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    Der aktuelle Wahlkampf ist ein Beispiel dafür in welch 
    außerordentlichem Maße 
    sich 'Politik-machen' in den letzten Jahren professionalisiert hat. 
     
    
    Die Gegenwart: Machen die 
    Parteien dabei deutlich genug, wofür sie stehen? 
     
    Schubert: Na ja, die 
    Parteien wollen gewählt werden: SPD und Grüne wegen 'weiter so', CDU/CSU 
    wegen 'anders als', die FDP ist diesmal 'ganz entschieden' und die 
    Linkspartei sammelt die Unzufriedenen. Insbesondere, was die etablierten 
    Parteien betrifft, bleibt das alles ziemlich verschwommen: Wo ist der/die 
    überzeugende schwarz-gelbe Außenminister/in? Wer hat in diesem 
    'Kompetenzteam' wirklich wirtschaftspolitische Kompetenz? Steuerfragen sind 
    wichtig, aber der Steuerexperte wird von der eigenen Mannschaft demontiert 
    und zunehmend zum wichtigsten Grund die SPD zu wählen. Und die Regierung: 
    Wird sich die größere Regierungspartei, durch diesen Wahlkampf so geläutert 
    haben, dass sie den Kurs des Kanzlers nun unterstützen wird? Welchen Kurs? 
    Dass die Agenda 2010 nur der Anfang war ist klar, was aber steht noch bevor? 
    Die positiven Entwicklungen der letzten sieben Jahre, die gibt es ja, können 
    weder von grün noch von rot richtig transportiert werden. 
     
    Die Gegenwart: Und das Duell der Kandidatin mit Bundeskanzler 
    Gerhard Schröder: wer ist 
    ihrer Meinung nach als Sieger 
    hervorgegangen? 
     
    Schubert: Die Analyse 
    der Umfrageprofis kennen sie: Da die Erwartungen an Frau Merkel beträchtlich 
    niedriger waren als an den 'Medienprofi' Schröder, sie aber so viel 
    schlechter nicht war, hat sie gewonnen. Ich will mir diese Logik nicht 
    zueigen machen. Der Kanzler war klarer, präziser, authentischer und damit 
    überzeugender. Die Kandidatin hatte – in Bezug auf diesen medialen Auftritt 
    – außerordentlich gut dazu gelernt und war insgesamt wesentlich freier und 
    entkrampfter, als wir sie kennen. Sie blieb aber in Bezug auf die Fakten und 
    Argumente verschwommener. Schröder ist zwar kein Wirtschaftsfachmann – das 
    ist die fachliche Kompetenz, die wir zurzeit in aller erster Linie brauchen 
    –, aber von der viel gepriesenen Präzision und Klarheit der 
    Naturwissenschaftlerin Merkel kam wenig rüber.  
    Dennoch: Zu diesem Duell gehört auch die Vorgeschichte. Und hier hat 
    der Regierungschef die Chance nicht genutzt, zu erklären, warum wir ihm – 
    obwohl er doch eigentlich nicht kann – nun zutrauen sollen, dass er kann. 
    Das wäre die wichtigste Frage gewesen, die er an diesem Abend öffentlich 
    hätte klären müssen.  
    Ich bin sicher, dass wieder einmal nur eine Regierung abgewählt wird, nicht 
    aber die Opposition mit dem Regierungsgeschäft beauftragt wird, weil sie 
    überzeugend darlegt, dass sie besser ist. 
     
    Die Gegenwart: 
    Beeinflusst dies ihrer Meinung nach die Aussichten der CDU/CSU auf einen 
    Wahlsieg? 
     
