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    Die verunglückte Lehrprobe 
     
    Eine Abrechnung 
    
     
     
     
    Kommentar: 
    
    
    
    Hendrik Steinkuhl    
    Bild: Photocase.com 
     
    
    
    Vor einigen 
    Monaten feierte Reinhold Beckmann seinen 50. Geburtstag. Mit 60, verriet der 
    ARD-Moderator, wolle er nicht mehr arbeiten, sondern nur noch mit Freunden 
    gemeinsam Musik machen. Mindestens zehn Jahre also noch, bis Beckmann in 
     
    Bars im Schanzenviertel seiner Wahlheimat Hamburg zum Seniorentanz 
    aufspielt. Wer will denn so lange warten?    
     
    Seit nun schon sieben Jahren versucht Reinhold Beckmann, ein richtiger 
    Talkmaster zu werden. Jeden Montag schauen ihm rund 1,5 Millionen Menschen 
    dabei zu. Der Publikums-Erfolg von „ Beckmann“ ist unbestritten, aber kaum zu 
    erklären. Trotzdem ist der Moderator und damit auch die Sendung schlecht. 
    Und das kann man begründen.   
     
    Viel Neugierde, so sagt man, müssten gute Journalisten mitbringen. Von 
    Talkshow-Moderatoren im Besonderen erwartet man diese Eigenschaft, die sie 
    zudem selber beschreien: „Ich bin neugierig auf meine Gäste“, hört man in 
    jedem zweiten Teaser.  
     
    Wenn man diesen Satz nicht Lüge nennen will, so ist er mindestens 
    eine hohle Phrase. Denn seit einigen Jahren sind beinahe alle deutschen 
    Talkshows zu bloßen Inszenierungen verkommen. Auf dem Spielplan stehen stets 
    dieselben zwei Stücke: das neue Buch oder das neue Programm des Gastes.
    Beckmann war einer von denen, die diese Unsitte eingeführt haben. Und er ist 
    sich nicht zu schade, sie bis zum Exzess weiter zu
    treiben.  
     
    Beckmann zu Jürgen von der Lippe: „Jürgen, warum ist es noch mal so, dass 
    Frauen so viele Schuhe kaufen?“  
     
    Von der Lippe: „Es geht nicht um den Bedarf. Es gibt Frauen, es gibt Schuhe 
    – das reicht.“  
     
    Seit rund hundert Jahren bringt von der Lippe diesen Gag; in seinen 
    Shows, in seinen Comedy-Programmen, vielleicht auch bei Grill-Partys und 
    seinen Eltern. Zu allem Überfluss hat er jetzt ein Buch darum 
    herum geschrieben und darf auch die ausgeleiertesten Kalauer daraus noch bei 
    „Beckmann“ erzählen. Das alleine ist schlimm – aber noch nicht tragisch. 
    Jürgen von der Lippe ist Profi genug ist, den unbedarften Zuschauer denken 
    zu lassen, er erzähle das alles hier zum ersten Mal. Seinem Gegenüber aber 
    (man muss es leider sagen) fehlen: echte Neugierde, schauspielerisches 
    Talent, Komik, Timing und eigentlich alles, was man von einem ARD-Moderator 
    mit Millionen-Gehalt erwarten darf. Selbst zum Stichwortgeber reicht 
    Beckmanns Talent nicht aus. Und das ist tragisch. Schon sein verkrampft 
    beiläufiger Ton verrät, dass die Frage vorher abgesprochen wurde. Und bliebe 
    die Kamera  auf Beckmann gerichtet, während von der Lippe spricht, würde man 
    folgendes sehen: Ein braun gebrannter Mann im Nadelstreifenanzug wühlt in 
    einem Haufen von Karteikarten, unsicher wie ein Student beim ersten Referat.
    „Beckmann“ ist keine Talkshow, sondern schlecht gemachte, banale Künstler-PR. 
    Würde man sich richtig aufregen wollen, könnte man noch hinzufügen: schlecht 
    gemachte, banale Künstler-PR, in einem von öffentlichen Geldern finanzierten 
    Sender.   
     
