken, dass ein Operator, der für 
    das Zuspielen der Beiträge verantwortlich ist, zu früh auf eine Taste 
    gekommen ist und einen Out-Punkt gesetzt hat, wo keiner vorgesehen war. Das 
    passiert in einer Bericht-erstattung, die über fünf, sechs Stunden geht, 
    immer mal wieder. Dass es ausgerechnet an dieser Stelle passiert ist, ist 
    ausgesprochen peinlich, weil in weiteren 15 Sekunden der Satz ausgesprochen 
    gewesen wäre. Dann hätten alle gewusst, worum es da geht. Der ARD war es 
    auch bekannt, das wir diesen Passus des Interviews veröffentlichen wollten. 
    Die Kollegen hatten keine Einwände, da sie das Thema am Folgetag ohnehin 
    aufarbeiten wollten.
    Wenn so etwas bei 
    solch einem Interview passiert, muss man natürlich mit dem Vorwurf der 
    Manipulation rechnen. Glauben sie mir, wenn wir hätten manipulieren wollen, 
    hätten wir das perfekter getan. 
     
    Jetzt in Athen werden zum ersten Mal vier digitale 
    Kanäle für die Berichterstattung freigeschaltet. Dies 
    bedeutet über 1.400 zusätzliche Sendestunden für ARD 
    und ZDF. Was ergeben sich nun für Veränderungen, wie 
    groß ist die Herausforderung? 
     
    
    Poschmann: Wir haben jetzt vier zusätzliche Vollprogramme, anstatt 
    des üblichen einen Programms. 
    Wir müssen also vier Programme mehr sowohl logistisch als auch redaktionell 
    bestücken. Es wird also mehr Live-Reportagen geben, die Reporter müssen 
    einfach länger vor Ort sein. Bei uns wird das zu Lasten des Hauptprogramms 
    gehen. Die ARD hat da seit jeher mehr Kollegen zur Auswahl, sie haben auch 
    ihre Hörfunk-redaktionen. Deshalb ist in dem Sinne keine Not am Mann. Wir 
    müssen dies alles mit nur einer Redaktion leisten können. 
     
     
    Zur WM 2006. Was trauen sie Jürgen Klinsmann bei der Weltmeisterschaft im 
    eigenen Land zu? 
     
    
    Poschmann: Das liegt ja alles im Bereich der Spekulation und der 
    Vermutungen. Ein Blick zurück in die Geschichte der 
    Fußball-Nationalmannschaft zeigt, dass wir in keiner Endrunde überragend 
    gespielt haben. Auch wenn einige dies nicht wahrhaben wollen. Richtig 
    überzeugende Auftritte oder gar einen Trend gab es kaum. Eine Ausnahme war 
    die Zeit der frühen 1970er Jahre mit Breitner und Netzer. Blicken sie doch 
    einfach mal zwei Jahre zurück. Da wurde die National-mannschaft gefeiert, als 
    hätte sie den WM-Titel gewonnen. Da hat keiner die Nachwuchsarbeit 
    angeprangert. Und gerade bei dieser WM hatten wir „Riesenschwein“. Wir haben 
    gegen keine europäische Mannschaft gespielt und in den entscheidenden 
    Spielen hatten wir immer längere Ruhephasen, was bei einem solchen Turnier 
    ja nicht unwichtig ist. Auf  Südkorea trafen wir, als diese schon sehr 
    ermüdet waren. Eigentlich hatten wir nur ein gutes Spiel, das war das Finale 
    und das haben wir verloren.
    Zu Zeiten des 
    Erfolgs wird nichts hinterfragt. Deshalb halte ich es auch für wenig 
    hilfreich, im Falle des Nicht-Erfolgs alles in Frage zu stellen. Die WM und 
    EM spiegeln das wieder, was Rudi Völler schon gesagt hat: Die Welt ist 
    zusammengerückt – es gibt keine „Kleinen“ mehr. Da hilft auch ein 
    übergreifender Blick auf andere Sportarten. Heute 
    gewinnen Athleten von den Bahamas und Jamaika Goldmedaillen. Aber man muss 
    das Ganze auch positiv sehen: Wäre dies nicht so, wäre alles nur halb so 
    spannend. Das soll jetzt nicht pessimistisch klingen. Fest steht aber, dass 
    der Fußball in der Bundesliga nicht die Schnelligkeit und hohe Technik 
    zeigt, wie in der italienischen oder englischen Liga. Doch kann ich bei uns 
    auch die Diskussion um eine mangelhafte Jugendarbeit nicht verstehen. Es 
    sind doch noch nie so viele junge Spieler aufgelaufen und eingesetzt worden, 
    wie derzeit. Franz Beckenbauer war ja damals der erste „Teamchef“, also kein 
    Trainer im eigentlichen Sinne. Der ist ja bekanntlich mit Holger Osiek 
    Weltmeister geworden. 
     
