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    "Wir erzählen die Geschichten  
    schneller als früher" 
     
    
     
    
    
     
    Interview:
    
    
    Kai Haller 
     Bild: Photocase.de 
     
    
    Ira Neukirchen 
    ist Redakteurin der „Sesamstraße“ beim Norddeutschen Rundfunk in Hamburg. 
    Seit nunmehr 30 Jahren ist die „Sesamstraße“ in Deutschland auf Sendung. 
    Mittlerweile kennen und lieben drei Generationen Ernie, Bert und Co. Die 
    Gegenwart sprach mit Ira Neukirchen unter anderem über 
    Erfolgsgeheimnisse, Konkurrenz durch neue Medienangebote und warum die 
    Sesamstraße auch im Jahr 2004 ein unverzichtbarer Teil des Medienangebots 
    für Kinder ist. 
     
    Die Gegenwart: Frau Dr. Neukirchen, die Sesamstrasse ist nicht nur aus Kinderaugen eine feste Institution in 
    der Fernsehwelt. Drei Generationen sind mittlerweile mit Samson, Tiffy, 
    Ernie und Bert aufgewachsen und haben bei Graf Zahl zählen und 
    rechnen 
    gelernt. Wie lautet das Erfolgsgeheimnis? 
     
    
    Ira Neukirchen: Das Erfolgsgeheimnis sind eindeutig 
    die Muppets. Ohne die verschiedenen Puppen hätten wir nicht eine so breite 
    Masse Menschen 
    – 
    natürlich überwiegend Kinder 
    – 
    ansprechen können. 
    Besonders die Kinder können sich mit den verschiedenen Muppets 
    identifizieren. Jede unserer Figuren ist anders und hat natürlich auch 
    andere Charaktereigenschaften und Wesenszüge. Grobi ist zum Beispiel anders 
    als Ernie, und Ernie ist anders als Bert. So ist für jeden etwas dabei! 
     
    Die Gegenwart: Warum stehen besonders Ernie und Bert 
    für das Format Sesamstrasse? 
     
    
    Neukirchen: Ich denke, das liegt an dem zeitlosen 
    Design der Puppen. Jim Henson hat es mit diesem Design geschafft, über viele 
    Jahre den Nerv von Generationen zu treffen. Die Puppen wirken heute immer 
    noch aktuell und ihre Charaktere eignen sich nach wie vor, um viele lustige, 
    lehrreiche und charmante Geschichten zu erzählen. 
     
    Die Gegenwart: Gerade heute sind bei Kindern 
    Sendungen wie die „Sesamstrasse“, „Die Sendung mit der Maus“, „Das 
    Sandmännchen“ oder „Löwenzahn“ sehr beliebt, obwohl es eine Vielzahl anderer 
    Medienangebote gibt. Hat sich Qualität gegenüber Quantität behaupten 
    können, oder mussten sich etablierte Formate wie die „Sesamstraße“ den neuen 
    anpassen, um weiter zu existieren? 
     
    
    Neukirchen: Die Sesamstraße ist definitiv mit der 
    Zeit gegangen. Das ist auch ganz klar unsere Absicht. Natürlich wurden neue 
    Konzepte eingebaut. Dennoch haben wir Werte aus den 60er, 70er, 80er oder 
    90er Jahren nie aus den Augen verloren oder aus unserem heutigen Konzept 
    ausgeblendet. Toleranz als ein Beispiel ist uns immer noch genauso wichtig 
    wie es in den siebziger Jahren war. Die aktuelle Sesamstraße sehe ich als 
    eine Mischung, einerseits neue Wege und Konzepte zu finden und 
    auszuprobieren und etablierten Konzepten treu zu bleiben. Wir 
    erzählen die Geschichten heutzutage deutlich schneller als damals. Das liegt 
    einfach daran, dass heutzutage im Fernsehen ein ganz anderes Tempo 
    vorherrscht. Wir haben zwar keine MTV-Schnitte, aber natürlich gleichen wir 
    das Tempo der erzählten Geschichten an das derzeitig vorherrschende an. 
    Anders ausgedrückt: Kinder haben heutzutage ganz andere Sehgewohnheiten, 
    denen wir uns natürlich anpassen müssen. Dabei sind wir immer auf der Suche 
    nach Angesagtem und Trend setzenden Wegen. 
     
