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    Eine 
    Frage des Vertrauens 
    
     
    
     
    
    
     
    Text: 
    
    
    
    Jens O. Brelle    Bild: 
    Photocase.de/BB 
    
    
    
     
    
    
    Der Hamburger Medienanwalt Jens O. Brelle erläutert in der Gegenwart die 
    rechtlichen Hintergründe der Vertrauensfrage und ihre Rolle in der 
    bundesrepublikanischen Geschichte. 
     
    Durch Antrag kann der Bundeskanzler überprüfen lassen, ob er noch die 
    Zustimmung der Mehrheit der Bundestagsabgeordneten hat. Erreicht er nicht 
    die erforderliche Zustimmung, kann der Bundespräsident auf Vorschlag des 
    Bundeskanzlers innerhalb von 21 Tagen den Bundestag auflösen (Art. 68 
    Grundgesetz). Dieses demokratische politische Instrument haben in 
    bundesrepublikanischen Geschichte bereits vier Bundeskanzler eingesetzt: 
    Willy Brandt im Jahre 1972, Helmut Schmidt 1982, Helmut Kohl 1982, Gerhard 
    Schröder 2001 und im Jahre 2005. 
     
    Im Gegensatz zum konstruktiven Misstrauensvotum ergreift der Bundeskanzler 
    selbst die Initiative und kann mit der Vertrauensfrage oder schon mit ihrer 
    bloßen Androhung die ihn tragende Parlamentsmehrheit disziplinieren. Wird 
    die Vertrauensfrage nicht positiv beantwortet, kann er dem Bundespräsidenten 
    vorschlagen, den Bundestag aufzulösen. 
     
    Artikel 68 lautet in der seit dem 23. Mai 1949 unveränderten Fassung des 
    Grundgesetzes: 
     
    
    „(1) Findet ein Antrag des 
    Bundeskanzlers, ihm das Vertrauen auszusprechen, nicht die Zustimmung der 
    Mehrheit der Mitglieder des Bundestages, so kann der Bundespräsident auf 
    Vorschlag des Bundeskanzlers binnen einundzwanzig Tagen den Bundestag 
    auflösen. Das Recht zur Auflösung erlischt, sobald der Bundestag mit der 
    Mehrheit seiner Mitglieder einen anderen Bundeskanzler wählt.  
    
     
    
    (2) Zwischen dem Antrag und 
    der Abstimmung müssen achtundvierzig Stunden liegen.“ 
    
    Die echte Vertrauensfrage 
     
    In seiner Entscheidung über die Organklage vom 16. Februar 1983 hat das 
    Bundesverfassungsgericht umfassend zum Instrument der Vertrauensfrage 
    Stellung genommen ( BVerfGE 
    62, 1). 
    Gegen die Auflösung des Bundestages 1983 durch Bundespräsident Karl Carstens 
    nach der Vertrauensfrage Helmut Kohls hatten vier Mitglieder des Bundestages 
    Organklage eingelegt, weil sie der Ansicht waren, dass Helmut Kohl zwar das 
    Vertrauen einer Mehrheit des Bundestages hatte, aber in missbräuchlicher 
    Weise Neuwahlen herbeiführen wollte.  
    
     
    Das Bundesverfassungsgericht hat festgestellt, dass Vertrauen im Sinne von 
    Art. 68 GG nicht im umgangssprachlichen Sinne definiert sei, sondern als 
    Zustimmung zu Person und Programm des Bundeskanzlers. Dies bedeute, dass der 
    Bundeskanzler die Vertrauensfrage nur stellen dürfe, wenn er sich 
    tatsächlich nicht mehr sicher sei, dass seine Politik von der 
    Parlamentsmehrheit unterstützt wird. Dadurch muss seine Handlungsfähigkeit 
    so stark beeinträchtigt sein, dass er „eine vom stetigen Vertrauen der 
    Mehrheit getragene Politik nicht sinnvoll zu verfolgen vermag“. Dies sei ein 
    „ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal“ der Vorschrift – echte Vertrauensfrage. 
     
    Die unechte Vertrauensfrage  
     
    
    
    Der 
    Bundeskanzler darf die Vertrauensfrage nicht mit dem Ziel stellen, sie 
    negativ beantwortet zu bekommen, damit er zum seiner Ansicht nach geeigneten 
    Zeitpunkt Neuwahlen vorschlagen kann, sofern er insgesamt noch mit der 
    Zustimmung der Mehrheit des Bundestages zu seiner Politik rechnen kann 
    (unechte Vertrauensfrage). 
     
    
    
    1972: Willy Brandt 
     
    In der 
    Abstimmung am 22. September 1972 wurde Willy Brandt das Vertrauen nicht 
    ausgesprochen, da die Mitglieder der Bundesregierung nicht daran teilnahmen. 
    Es handelte sich wegen der bewussten Herbeiführung der Niederlage nahezu um 
    eine „unechte Vertrauensfrage“. Die Entscheidung über die Auflösung des 
    Bundestages war jedoch verfassungsgemäß: Brandt konnte sich seiner Mehrheit 
    nicht mehr sicher sein. Die von ihm maßgeblich beförderten Ostverträge, die 
    die Aussöhnung mit Polen und der Sowjetunion enthielten, waren zwischen 1970 
    und 1972 auf heftige Kritik gestoßen. Besonders die faktische Anerkennung 
    der Oder-Neiße-Grenze verstieß nach Meinung der Kritiker gegen das 
    Wiedervereinigungsgebot des Grundgesetzes. Es hatte vorher zudem eine 
    Niederlage bei der Verabschiedung des Bundeshaushaltes gegeben. 
    
