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    Die Verwandlung 
    
     
    
     
    
    
     
    Text: 
    
    
    Stefan Nicola    Bild:
    
    
    CDU 
    
     
    Seit kurzer Zeit erstrahlt
    
     Angela 
    Merkel 
    in Apricot und Orange. Scheinbar unzählige Kostüme 
    mit der neuen Wahlfarbe der CDU hat die Kanzlerkandidatin nun in ihrem 
    Repertoire. Das soll freundlich wirken, dass soll Wählerstimmen einfahren. 
    Nebst der aufgepeppten Kleiderordnung hat die 51-Jährige ihr Make-up 
    Täschchen erweitern lassen und setzt regelmäßig ein  feminines 
    Lächeln ein. Das ist nötig, um an die Macht zu kommen, sagen die 
    Wahlkampfberater. 
     
    Vor ein paar Jahren sah das noch anders aus. Als Frau 
    Merkel nach der Wende in den Bundestag einzog, mit Prinz-Eisenherz-Frisur 
    und DDR-Klamotten, nannte sie CDU-Altkanzler Helmut Kohl noch liebevoll 
    „mein Mädchen.“ Das Mädchen hat sich dann in nur 15 Jahren, in einer der 
    eindrucksvollsten politischen Aufstiege in der Geschichte der 
    Bundesrepublik, von der Mini-Ministerin zur (wahrscheinlich) kommenden 
    Bundeskanzlerin hochgearbeitet. Eine protestantische Frau aus dem Osten an 
    der Spitze einer westdeutschen, katholischen Männerpartei
    – es macht die 
    Merkelsche Karriere nur noch erstaunlicher. 
     
    Angefangen hat dieser Aufstieg dort, wo es seit Jahren nur noch bergab geht: 
    Im Osten. Geboren wurde Merkel zwar in Hamburg, aufgewachsen ist sie jedoch 
    in Brandenburg. In der DDR muss sie sich politisch wie sozial isoliert 
    gefühlt haben: Ihr Vater ein evangelischer Pfarrer, ihre Mutter eine 
    Englisch- und Lateinlehrerin, die ihren Beruf nicht ausüben durfte. 
    Biographen sagen, sie sei in einer „Distanz zur DDR“ aufgewachsen.  
     
    Aufmüpfig wurde Merkel jedoch nie. In Leipzig begann sie, in 
    naturwissenschaftlichen Fächern hochbegabt, ein Physik-Studium. Da hatte 
    sich Merkel schon einen Namen in der Freien Deutschen Jugend gemacht. 
    Beobachter nennen die Zeit bei der FDJ Merkels politische Kaderschmiede. 
     
    Sie promovierte mit einer Dissertation über die „ Geschwindigkeits-konstanten 
    von Reaktionen einfacher Kohlenwasserstoffe.“ Kein Wunder, dass die Stasi 
    sich schon 1978 für ihre Dienste interessiert haben soll. Frau Merkel habe 
    abgelehnt, ist zu lesen 
    
    – sie hatte wohl andere Ziele. 
     
    Nachdem sich in der DDR die ersten Demokratie-Bewegungen aufmachten, die 
    politische Lage umzukrempeln, nahm Merkel ein Amt bei der Partei 
    Demokratischer Aufbruch war. 1990 wurde sie stellvertretende Sprecherin der 
    ersten (und letzten) demokratisch gewählten Regierung der DDR. 
    Ministerpräsident 
     Lothar de Maizière stellte die damals 35-Jährige seinem 
    westdeutschen Kollegen Kohl vor. Der war so beeindruckt von der jungen 
    Merkel, dass er sie nach nur fünf Monaten Parteimitgliedschaft zur 
    bundesdeutschen Kinder- und Jugendministerin machte. 
     
    Und dann begann ihr kometenhafter Aufstieg: Zweifache Bundesministerin, 
    Partei-Chefin in Mecklenburg-Vorpommern, CDU-Generalsekretärin, 
    Oppositionsführerin und nun die erste weibliche Kanzlerkandidatin in der 
    Geschichte der Bundesrepublik. Die harten Fakten sprechen für Merkel: Schon 
    immer vermochte sie durch ihre analytischen Fähigkeiten und ihre fachliche 
    Kompetenz beeindrucken. Im politischen Zwiegespräch unter vier Augen könne 
    Merkel jeden für sich einnehmen, sagen Beobachter.  
     
    Merkel weiß was sie will. Das ist programmatisch, 
    sagen die einen, es ist machtgeil, die
    anderen. Ihren politischen Ziehvater 
    Helmut Kohl ließ sie rasch links liegen, als der 2000 immer tiefer in den 
    Strudel des Parteispendenskandals geriet. Die CDU, so Merkel damals, könne 
    auch ohne Kohl erfolgreich sein. Einige Kollegen hat sie dank ihres Konzepts 
    der maximalen Machtergreifung schlichtweg überholt: Roland Koch etwa, 
    Friedrich Merz, dann noch Wolfgang Schäuble. Doch sie hat auch treue 
    Gefolgsleute, eine politische „Boy Group“, wie manche zynisch sagen. Zu der 
    zählt Generalsekretär Volker Kauder, aber auch die Ministerpräsidenten Peter 
    Müller (Saarland) und Dieter Althaus (Thüringen). 
     