    Die Gegenwart: Kabelfernsehen, Computer und 
    Spielkonsolen sorgen für ständig neue Verlockungen bei Kindern. Nennen Sie 
    mir bitte fünf Gründe, weshalb die Sesamstrasse 
    noch immer ein unverzichtbarer Teil 
    des Medienangebots für Kinder geblieben ist. 
     
    
    Neukirchen: Man kann mit uns lachen.
    Es gibt einen so genannten „Lieb-habe-Faktor“ bei den Muppets.
    Kinder können bei uns interessante Dinge lernen und ihre Neugierde 
    befriedigen. Kinder können bei uns eine Menge über 
    andere Kinder erfahren.
    
    Wir haben ein sehr 
    buntes und vielseitiges Angebot an Themen für Kinder. 
     
    Die Gegenwart: Glauben Sie, dass Kinder, die mit 
    einer Playstation aufwachsen tatsächlich an der Sesamstrasse interessiert 
    sind? 
     
    
    Neukirchen: Aus meiner Sicht ist dieser Vergleich 
    nicht ganz angebracht, weil ich meine, dass diejenigen Kinder, die 
    Playstation spielen viel älter sind als die Kinder, die die Sesamstraße 
    gucken. Zwar sind unsere Quoten sehr zufriedenstellend, besonders in der 
    Kernzielgruppe der Drei- bis Sechsjährigen, aber dennoch gibt es Probleme, 
    mit denen die Sesamstraße früher nicht zu kämpfen hatte. Früher war die 
    Sesamstraße innerhalb der Erwachsenenprogramme ganz klar als Kinderprogramm 
    zu erkennen. Heute haben wir nicht nur mehr Konkurrenz durch andere Sender, 
    sondern leben auch in einer stark image- und 
    markenorientierten Welt, die es 
    bisher in diesem Maße noch nicht gab. Es kann passieren, dass ich mit einem 
    Siebenjährigen spreche, für den es eigentlich noch sehr viele spannende 
    Berichte und Themen in der Sesamstraße gibt, der aber trotzdem nicht mehr 
    Sesamstraße anschaut. Im Grundschulalter wird die Sendung von vielen Jungen 
    bereits als „uncooles Programm“ betrachtet. Der Druck in der Gruppe ist groß 
    und deswegen wenden sich viele Jungs in diesem Alter von unserem Format ab. 
    Erstaunlicherweise haben Mädchen in diesem Alter nicht diesen 
    gesellschaftlichen Druck, das heißt wir werden von Mädchen noch viel häufiger in 
    älteren Alterstufen geguckt. Weiterhin orientieren sich jüngere Kinder an 
    älteren Geschwistern. Gucken die Älteren dann schon die Programme, die ihrer 
    Altersstufe angemessen sind, dürfen oft die kleineren Kinder auch schon mal 
    mitschauen. Das finden die Kleinen dann auch spannend; es ist nun mal alles 
    viel interessanter, was die älteren Geschwister machen. Um auf den Kern ihrer 
    Frage zurückzukommen. Ich glaube, dass Kinder, die sich in einem frühen 
    Alter schon mit Computern beschäftigen, sich durchaus in der Sesamstraße 
    wieder finden können, weil bei uns auch der Umgang mit Computern oder Handy 
    oder ähnlichem eine Rolle spielt. Wir testen beziehungsweise empfehlen allerdings nicht 
    die neuesten Actionspiele, die auf dem Computer- oder dem Spiel-konsolenmarkt 
    zu erwerben sind. Wichtig ist uns aber das Kinder in der Altersgruppe schon 
    Umgang mit Medien lernen und wir eine Art erste „Medienkompetenz“ vermitteln 
    wollen. 
     
    Die Gegenwart: Wie beurteilen Sie aus beruflicher 
    Perspektive das Format „Teletubbies“? 
     
