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    WIE DER SPORT UNS ÜBER DEN SOMMER RETTET 
    Reiten auf der 
    Welle 
     
     
    
    KOMMENTAR:  
    
    
     STEPHAN 
    ISERNHAGEN, PARIS 
    ILLUSTRATION:   STANISLAUS 
    MÜLLER-HÄRLIN 
     
    Die Fußball-EM hat die Deutschen 
    aus einer Frustration gerissen, mit der sie sich arrangiert 
    hatten. Nach dem Frust über die verkorkste Reformpolitik
    der rot-grünen
    Bundesregierung (die umstrittene
    Gesundheistreform, das Aus für die Juniorprofessur,
    das Maut-Chaos und die aktuellen 
    Demonstrationen gegen Hartz IV), ist 
    mit dem Sport wieder ein 
    Thema gefunden worden, das begeistert.  
     
    Die Begeisterung war nötig. Die ARD verzeichnete bei Spielen ohne deutsche 
    Beteiligung erstmals Quoten von über 20 Millionen 
    Zuschauern. Rekord! Nicht nur die Griechen feierten, während  Otto Rehagel 
    seine Jungs mit Disziplin in eine durchtrainierte Truppe 
    verwandelte und schließlich bis zum Sieg führte. Die 
    deutsche Mannschaft, schnell raus aus dem EM-Rennen, bekam in den 
    deutschen Medien  Häme zu spüren
    
    
    
    – anders
    als ihr Trainer, 
    der mutige Dauer-Sympathie-Träger Rudi Völler. Selbst in der mächtigen 
    Bild-Zeitung war kein Wort der Kritik gegenüber Völler 
    zu lesen. Nur eine zaghafte Frage nach dem vernichtenden 
    EM-Aus. Aber selbst diese zielte wohl eher auf Mitleid und Solidarität ab, 
    nicht auf Anklage: „Rudi, was hast du falsch gemacht?“ (Das Blatt hatte nur 
    einmal ‘gegen’ Rudi geschrieben; nach seiner 
    Wut-Rede in der ARD-Sportschau vor laufender Kamera.) Schwerer 
    war der Stand  
    von Co-Trainer Michael Skibbe: „Ist er der Fehler-Flüsterer?“, 
    fragte das Blatt nach dem Aus und deutet Kritik an der deutschen Mannschaft 
    an, die aber nicht auf Chef-Rudi sondern auf seinen Berater und 
    Trainer-Freund Skibbe projiziert wird. 
     
    Fußball 
    
    –
    Mannschaftssport. Das sind harte Mann-gegen-Mann-Kämpfe, in denen sich nichts geschenkt wird. 
    Das sind Theaterstücke in der Arena: die Fans feuern an, buhen aus, 
    singen in Chören die Hymnen ihrer Mannschaft und Abgesänge 
    auf die Gegner. Die Fußball-EM in Portugal zeigte die Extreme: angeschminkte Busen und kurze Höschen in 
    den Farben der Turniermannschaften bei den Fans,  unglaubliche Siege wie 
    der Triumph der Griechen und peinliche Niederlagen wie die verschossenen Elfmeter
    des englischen Star-Kickers David Beckham 
    
    – schließlich
    das Aus der 
    Fußball-Größen Frankreich, Deutschland und England. 
     
    Die Deutschen träumen von einem solchen griechischen Sieg, weil die 
    Fußball-Welt den Griechen dieses fulminante Finale gar nicht zugetraut 
    hatte. 
    Die Sympathie-Welle für die 
    Außenseiter war gigantisch. Harte 
    Arbeit und  das nötige Quentchen Glück
    ließen die Fußball-Anfänger Turnier-Sieger werden. In Deutschland feuerten 
    Millionen diese Mannschaft auch deswegen an, weil ihr Trainer wochenlang in 
    der Boulevard-Presse überhöht wurde („Rehakles“).
    Politik und das  gesellschaftliche Leben in Deutschland 
    traten in den Hintergrund,  alle großen Medien 
    sprangen auf den 
    Zug auf und füllten 
    damit erfolgreich ihr Sommerloch. Passend zum Finale benannte in Hamburg ein 
    Grieche sein Lokal um. „Rehakles“ leuchtet jetzt in 
    grellen Lettern aus 
    Leuchtstoffröhren über dem Eingang. 
    Bild sei Dank. 
    
     
    Aber die gemeinsame Fußball-Dynamik erlosch schnell nach den ersten 
    Spielen 
    
    – so will es die Logik eine jeden Turniers: Viertelfinale, 
    Halbfinale und schließlich Finale. Ehe sich die 
    Fußball-Welt versah, standen die Griechen da, wo sie niemand erwartet hatte 
    und das Spiel in Portugal war 
    Geschichte. Nach der Jubelrunde der Griechen im 
    Stadion fragte sich die Presse: Trägt Wimbledon und die Tour de 
    France genauso, wie die EM begeistert hat? Werden diese beiden Turniere 
    genug Stoff bieten für Aufmacher, Aufreger und Hingucker? 
    Und viel wichtiger: entsteht wieder ein Hype, jene Dynamik, mit der sich viele 
    Medien in ihrer täglichen drögen Sommerberichterstattung über 
    die ereignislosen Tage  gerettet hatten?  
     
    Wie in ein Loch fielen die Redaktionen bei der Tour: 
    Jan Ullrich schafft es nicht, seinem Dauer-Widersacher
    Lance Armstrong  gefährlich zu werden. Schon wenige Tage nach Tour-Start, 
    Ullrich ist wegen eines Schnupfens nur "bedingt einsatzfähig", 
    liegt der Super-Amerikaner so weit vorn, dass Ullrich nur noch durch einen 
    Sturz Armstrongs gewinnen könnte. Hoffnungslos! Nur der Sommer-Monat August 
    rettet die Medien: Gibt es einen „Wüstensommer“ wie im letzten Jahr, 
    der zumindest  Bikini-Girls als Lückenbüßer in Bilderstrecken legitimiert?  
     
    Und auch Wimbledon wird eine Enttäuschung: kein deutscher Held springt auf 
    dem englischen Tennisrasen hin und her, darf um einen Pokal spielen. Schüttler 
    und Haas verabschieden sich schon nach den ersten Spielen in den 
    Flieger  
    
    – zurück nach Deutschland. Der Sport entlässt 
    uns in die Realität.   | 
    
    AUSGABE 39 
    "UND JETZT 
    – 
    DER SPORT" 
     
     
      
     
    
    STARTSEITE 
     
    
    EDITORIAL VON BJÖRN 
    BRÜCKERHOFF 
    
    ÖFFENTLICH-RECHTLICHE ATHLETEN 
    FUSSBALL IST NICHT NUR 
    FÜR BLÖDIANE 
    SCHUTZ DER 
    OLYMPISCHEN RINGE 
    FÜNF FRAGEN/ZEHN 
    ANTWORTEN 
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    HELMUT HALLER: EIN LEBEN AM 
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