     
     
 1982: 
    Helmut Schmidt 
     
    In der Abstimmung am 5. Februar 1982 erhielt Helmut Schmidt ein positives 
    Vertrauensvotum vom Parlament. Vorausgegangen waren große Spannungen der 
    regierenden SPD/FDP-Koalition über den 
    Bundeshaushalt. Trotz einer Kabinettsumbildung führte der Konflikt über den 
    Bundeshaushalt 1983 schließlich zum Bruch der Koalition: Am 17. September 
    1982 erklärten die FDP-Minister ihren Rücktritt, am 1. Oktober 1982 wurde 
    Bundeskanzler Schmidt durch ein konstruktives Misstrauensvotum von CDU/CSU 
    und FDP gestürzt und Helmut Kohl zum Bundeskanzler gewählt. 
     
    
    1982: 
    Helmut Kohl 
     
    Über die Vertrauensfrage stimmte das Parlament am 17. Dezember 1982 ab. 
    Obwohl erst am Tag zuvor der gemeinsame Bundeshaushalt für 1983 beschlossen 
    worden war, sprach das Parlament dem Helmut Kohl das Vertrauen nicht aus. In 
    diesem Falle hat das Bundesverfassungsgericht jedoch die Rechtmäßigkeit der 
    Parlamentsauflösung bejaht, da er wegen des Bruchs der sozial-liberalen 
    Koalition in den Reihen der FDP wechselnde bzw. unsichere Mehrheiten habe 
    befürchten müssen, Urteil BVerfG v. 16. Februar 1983 ( BVerfGE 
    62, 1). 
     
    
    2001: Gerhard Schröder 
     
    Nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 hatte Bundeskanzler Gerhard 
    Schröder den angegriffenen Vereinigten Staaten noch am selben Tag 
    „bedingungslose Solidarität“ versichert. Obwohl durch die Unterstützung von 
    CDU/CSU und FDP eine breite parlamentarische Mehrheit des Bundestages für 
    den Einsatz der Bundeswehr sicher gewesen wäre, entschied sich Bundeskanzler 
    Schröder, am 16. November 2001 die Vertrauensfrage mit der Abstimmung über 
    die Beteiligung der Bundeswehr am Krieg in Afghanistan zu verbinden (sog. 
    verbundener Vertrauensantrag). Dem Bundeskanzler wurde mit knapper 
    Regierungsmehrheit das Vertrauen ausgesprochen. 
     
    
    2005: 
    Gerhard Schröder 
     
    Nachdem am 22. Mai 2005 bei der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen 2005 die 
    letzte rot-grüne Koalition auf Landesebene abgewählt worden war, kündigte 
    Bundeskanzler Gerhard Schröder noch am Wahlabend an, die Vertrauensfrage zu 
    stellen, um die vorzeitige Auflösung des Bundestages und im Herbst 2005 
    vorgezogene Bundestagswahlen zu erreichen. Am 27. Juni 2005 übermittelte der 
    Bundeskanzler dem Bundestag seinen Antrag, ihm das Vertrauen auszusprechen. 
    Der Abstimmung ging eine Debatte voraus, in der der Kanzler seinen Antrag 
    mit mangelnder Handlungsfähigkeit seiner Regierung und dem SPD-internen 
    Konflikt rund um die Reformagenda 2010 begründete. Er könne sich einer 
    "stabilen Mehrheit des Bundestages" nicht mehr sicher sein. Ihm wurde das 
    Vertrauen nicht ausgesprochen. 
     
    Das Verfassungsgericht hat mit Urteil vom 25. August 2005 die Auflösung des 
    Parlaments und die Anordnung von Neuwahlen infolge der Vertrauensfrage von 
    Gerhard Schröder bestätigt. Maßstab sei vor allem der Zweck des Art. 68 GG, 
    ihm widerspreche eine auflösungsgerichtete Vertrauensfrage nicht. Der 
    Einschätzung des Bundeskanzlers, er könne bei den bestehenden 
    Kräfteverhältnissen künftig keine vom Vertrauen der Parlamentsmehrheit 
    getragene Politik mehr verfolgen, sei keine andere Einschätzung eindeutig 
    vorzuziehen. 
     
    Echte und unechte Vertrauensfragen werden mit dieser Entscheidung des 
    Bundesverfassungsgerichts im Ergebnis nahezu gleichgestellt.  
     
     
     
    Quellen & Literatur: 
     
    
     Urteil 
    des Bundesverfassungsgerichts v. 16.02.1983 
    
     Urteil 
    des Bundesverfassungsgerichts v. 23.08.2005 
    
     Urteil 
    des Bundesverfassungsgerichts v. 25.08.2005 
    
     Wikipedia 
    – die freie Enzykoplädie 
    
     Fernsehansprache 
    von Bundespräsident Horst Köhler am 21.07.2005
    
     
     
     
     
    
    
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