    
    Neukirchen: Das Format „Teletubbies“ wird vom 
    Kinderkanal gesendet. Als ehemalige Mitarbeiterin des WDR habe ich die 
    Teletubbies selbst mit ausgestrahlt. Zwar war ich rein persönlich darüber 
    nicht immer glücklich, dennoch muss ich sagen: Die Kinder lieben es einfach! 
    Und gerade bei den „Teletubbies“ gab es eine sehr lange Vorbereitungsphase, 
    bevor auf Sendung gegangen wurde. Die BBC hat sehr intensive Forschung 
    betrieben, um eine kindgerechtes Konzept zu formen. Der Erfolg ist kein 
    Zufall, da steckt ein Menge Arbeit dahinter. Somit kann man hier von einem 
    sehr durchdachten Konzept sprechen. Ich möchte jedoch nicht in Abrede 
    stellen, dass sich das Konzept nicht mit dem deckt, was viele Erwachsene für 
    pädagogisch wertvoll für ihre Kinder empfinden.
     
     
    Die Gegenwart: Unter anderem fördert die Sesamstraße das emotionale 
    und soziale Lernen. Ihre Kernzielgruppe sind die Drei- bis Sechsjährigen. 
    Dabei nehmen Sie sich selbst ja mächtig in die Verantwortung. 
     
    
    Neukirchen: Die Sesamstraße ist ja eine 
    amerikanisch-deutsche Co-Produktion und wir halten regelmäßige Workshops mit 
    unseren Kollegen aus Übersee, wo genau diese Verantwortung häufig 
    thematisiert wird. Des Weiteren informieren wir uns generell sehr gründlich 
    und sprechen mit Experten, die uns beispielsweise von der aktuellen 
    Situation in deutschen Kindergärten berichten. Wir fragen natürlich auch 
    Kinder selbst um ihre Meinung, das ist natürlich auch immer eine wichtige 
    Informationsquelle. Weiterer Input kommt von unseren sehr engagierten 
    Produzenten, die uns immer mit guten Projektvorschlägen und frischen Ideen 
    konfrontieren. Als weitere Informationsquelle lesen wir entsprechende 
    Sachbücher, zum Beispiel „Weltwissen der Siebenjährigen“. Die 
    verschiedenen Quellen ergeben dann einen hilfreichen Informations-Mix, den 
    wir in die Sesamstraße einfließen lassen. 
     
     
    Die Gegenwart: Verfolgt dieses Konzept auch ein 
    gesamtgesellschaftliches Ziel, denn schließlich wird die Sesamstraße von 
    Ihnen selbst als „Familienformat“ bezeichnet? 
     
    
    Neukirchen: Unser Fokus liegt bei den Drei- bis 
    Sechsjährigen. Das ist ganz klar. Zusätzlich haben wir aber auch immer die 
    älteren Kinder und die Erwachsenen im Hinterkopf. Die Sesamstraße ist 
    einfach ein Familienprogramm. Als Beispiel: Es gibt kleine Spots mit den 
    Figuren Pferd und Wolle (Anm. d. Red: 
    Wolle ist ein Schaf), die dicke Freunde sind und 
    bei uns in der Sesamstraße leben. Ein Spot heißt zum Beispiel „Deutschland 
    sucht das Superschaf“. Der Mix aus verbaler und physical Comedy  in den 
    Spots sorgt dafür, dass die ganze Familie ihren Spaß haben kann. Kinder 
    lachen über Wolles lustige Art zu singen und die Erwachsenen über die 
    Persiflage. Eine anderer Sendereihe „Wolle am Mittag“ beinhaltet eine 
    Persiflage auf Talkshows. Pferd und Wolle setzen sich hier mit dem Thema 
    „Mein Freund hat Hufgeruch“ auf talkshowtypische Art auseinander. Obwohl 
    die Kinder vielleicht die Anspielung auf eine bestimmtes Fernsehformat noch 
    nicht verstehen, haben sie dennoch ihren Spaß an den Witzen zwischen Pferd 
    und Wolle. Den Eltern ist natürlich klar, welche Anspielung wir da meinen 
    beziehungsweise um welchen Geruch es da eigentlich geht. So amüsieren sich Kinder und 
    Erwachsene. 
     