    Doch das ist nicht alles: „Beckmann“ ist auch die verfilmte Lehrprobe, die 
    gescheiterte Vorführ-Stunde. Kein Talkmaster jongliert mit so vielen 
    Notizkärtchen und hält sich so sklavisch an sie – wenn er denn die Übersicht 
    behält. Keiner hakt Fragen ab wie Unterrichtselemente („Wir haben über 
    deinen Mann gesprochen, jetzt müssen zu deinem Buch kommen“), und wirklich 
    niemand spielt so oft und so dumm Schule nach wie Beckmann: Harald Schmidt 
    musste seine Weltreise auf dem Globus nachzeichnen, Verona Pooth Fragen aus 
    Bastian Sicks „Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod“ beantworten, und mitten 
    ins recht muntere Gespräch der Teilnehmer am Vorentscheid zum 
    Eurovision-Songcontest rief Beckmann:  
     
    „Ich will euer Grand-Prix-Wissen testen!“  
     
    Auch das ist tragisch: Weil der Hilfslehrer Beckmann noch untalentierter ist 
    als der Talkmaster Beckmann, und sich trotzdem immer wieder an der 
    Show-Didaktik versucht.
    „Ich bin mir nicht sicher, aber ich glaube, die falsche Antwort ist es 
    macht Sinn“, sagt Beckmann, als Verona Pooth herumrätselt, welche unter 
    den Antwort-Möglichkeiten bei einer Frage aus „Der Dativ ist dem Genitiv 
    sein Tod“ die „undeutsche“ ist. Die durch „Ich bin mir nicht sicher“ 
    aufgebaute Illusion, er hätte ehrlich mitgeraten, zerstört Beckmann 
    dummerweise sofort. Nach der Auflösung liest er die Begründung aus dem Buch 
    vor, das unter seinem Tisch liegt. 
     
    „Gut zuhören können“, sagt Beckmann, sei seine hervorstechende Eigenschaft. 
    Wer seine Sendung auch nur mit halber Aufmerksamkeit verfolgt, der weiß, 
    dass das nicht der Wahrheit entspricht. 
     
    Nie, wenn ein Gast eine Person erwähnt, die dem Zuschauer vorgestellt werden 
    müsste, belässt es Beckmann bei einer kurzen Erklärung. Der Erwähnte ist 
    stets „Der große Theaterregisseur, der hier in Hamburg riesige Erfolge 
    gefeiert hat, ein Meister seines Fachs, der auch schon…“, und meistens 
    verliert der Gast durch die geschwätzige Unterbrechung Beckmanns völlig den 
    Faden.  
     
    Hier ist es an der Zeit, zum ersten Mal über den Fußballkommentator Beckmann 
    zu sprechen. Oder einfach: Jemand anderen über den Fußballkommentator 
    Beckmann sprechen zu lassen.
    Im Interview mit der Wochenzeitung „ Die 
    Zeit“ antwortete Hannovers Trainer Peter Neururer auf 
    die Frage, welche neue Taktik er bei der Fußball-WM besonders gelungen 
    finde:
    „Ich weiß ja leider nicht, was die Trainer in der Kabine sagen. So was weiß 
    nur der Herr Beckmann.“  
     
    Und dann: „Der [Beckmann] gehört sowieso zu den größten Ärgernissen der WM 
    bisher. Da sagt er doch, der Trainer Henri Michel sei ein ‚Bonvivant’! Das 
    ist doch Angeberei, so was. Das sagt er doch nur, damit er dokumentieren 
    kann, dass er auch drei Wörter Französisch kann.“  
     
    Auch Englisch kann Reinhold Beckmann. Kurz nach der 1:4 Testspiel-Niederlage 
    der deutschen Nationalmannschaft gegen Italien schwärmte er als 
    „Fußball-Experte“ in den Spätnachrichten des eigenen Senders vom tollen „One-Touch-Fußball“, 
    den Werder Bremen spiele. Für die strukturelle Krise im deutschen 
    Fußball aber hatte er eine andere, verblüffend einfache Erklärung: Seiner 
    Meinung nach habe man sich nicht ausreichend um ausländische Talente 
    gekümmert, die in Deutschland aufgewachsen sind. Warum seien Rudi Völler 
    oder Franz Beckenbauer nie zu den Eltern von Ivan Klasnic gefahren? Warum 
    hätten sie sie nicht davon überzeugt, dass ihr Sohn für Deutschland spielen 
    müsse? (Als eine von sehr vielen Antworten könnte man übrigens Klasnics 
    Leistung bei der WM anführen). 
     
    Es gibt viele Journalisten, die über Beckmann meckern. Es gibt aber 
    auch immer noch viele, die ihm bescheinigen, er habe als Sat1-Sportchef mit 
    „ran“ eine völlig neue Form der Fußball-Berichterstattung in Deutschland 
    erfunden. Solche Sätze sind nicht ironisch gemeint, sondern mit Respekt 
    geschrieben.  
     