     
    
    
     
    
    
    Zur Person 
    
    
    Wolf-Dieter Poschmann, geboren 1951, ist Chef der 
    ZDF-Hauptredaktion Sport. Er moderiert und kommentiert während der 
    Olympiade live aus Athen. 
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    Herr Antwerpes,
    blicken 
    wir zurück zur Europameisterschaft 2004: „Bilder wie 
    wir sie so noch nicht gesehen haben“, so oder ähnlich kommentierte Ursula 
    Hoffmann die Bilder, die während der EM aus dem Wohnzimmer der Familie 
    Ricardo ausgestrahlt wurden. Bisher kannte man solche Bilder eher von RTL II 
    aus dem Big Brother Container.  Dies war eine eher untypische Art der 
    öffentlich-rechtlichen Bericht-erstattung. Wie stehen 
    sie dem gegenüber? 
     
    
    Antwerpes: Was ist typisch für öffentlich-rechtliches Fernsehen? Das 
    ist ja immer so ein hehrer Anspruch, der nie genau definiert wird. 
    Öffentlich-rechtliches Fernsehen ist genauso gute Unterhaltung wie privates 
    Fernsehen. Es gibt genauso gute oder schlechte Unterhaltung hier wie dort. 
    Ich find das immer viel zu pauschal zu sagen: das ist öffentlich-rechtliches 
    und das ist privates Fernsehen. Es gibt mittlerweile viele Über-schneidungen 
    und ich find das auch gut so, dass sich das gemischt hat. Sicher heben wir 
    uns ab. Aber das eine Schalte dieser Art über Wohl und Wehe des 
    öffentlich-rechtlichen Fern-sehens entscheiden soll, halte ich für ein 
    bisschen übertrieben. Das ist eine Möglichkeit oder ein Versuch, so etwas 
    mal zu machen. Den gilt es auszuwerten, ob man so was noch mal macht. Man 
    muss auch mal Dinge ausprobieren, um sich zu verbessern. Wenn man am Ende 
    zum Entschluss kommt, das hat uns gefallen, dann ist es gut so. Kommt man zu 
    dem Entschluss, das hat uns nicht gefallen, dann lässt man es. Das ist eine 
    ständige Überprüfung der eigenen Qualität. Das erreicht man nur, wenn man 
    auch was ausprobiert. Wenn sie immer nur auf den selben Pfaden entlang 
    trampeln, werden sie nichts Neues entdecken. 
     
     
    Auch die 
    Kommentatoren
    
     Beckmann und Kerner standen während der EM
    
     in der Kritik. Überspitzt gesagt wurde 
    Ihnen vorgeworfen, mehr für die Medienseite der Süddeutschen Zeitung zu 
    kommentieren, als für den Zuseher. Bela Rhéty hingegen wurde für seine 
    Leistungen gelobt. Wie viel Entertainment und Hintergrund-berichterstattung 
    braucht denn ein Fußballkommentar?  
     