    Die Gegenwart: Vielleicht möchten Sie ja Werte 
    vermitteln, die in unserer Gesellschaft immer mehr an Bedeutung verlieren. 
    Oder anders ausgedrückt, sehen sie die Sesamstraße als Institution, die den 
    Kindern Werte vermittelt die in der heutigen Erziehung  vernachlässigt werden? 
     
    
    Neukirchen: Auf jeden Fall vermitteln wir Werte. 
    Ansonsten ist diese Frage sehr schwer zu beantworten, weil ich nicht weiß, 
    wie viel das Fernsehen zur Erziehung von Kindern beiträgt 
    beziehungsweise beitragen 
    kann. Fernsehen kann nicht die Eltern ersetzen, deren Aufgabe es ist, die 
    Kinder zu erziehen. Wir möchten positive Werte vermitteln, wie tolerantes 
    Miteinander, positive Möglichkeiten Streit zu schlichten oder seine Meinung 
    auszudrücken. Zentrale Themen der Sesamstraße sind, zum Beispiel: 
    Selbstvertrauen oder Ich-Stärke. Die Erziehung der Eltern können und wollen 
    wir nicht ersetzen. Das wäre mit einem Fernsehformat auch gar nicht zu 
    leisten. 
     
    Die Gegenwart: Und wo sehen sie das Format in zehn 
    Jahren?  
     
    
    Neukirchen: Wir sind gerade damit beschäftigt, einen 
    Relaunch zu planen. In Zukunft wird sich einiges ändern. Ein Beispiel: In 
    Planung ist die Einführung von zwei neuen Muppets. Es wird sich dabei um eine 
    alleinerziehende Mutter mit ihrem Kind handeln. Die Mutter muss die 
    Erziehung ihres Kindes mit dem Beruf vereinbaren. Als Fotoreporterin wird 
    sie prominente Persönlichkeiten, also bekannt Sportler, Politiker oder 
    Musiker interviewen. Dabei soll gezeigt werden, dass das Leben einer allein 
    erziehenden Mutter nicht nur aus Organisationsproblemen besteht, sondern es 
    auch eine Menge komische Situationen mit sich bringt. 
     
     
    Seit vier 
    Jahren verfolgen wir außerdem verstärkt die Umsetzung eines Comedy-Konzeptes. 
    Neben vielen bekannten Schauspielern treten seitdem auch Comedy-Stars in der 
    deutschen Sesamstraße auf. Ein großer Teil der erzählten Geschichten basiert 
    dabei auf der ‚Physical Comedy’, die, um es vielleicht zu verdeutlichen, 
    früher ganz typisch in den ‚Dick und Doof’-Filmen angewendet wurde. D.h. wir 
    legen den Schwerpunkt mehr auf den visuellen als auf den verbalen Witz. 
    Diese Art von Humor ist für die Kleinkinder gut zu verstehen und auch 
    Erwachsene haben ihren Spaß daran.   | 
    
    AUSGABE 41 
    DIE 
    GEGENWART FÜR KINDER 
     
     
      
     
    
    STARTSEITE 
     
    
    EDITORIAL VON BJÖRN 
    BRÜCKERHOFF 
    INTERVIEW MIT JUTTA LIMBACH 
    DIE SESAMSTRASSE 
    
    ZIGEUNER 
    IM BAHNWAGGON  
    FÜHRERSCHEIN MIT FÜNF? 
    DIE WELT IST KEIN SPIELZEUG 
    WILDE KERLE UND WUNSCHFEEN 
    SEHR FRÜH ÜBT SICH 
    TAGESSCHAU KINDERLEICHT 
    AMPUTIERTE KLASSIKER 
    JUGENDMEDIENSCHUTZ 
    
    OHRENSCHMAUS IM UNTERGRUND 
    
    ES WAR EINMAL, ... 
    AMERIKA HAT GEWÄHLT 
    IN 
    EIGENER SACHE: RÜCKBLICK 2003/04 
    
     
    
    ALLE AUSGABEN IM ARCHIV 
    DIE GEGENWART IN STICHWORTEN 
    ÜBER DAS MAGAZIN 
    IMPRESSUM 
     
    
    
      
    
    
     
    
    
    
    
    
    
     
    
    
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