    Diejenigen, deren Gedächtnis etwas besser ist, erinnern sich eigentlich nur 
    daran, dass Beckmann bei „ran“ rote Jeans trug und auch mal locker eine Hand 
    in die Hosentasche steckte. Die Kommentatoren jubelten derweil jedes 0:0 zum 
    Wahnsinnsspiel hoch und analysierten bei Bayern-Heimspielen eher 
    Beckenbauers Reaktionen auf der Tribüne als Kahns Reaktionen auf dem Platz. 
    Das also war das, was manche Medien-Redakteure in völligem Überschwang sogar 
    „Revolution“ nannten.  
     
    Um auf den Mann in den roten Jeans zurückzukommen: Doof ist Reinhold 
    Beckmann nicht. Wirklich nicht. Er ist nur ziemlich untalentiert in dem, was 
    er tut, und macht fehlendes Können nicht durch Arbeit wett. Man kann sich in 
    den Fußball einarbeiten.  
     Tom Bartels von RTL hat das getan, beim WM-Spiel 
    Holland – Portugal sah er zum Beispiel voraus, dass der erfahrene Luis Figo 
    die Position wechseln würde, um den verwarnten Khalid Boularouz zu einem 
    rotwürdigen Foul zu provozieren. Bartels, früher eher langweilig, hat sich 
    zu einem echten Experten entwickelt, obwohl sein Sender nur selten Fußball 
    überträgt. Beckmann hingegen kommentiert regelmäßig Länderspiele für 
    Millionen Zuschauer, und sagt das, was ohnehin jeder sieht – findet dafür 
    aber Worte wie „antizipieren“, die keiner versteht.  
     
    Komisch an der Fernsehwelt ist, dass niemand grundsätzlich fragt, warum 
    Reinhold Beckmann eigentlich beim Fernsehen arbeitet. Bei  
     Verona Pooth 
    hingegen hört man ständig: „Was hat die eigentlich gemacht, dass die ständig 
    in der Glotze ist?“ Dieter Bohlen geheiratet lautet die Antwort. Und 
    dass Verona trotz der schnellen Scheidung vom Dieter immer noch in der 
    Glotze ist (und das völlig zu recht) liegt an zwei Dingen, die sie hat, 
    Reinhold Beckmann aber nicht: Unterhaltungswert und Selbstironie. Oder 
    hatten Sie jetzt was anderes im Kopf?  
     
    Beckmanns Kollege  
     Johannes B. Kerner sagt übrigens häufig, er fühle sich im 
    Sport zu Hause und wisse um seine Unzulänglichkeiten als 
    Unterhaltungsmoderator. Von Beckmann gibt es solche Aussagen nicht. 
    Vermutlich kommt die zweifelhafte Selbsteinschätzung „Gut zuhören können“ 
    seinen tatsächlichen Qualitäten sogar am nächsten.   
     
    Nach so viel Schwarzmalerei noch ein positiver Ausblick: Die 
    Halbfinal-Niederlage bei der WM verschont uns davor, Beckmanns  
    Stimme selbst in fünfzig Jahren noch hören zu müssen. Mit dem Ausruf 
    „Deutschland ist Weltmeister“ in den Kommentatoren-Olymp aufzusteigen und 
    endlos wiederholt zu werden – das bleibt anderen vorbehalten.  
     
    Ab jetzt ist Italien also nicht nur das Land, dem wir Pizza, Pasta und 
    Cappuccino zu verdanken haben. Ab jetzt ist Italien auch das Land, das uns 
    einen Auftritt von Xavier Naidoo beim Finale und einen „Deutschland-ist-Weltmeister“-Beckmann 
    in der Endlosschleife erspart hat. Grazie. Grazie tantissimo!   | 
    
    AUSGABE 49 
    GUTES FERNSEHEN –  
    SCHLECHTES FERNSEHEN 
     
     
      
     
    
    
    STARTSEITE 
     
    EDITORIAL VON BJÖRN 
    BRÜCKERHOFF 
    
    INTERVIEW MIT UWE KAMMANN 
    UND EWIG FEHLT DER KÜPPERSBUSCH 
    EXPERTINNEN-INVASION AUF RTL 
    2 
    QUALITÄT, (UN-)BEKANNTE GRÖSSE 
    DIE VERUNGLÜCKTE LEHRPROBE 
    NETZER GEGEN KLOPP GEGEN VÖLLER 
    GESCHMACKSSACHE: KOCH-MEDITATION 
    WELTGESCHEHEN MIT SCHLAGOBERS 
    "CORDULA, DU WILLST MIT RALF..." 
    WO IST DIE GRENZE DER MENSCHENWÜRDE? 
    NEUE GEGENWART SUCHT NEUE AUTOREN 
    ZUM THEMA IN FRÜHEREN 
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