    
    Antwerpes: Das ist eine ganz ausgewogene Mischung. Ich kenne nur eine 
    andere Umfrage: dass Herr Kerner von den vieren der Beliebteste war. Was 
    aber mit seiner großen Popularität zusammenhängt. Wenn Leute auf der Strasse 
    gefragt werden, dann sagen sie eher Kerner, weil ihnen der Name ein Begriff 
    ist. Ich denke, dass ein Fußballkommentar in erster Linie sparsam sein soll. 
    Das heißt, er soll  ergänzende Informationen liefern und 
    nicht das Bild zuquatschen. Er soll nicht das beschreiben, was man ohnehin 
    sieht. Und dann kann er auch unterhaltend sein. Ich halte wenig davon zu 
    sagen, wir müssen jetzt in einer staubtrockenen oder vornehmlich seriösen 
    Weise daher lamentieren. Fußball ist Unterhaltung und insofern verträgt auch 
    der Kommentar unterhaltende Elemente. Beispielhaft ist Marcel Reif, der es 
    versteht, sachlich kompetent und mit einigen Wortspielchen einen Kommentar 
    abzugeben. Es muss also sowohl Unterhaltung und Information sein. 
     
    Gerhard Delling und Günter Netzer sind mittlerweile ein prägendes Element 
    der ARD-Fußballberichterstattung. Ihr Wechselspiel wirkt phasenweise sehr 
    inszeniert. Nimmt diese Inszenierung nicht überhand? 
     
    
    Antwerpes: Das ist ja erst einmal Ihr persönlicher Eindruck. Das, was 
    zugenommen hat, ist das Drumherum. Die neunzig Minuten auf dem Platz sind 
    das eine, mittlerweile sind wir dazu übergegangen, sechzig Minuten vorher 
    und sechzig Minuten nachher darüber zu reden, was passieren wird oder was 
    passiert ist. Das halte ich natürlich auch für zuviel. Andererseits nimmt 
    der Zuschauer dies so an. Wir machen nur das, was der Zuschauer annimmt und 
    gerne sieht. Es wird immer wieder welche geben, denen das nicht gefällt und 
    auch immer solche, denen es gefällt. Und solange das so ist und wir nicht 
    überhäuft werden mit bitterbösen Schmähbriefen, halte ich das für die 
    richtige Variante. Ich wüsste nicht, dass sich jemand beschwert über Delling/Netzer.
     
     
    Blicken wir mal zurück zur Tour de France. Da gibt es auch aktuellen 
    Gesprächsbedarf: Es gab den Konflikt zwischen ARD-Kommentator Hagen Boßdorf 
    und Fahrer Jens Voigt, woraufhin von den schreibenden Kollegen die
    
     Unabhängigkeit 
    der ARD-Berichterstattung infrage gestellt
    worden ist. Widerspricht ein Sponsoring-Vertrag 
    zwischen der ARD und der Telekom oder auch die Zusammenarbeit von Boßdorf 
    und Ullrich bei der Verfassung der Biographie Jan Ullrichs nicht den Regeln 
    der unabhängigen Berichterstattung? 
     
    
    Antwerpes: Das ist ja schon eine rhetorische Frage. Die Eins auf der 
    Brust des Team Telekom ärgert in erster Linie das ZDF und erfreut die ARD. 
    Ich denke, dass man als größtes Medienunternehmen in Deutschland
    Werbe-möglichkeiten nutzen können muss. Man muss allerdings auch deutlich 
    trennen können, zwischen dem, was auf der einen Seite an Werbung passiert 
    durch die „Eins“ und auf der anderen Seite, was in Interviews und durch die 
    Berichterstattung passiert. Dass das schwer ist, das gebe ich gerne zu. Ich 
    kann mir auch vorstellen, das von außen der Eindruck entstehen kann, dass 
    das so nicht funktioniert. Ich bin sicher, dass sich die Kollegen eine Frage 
    nicht erlauben, bloß weil da die „Eins“ auf der Brust steht. Ich glaube 
    nicht, dass es da zu gefälligem Journalismus kommt. Das können wir schon 
    trennen, dazu sind wir in der Lage.
    Was Hagen Boßdorf 
    angeht: Es ist seine Privatangelegenheit, wie er das macht. Ob er ein Buch 
    schreibt mit Jan Ullrich oder wie er mit Jens Voigt umgeht. Das muss er 
    selber wissen. Da möchte ich mich einfach nicht einmischen. 
     