    Nachdem Bundeskanzler 
     
     Gerhard 
    Schröder 
    am 22. Mai ankündigte, er wolle Neuwahlen beantragen, lachten sich Merkel 
    und Co. ins Fäustchen: Alle Umfragen kündigten mit 
    beruhigendem Vorsprung für Schwarz-Gelb den Wechsel auf bundesdeutscher 
    Ebene an. Dass beide Parteien sich nun wieder angenähert haben, liegt auch 
    an Merkels medialen Schwächen. Vor der Kamera quält sie sich ähnlich wie Jan 
    Ullrich  jedes Jahr in den Alpen. Immer wenn es wichtig wird, kommen 
    rhetorische Verhaspler: Am 1. Juli bescheinigte sie dem Kanzler im Bundestag 
    überraschend „Handlungsfähigkeit“ -- das „un“ fiel einem 
    Versprecher zum Opfer. Kurz 
    darauf warb sie innbrünstig für eine Koalition mit der SPD. FDP-Kollege 
    Guido Westerwelle ist da wohl kurz aufgeschreckt. Der Medienrummel, in dem 
    sich Rivale Schröder auslebt und zu Hause fühlt, ist ihr schlichtweg 
    unangenehm, sagt 
     Ulrich 
    Sollman,
    freiberuflicher Kommunikations-psychologe und Mediencoach. 
     
    „Sie sagt ja ganz klar: Sie will das nicht“, sagt Sollmann. „In der 
    Fachsprache heißt das Autophobie: Die Angst, sich im Spiegel der 
    Öffentlichkeit zu betrachten.“  
     
    Sollmann untersucht zum aktuellen Wahlkampf die mediale Wirkung der beiden 
    Spitzenkandidaten in seinem Internet-Projekt
    
    Charismakurve. 
    Angela Merkel hat da nicht so gut abgeschnitten. 
     
    „Den weiblichen Charme einer Frau Clinton hat sie nicht“, so Sollmann. 
    „Bildlich gesprochen ist sie Ressortvorstand, aber keine 
    Vorstandsvorsitzende." Von der Kanzlerkandidatin gebe es im Wahlkampf
    – ganz anders als von Gerhard Schröder 
    – 
     „sehr wenig 
    schöne Fotos, aber 
    sehr viele, die sie in unvorteilhafter Pose zeigen.“ 
     
    Ordentlich sei ihre Leistung im TV-Duell mit dem Medienkanzler gewesen, so 
    Sollmann. Vor allem wenn sie selbst das Wort ergriff, konnte sie durch ihre 
    guten fachlichen Argumente Sicherheit ausstrahlen, so Sollmann. „Aber immer, 
    wenn sie von dem Bundeskanzler attackiert wurde, hat sie ihr Gesicht zu 
    Grimassen verzogen. Das passte nicht, das haben die Zuschauer gesehen. Man 
    kann ihr in die nonverbalen Karten schauen.“ 
     
    Das positive am TV-Duell: Jeder hatte mit einem haushohen Sieg Schröders 
    gerechnet, da war die ordentliche, versprecherfreie Leistung vor 21 
    Millionen Fernsehzuschauern schon ein Achtungserfolg. Und im letzten 
    Rededuell im Bundestag wirkte Merkel noch eine Spur lockerer und 
    angriffslustiger.  
     
    „Sie kann mit dem Amt wachsen. Aber die Frage wird sein, wie viel Ruhe ihr 
    die Herren von der CDU geben“, sagt Sollmann. „Ich fürchte, sie wird die 
    volle Breitseite kriegen. Dann weiß ich nicht ob sie die nötige 
    Stresssicherheit besitzt.“ 
     
    Doch Merkel will nicht medial begeistern, sie will reformieren. Aus ihrer 
    Not hat sie eine Tugend gemacht: Nicht der Haarschnitt, sondern ihre Ideen 
    sollen überzeugen. "Ehrlichkeit", das sei wichtig, sagt sie. Mut hat sie 
    inhaltlich schon bewiesen. An der heiligen deutschen Kuh Mehrwertsteuer will 
    sie herumdoktern, und in der kommenden Legislaturperiode soll dann auch das 
    komplexe deutsche Steuerrecht vereinfacht werden. Angesichts von 4.7 
    Millionen Arbeitslosen sind die Deutschen reformwillig wie nie. 
    Das Lied, dass die 
    Union im Wahlkampf verwendet, dürften sogar die jetzt 
    ergrauten 68er der Konkurrenz kennen. "Angie, Angie, when will those clouds 
    all disappear?” singt Mick Jagger. “Angie, Angie, where will it lead us from 
    here?  
     
     
    
    
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    AUSGABE 45 
    DER 
    EHRLICHE WAHLKAMPF 
     
     
      
     
    
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    EDITORIAL VON BJÖRN 
    BRÜCKERHOFF 
    DIE VERWANDLUNG 
    
    DER VERTRAUTE 
    
    "ICH 
    TIPPE AUF EINE GROSSE KOALITION" 
    REFORMPOLITIK OHNE WÄHLERAUFTRAG 
    DIE MARKE JOSCHKA 
    RENAISSANCE DER 
    CHARISMOKRATEN 
    EINE FRAGE DES 
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