    Schubert: Nein. Der 
    Abstand zwischen CDU/CSU und SPD ist zu groß. Ich denke die mögliche Wirkung 
    dieses Duells wird überschätzt. CDU/CSU werden aufgrund dieser Sendung kaum 
    schlechter abschneiden. Dafür wären dramatischere Unterschiede –
    persönlicher 
    oder fachlicher Art – notwendig gewesen. Aber 
    sie wissen ja, dass 
    schwarz/gelb nur einen hauchdünnen Vorsprung hat. Hier können geringfügige 
    Verschiebungen das Ziel eine konservativ-liberale Koalition zu bilden 
    gefährden. 
    Ich halte aber das Format des Duells für völlig falsch. Hier zwingt das 
    Medium Rundfunk und Fernsehen die politische 
    Auseinandersetzung in eine völlig falsche Form. Deutschland ist eine 
    Parteiendemokratie und das Kanzlerprinzip hat genau dort seine Grenzen, wo 
    die Regierungspartei(en) vom Kanzler nicht mehr überzeugt werden können, 
    nicht mehr mitmachen. Und was passiert, wenn ein Kanzler seine Partei nicht 
    hinter sich hat sehen wir ja gerade; vergleichen sie die aktuelle Situation 
    mit der Endphase von Helmut Schmidts sozial-liberaler Koalition.
    Weil also Deutschland eine Parteiendemokratie ist, müssen auch die 
    wichtigsten öffentlichen Auseinandersetzungen in dieser pluralistischen Form 
    stattfinden. Die Diadochen-Kämpfe – mal angenommen 
    dies wäre einer gewesen – tragen nicht zur Klarheit 
    bei: Selbst, wenn Frau Merkel in Bezug auf die wichtigsten politischen 
    Probleme und politischen Ämter eindeutige, klare Vorstellungen hätte, müsste 
    sie diese in anstehenden Koalitionsverhandlungen zur Disposition stellen – 
    für eine kleine Koalition weniger, für eine, nicht völlig unrealistische 
    große Koalition in höherem Maße.  
     
    Die Gegenwart: Wie beurteilen sie das mediale 
    Auftreten der Kanzlerkandidatin allgemein? 
     
    Schubert: Professionell. 
    Eine kluge, strategisch denkende Frau, die sich gut selbst darstellen kann. 
     
    Die Gegenwart: Wie haben 
    sich die markanten Äußerungen von Edmund Stoiber auf die Erfolgsaussichten 
    der CDU/CSU im Wahlkampf ausgewirkt? 
     
    Schubert: Auch für viele 
    Wessis sind diese Äußerungen völlig unakzeptabel. Seine Leistungen in und 
    für Bayern sind doch unbestritten. Er hätte es also gar nicht nötig, sich 
    wegen der verlorenen Wahl 2002 so bloß zu stellen – das lässt auch für kurz 
    einmal die fragile Egozentrik dieses Politikers aufscheinen. Natürlich hat 
    er damit der gemeinsamen Sache von CDU/CSU einen Bärendienst erwiesen.  Aber 
    wie steht es denn mit den anderen CDU-Ministerpräsidenten? Vom 
    Kompetenzteamer Müller aus dem Saarland mal abgesehen: Tut da einer auch nur 
    einen Hauch mehr als gerade seine Pflicht? Von Enthusiasmus keine Spur. Da 
    wird sich eine Kanzlerin Merkel noch auf  manche Auseinandersetzung 
    einzustellen haben. Verwunderlich ist das nicht: Die CDU-Ministerpräsidenten 
    werden den 'Volkeswillen' zuerst zu spüren bekommen, wenn auf Bundesebene 
    wirklich ein anderer, neuer Wind wehen sollte. 
     
    Die Gegenwart: Und Schröder:
    Weshalb lässt sich in der Öffentlichkeit glaubhaft machen, dass der 
    Bundeskanzler wieder als Kandidat seiner Partei antreten kann, obwohl ihm 
    angeblich das Vertrauen fehlt? 
     
    Schubert: Na ja, auf den 
    ersten Blick geht das eigentlich nicht. Aber die politische Logik 
    funktioniert anders: Der Kanzler sieht zu seinem Programm, der Agenda 2010, 
    keine Alternative. Er kann dies der Öffentlichkeit und – noch wichtiger – 
    seiner Partei aber nur deutlich machen, indem er den politischen Gegner dazu 
    zwingt, ein eigenes, in diesem Fall ein weitergehendes, schärferes Programm 
    vorzulegen. Nun hat der Souverän die Wahl und die innerparteilichen 
    Widersacher haben vor Augen, was passiert, wenn sie sich nicht hinter ihren 
    Kanzler stellen. Möglicherweise ist das sogar wirklich ein Weg 
    Glaubwürdigkeit – zumindest etwas mehr Akzeptanz – wieder herzustellen. 
     
    Die Gegenwart: Stichwort 
    Glaubwürdigkeit: Warum werden Ehrlichkeit, Glaubwürdigkeit und Vertrauen in 
    diesem Wahlkampf so deutlich betont? 
     
