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    Die 
    Renaissance des Charismokraten 
    
     
     
    
     
    
    
     
    Text: 
    
    
    Christoph König   
    Bilder:
    
    
    Jennifer Scheydt 
    
    
    
     
    
    Es ist Wahlkampf. 
    Auf dem Karlsruher Marktplatz hat die Linkspartei ihre Bühne aufgebaut. Ein 
    paar Hundert sind gekommen. Junge Attac-Aktivisten verteilen Handzettel. Ein 
    paar ältere Mitbürger in ausgelatschten Birkenstocksandalen nuscheln vom 
    Recht des kleinen Mannes. Der Star des Nachmittags lässt auf sich warten. 
     
    Noch gehört das Podium der sozialistischen Vorgruppe um den 
    baden-württembergischen Spitzenkandidaten der Linkspartei, Ulrich Maurer. 
    Hin und wieder unterbrechen die Zuschauer ihr Gespräch für einen verhaltenen 
    Applaus. Dann betritt Oskar Lafontaine die Bühne und auf einmal ist alles 
    anders.  
     
    Vorhang auf 
     
    Die Anhänger schreien vor Verzückung, der Kandidat hebt die Hände zur 
    Siegespose schreitet zum Mikrofon und schreit sich warm: Die Rede ist von 
    der Billiglohnkonkurrenz, der „neoliberalen Hetzpresse“ und der „Demütigung 
    der Menschen“. Die Kulisse könnte nicht unpassender sein. Die Sonne scheint, 
    vor dem Karlsruher Rathaus blüht der Oleander, Geranien zieren die Fenster 
    der viel gerühmten klassizistischen Häuserfront. Aber Lafontaine ist in 
    seinem Element, hebt die Fäuste, schwitzt und brüllt.  
     
    Lange sah es danach aus, als hätte er der Politik den Rücken gekehrt. Wir 
    erinnern uns: 1999 tritt Lafontaine aus Protest gegen die Politik des 
    Kanzlers als Bundesfinanzminister und Bundesvorsitzender der SPD zurück. Den 
    Ruhestand vertreibt sich Lafontaine mit Lesereisen, Galadiners, Bildkolumnen 
    und Montagsdemos. Dann die vorgezogenen Neuwahlen, Schröder kämpft um das 
    Vertrauen des kleinen Mannes, in den Straßen brodelt es und die PDS sucht 
    eine Galionsfigur für den Wahlkampf im Westen: Die Chancen, sich an Schröder 
    zu rächen, könnten nicht besser sein.  
     
    Der Chefcharmeur polarisiert 
     
    Die Regierung Schröder habe die Menschen belogen und betrogen, schallt 
    es deshalb aus den großen Lautsprecherboxen auf dem Karlsruher Marktplatz. 
    Noch immer redet Lafontaine in Rage und gestikuliert. Sein Gesicht ist 
    puterrot, als er sich verbal an seine Kritiker richtet.  
     
    Die werfen ihm vor, seine Glaubwürdigkeit im Einsatz für die sozial 
    Benachteiligten leide unter seinem luxuriösen Lebenswandel. Lafontaine sagt, 
    er sei umso glaubwürdiger, wenn er Vorschläge mache, die ihn als Reichen 
    selbst stärker belasten. Seine Fans jubeln, andere verlassen den Platz 
    kopfschüttelnd.  
     
    Wie so oft in seinem politischen Leben scheint es, als könne sein Ruf als 
    Robin Hood der sozial Entrechteten durch nichts und niemandem Schaden 
    nehmen. Der Debatte um den „Luxuslinken“ zum Trotz sehen die Umfragen die 
    SED-Nachfolger-Nachfolgepartei sicher im Bundestag. Die vielen Enttäuschten 
    und der „kleine Mann“, der auch mal Recht haben will, sehen zu ihm auf. 
    Immer wieder schafft es der Saarländer, seine Verfehlungen zum Vorteil zu 
    nutzen. Ob bewusst oder unbewusst – so funktioniert das System Lafontaine.
     
     
    „Der Monsieur von den großen Plakaten“ 
     
    Denken wir zurück an das Jahr 1993. Es war erst ein Jahr vergangen seit 
    „Der Spiegel“ aufgedeckt hatte, dass Lafontaine ungerechtfertigte Bezüge aus 
    früheren Ämtern bezogen hatte. Übrigens nannte das Magazin die Ausgabe 
    bereits damals „Die Luxuspolitiker“. Schon sorgte das TV-Magazin „Panorama“ 
    für neue Aufregung. Während seiner Amtszeit als Oberbürgermeister von 
    Saarbrücken soll Lafontaine einem befreundeten Bordellbesitzer vor Razzien 
    gewarnt und Steuervorteile gewährt haben. „Der Spiegel“ setzte noch eins 
    drauf: 1975 soll der Oberbürgermeister mit Alkohol am Steuer mehrere Autos 
    mitten im Rotlichtviertel demoliert haben. Nach dem Besucher „O.“ befragt 
    soll eine französische Bardame spontan auf ein Wahlkampf-Konterfei gezeigt 
    haben: „Na, der Monsieur von den großen Plakaten“.  
     
    Monsieur Lafontaine verhinderte die Ausstrahlung des „Panorama-Beitrags“ 
    gerichtlich und kritisierte die Vorwürfe als „Schweinejournalismus“. Unter 
    anderem deshalb setzte er 1994 eine Änderung des saarländischen Presserechts 
    durch, das die redaktionelle Kommentierung von Gegendarstellungen verbot. 
    Bei den Kollegen der saarländischen Presse machte er sich damit keine neuen 
    Freunde. In der Bevölkerung war er auch nach der „Rotlicht-Affäre“ 
    ungebrochen beliebt, womöglich sogar gerade deshalb.  
     
    Politik am seidenen Faden 
     
    Aber was ist so faszinierend an der Gestalt Lafontaine? Gut, wer ihn 
    nicht mag, der wird nur schwerlich von seinen Wahlkampfreden beeinflusst 
    werden. Ist es vielleicht gerade sein zeitweise Inkonsequenz oder sind es 
    seine menschelnden Verfehlungen? Vielleicht ist es in der Politik wie bei 
    den Comic-Superhelden: Während Superman als unfehlbare moralische 
    Lichtgestalt auftritt, strauchelt Spiderman über vor allem über sich selbst 
    – und hat die Sympathien der Leser auf seiner Seite.  
      
    
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    AUSGABE 45 
    DER 
    EHRLICHE WAHLKAMPF 
     
     
      
     
    
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    EDITORIAL VON BJÖRN 
    BRÜCKERHOFF 
    DIE VERWANDLUNG 
    DER 
    VERTRAUTE 
    
    "ICH 
    TIPPE AUF EINE GROSSE KOALITION" 
    REFORMPOLITIK OHNE WÄHLERAUFTRAG 
    DIE MARKE JOSCHKA 
    RENAISSANCE DER 
    CHARISMOKRATEN 
    
    
    EINE FRAGE DES VERTRAUENS 
    IN IST, WER DRIN IST 
    
     
    
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