     
    Spricht aber nicht die Existenz eines
    
     Privatvertrags der ARD, 
    der besondere Bilder von Jan Ulrich sichert, gegen eine zumindest 
    gleichberechtigte Berichterstattung? 
     
    
    Antwerpes: Es ist nicht unsere Aufgabe, uns schlechter zu machen, nur 
    damit wir mit dem ZDF gleichziehen. Unsere Aufgabe ist es, den Zuschauern 
    die Faszination der Tour de France näher zu bringen. Und wenn man es 
    schafft, mit Herrn Pevenage einen solchen Vertrag abzuschließen, der uns 
    bessere Bilder und andere Informationen liefert, dann ist das auch im Sinne 
    der Zuschauer. Das ist wunderbar und hat nichts mit Beeinflussung zu tun. 
    Das ist eine Möglichkeit, sich Infor-mationen und Eindrücke zu beschaffen, 
    die man sonst nicht gekriegt hätte. 
     
     
    
    Jetzt in Athen werden zum ersten Mal vier digitale Kanäle 
    für die Berichterstattung frei-geschaltet. Dies bedeutet über 1.400 
    zusätzliche Sendestunden für ARD und ZDF. Was ergeben 
    sich nun für Veränderungen, wie groß ist die Herausforderung? 
     
    
    Antwerpes: Das ist eine Riesenherausforderung. Bislang war es so, 
    dass die Kollegen an den Tagen, an denen das ZDF gesendet hat, frei hatten 
    oder sich vorbereiten konnten. Jetzt sitzen sie weiter in den Kabinen und 
    sprechen auf die digitalen Kanäle. Das ist eine große Umstellung von der 
    Arbeits-belastung her, aber auch von der Einstellung. Im ARD- und auch ZDF-Hauptprogramm werden ja nur die Highlights übertragen. Bei einem Tennisspiel 
    ging man erst im entscheidenden fünften Satz auf Sendung. Jetzt kommentieren 
    die Reporter fünf Sätze durch. Es sind die Reporter, die auch sonst dabei 
    sind. Ich wüsste wenige, die zusätzlich hinzukommen. Vielleicht ein, zwei. 
    Das aber nur, weil auch im ARD-Bereich Bedarf vorhanden war. Es ist einfach 
    eine Umstellung. Da muss man sich für den digitalen Kanal viel mehr 
    vorbereiten für viel, viel weniger Zuschauer als für die Viertelstunde im 
    Haupt-programm der ARD, wo sie zehn Millionen Zuschauer haben. 
     Das 
    wird für die Zuschauer ein tolles Angebot. Die Freaks werden sich das 
    reinziehen, sofern sie es empfangen können. Das ist ja noch nicht jedem 
    möglich. Es ist ein Einstieg in das digitale Sportfernsehen. Da wollen wir 
    probieren, ob wir nicht auch eine Duftnote setzen können. 
     
     
    Zur WM 2006. Was trauen sie Jürgen Klinsmann bei der Weltmeisterschaft 
    im eigenen Land zu? 
     
    
    Antwerpes: Ich traue ihm wenig zu. Das liegt aber nicht daran, dass 
    ich ihn als Mensch nicht schätze, sondern weil ich den Fundus des deutschen 
    Sports für nicht so überragend halte, dass Klinsmann ihn in den wenigen 
    verbleibenden Monaten, die es jetzt ja wirklich nur noch sind, auf eine 
    bessere Basis stellt. Dafür ist die Zeit zu kurz, dafür ist auch zu viel 
    verschlafen worden. Die Entscheidung des DFB halte ich für mutig. 
    Klinsmann/Bierhoff, das wirbelt das ganze durcheinander. Das löst 
    verkrustete Strukturen auf, das halte ich erstmal für positiv für den DFB.
    Grundsätzlich bin ich positiv gestimmt. Aber ich bezweifle, dass es 
    bis zur WM 2006 noch etwas wird. 
     
    
    
    Zur Person 
    
    
    Michael Antwerpes, geboren 1963, ist Sportchef des SWR. Er 
    sitzt für die ARD im Olympia-Studio in Athen. 
     
  
    
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
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