    Schubert: Weil man 
    glaubt, damit die Wähler und Wählerinnen anzusprechen. Das ist in allen 
    Wahlkämpfen gleich. Vermeintlich schadet das dem politischen Gegner, 
    tatsächlich aber tragen die Politiker und Politikerinnen damit zu 
    Vertrauenskrise der Politik insgesamt bei. Das Schema ist zu simpel und 
    reicht oft nicht mal, um die eigene Klientel zu motivieren. „Versprochen – 
    gebrochen“: Das meint doch, im Gegensatz zum politischen Gegner, werden wir 
    einhalten, was wir gesagt haben und erreichen, was wir vorhaben. Das kann 
    aber ehrlicherweise kein Politiker versprechen. Politik besteht aus der 
    'Kunst des Möglichen'. Selbstverständlich muss man eigene Ziele und Pläne 
    haben. Dies kann man aber nur im Miteinander und Gegeneinander, im Streit 
    und im Kompromiss mit unzähligen anderen Interessen und Zielen. Selbst 
    Autokraten können sich dem nicht entziehen – auch ein 
    
     Lukaschenko muss 
    wenigsten seine Vasallen einbinden. In den modernen Demokratien müsste der 
    Öffentlichkeit also vermittelt werden: Verhandeln und Kompromisse schaffen, 
    das ist das politische Geschäft. Ich bin der-/diejenige, die die besten, 
    förderlichsten, dem politischen Gemeinwesen nützlichsten Kompromisse 
    schafft. Das zeichnet mich als erfolgreichen demokratischen Führer aus. 
     
    Die Gegenwart: Wie 
    beurteilen sie die aktuellen Chancen der SPD auf einen Wahlsieg? 
     
    Schubert: Was heißt Sieg? Wenn die Partei in die Nähe 
    des letzten Ergebnisses kommt, müsste sie dem Kanzler wirklich dankbar sein. 
    Denken sie an die Linkspartei. Alles, was der SPD links wegläuft, muss sie 
    sich in der Mitte holen. Vielleicht ist die Etablierung der Linkspartei das 
    funktionale Äquivalent zum Elbe-Hochwasser der letzten Wahl: Durch den 
    Kontrast können sich der Kanzler und bis zum gewissen Grade auch die SPD als 
    „die handlungsfähige und soziale Alternative in der Mitte“ 
    darstellen. Aber ein Sieg im Sinne einer erneuten Kanzlerschaft Schröders 
    ist außerordentlich unrealistisch. 
     
    Die Gegenwart: Halten 
    sie eine Koalition aus SPD und Linkspartei für denkbar, obwohl dieser 
    Schritt zurzeit offiziell ausgeschlossen wird? 
     
    Schubert: In absehbarer 
    Zeit und mit dem jetzigen Personal: nein. Eventuell auf lokaler und 
    regionaler Ebene. Wowereit arbeitet ja bereits mit der PDS zusammen. Aber 
    können sie sich vorstellen, dass eine weiter in die Mitte gerückte SPD – 
    also Clement, Steinbrück, Eichel – mit Lafontaine und Gysi koalieren würden? 
    Die hatten doch ihre Chance. Da ist doch keinerlei persönliches Vertrauen, 
    geschweige denn Zutrauen, mehr da. Was passiert, wenn da mal eine 'next 
    generation' ranreift, kann man natürlich nicht wissen. Ich halte aber auch 
    den viel weitergehenden Traum Lafontaines, die Arbeiterklasse (sic!) wieder 
    in einer Partei binden zu können, für unrealistisch. 
     
    Schubert: In diesem 
    Wahlkampf werden „unangenehme Schritte“ wie eine Mehrwertsteuererhöhung 
    bereits thematisiert. Warum geschieht dieses Novum im Wahlkampf? Gab es 
    bereits vergleichbare Vorgänge in der Vergangenheit? 
     
    Schubert: Na ja, das 
    gehört zum Thema Ehrlichkeit: Hier kann man eine faktische Notwendigkeit –
    Haushaltsprobleme einerseits, Anpassung an EU-Standards andererseits
    – mit der 'Misswirtschaft' der ehemaligen Regierung begründen. Dies 
    ist kein Novum. Man ist ja nicht selbst schuld, an dieser Maßnahme. Da ist 
    es billig, 'ehrlich' zu sein.  
     
    Die Gegenwart: Wird Frau 
    Merkel – ihrer Meinung nach – Kanzlerin werden? 
     
    Schubert: Ja. Ich tippe aber 
    auf eine große Koalition.   |