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    Zu einer 
    Medienkonferenz in Hamburg hatte Ende 2005 das Jonet geladen, die größte 
    deutsche Journalisten-Community im Internet. In einer der zahlreichen 
    Podiumsdiskussionen ging es um Medienjournalismus.  
     
    Die Teilnehmer der Diskussionsrunde waren Oliver 
    Gehrs, Verfasser einer Biografie über den Spiegel-Chefredakteur Stefan Aust, 
    Annette Milz, Chefredakteurin Medium Magazin, Christoph Schultheis, einer 
    der Macher des Weblogs 
    
     
     Bildblog, 
    Medienwissenschaftler Stephan Weichert, der einen Sammelband über 
    Medienjournalismus herausgegeben hat und der Verfasser dieses Artikels als 
    Herausgeber des Magazins Neue Gegenwart. 
     
    Annette Milz war für den Fachjournalismus angereist, Stephan Weichert 
    vertrat die wissenschaftliche Perspektive, Christoph Schultheis und ich 
    standen für jeweils – wiederum stark unterschiedliche 
    – Unternehmungen, den Medienjournalismus für ein allgemeines Publikum 
    interessant zu machen. Oliver Gehrs hatte einer Sonderrolle als Aust-Biograf inne 
    und blickte in diesem Zusammenhang häufig auf seine persönliche 
    Mediengeschichte zurück. Die Zusammensetzung der Podiumsteilnehmer 
    „Medienjournalismus“ versuchte also, möglichst perspektivenreich zu sein. 
    Alle Protagonisten hatten täglich mit Medienjournalismus zu tun.  
     
    Gemeinsamkeiten gab es ansonsten trotzdem keine.  
     
    Dabei ist der Begriff „Medienjournalismus“ klar 
    umrissen. Jeder journalistische Beitrag, der sich mit Medien beschäftigt, 
    ist Medienjournalismus. So ist zugleich die 
    Besonderheit dieses journalistischen Themenfeldes skizziert: der 
    Medienjournalismus gerät unausweichlich in die Verlegenheit, sich auf 
    irgendeine Weise mit sich selbst und der eigenen Branche beschäftigen zu 
    müssen. Diese Sonderrolle führt dazu, dass der Medienjournalismus von 
    Journalisten und Wissenschaftlern mit Ansprüchen konfrontiert wird, die er 
    nicht alle gleichzeitig erfüllen kann. Daraus werden dann Probleme 
    abgeleitet, mit denen längst nicht jeder Medienjournalismus zu kämpfen hat. 
    Für diese Probleme werden schließlich Lösungen gesucht, die nicht selten 
    ökonomische Faktoren außer Acht lassen. 
     
    Der Begriff „Medienjournalismus“ ist zwar klar umrissen. Seine Grenzen sind 
    allerdings derart weit gesteckt, dass sich zahlreiche journalistische 
    Spielarten unter demselben Begriff versammeln lassen. Die journalistischen 
    Varianten, die allesamt als Medienjournalismus bezeichnet werden, haben 
    jeweils eigene Voraussetzungen, Ziele und Schwierigkeiten. Der 
    Medienjournalismus umfasst unterschiedliche Inhalte, weil er sich an 
    unterschiedliche Zielgruppen richtet. 
     
    Über Fachzeitschriften erreicht der 
    Medienjournalismus die Medienbranche. Die Themen sind folglich auf die 
    Zielgruppe abgestimmt: Branchendeals, Auflagenentwicklungen, Werbeetats, 
    Daten zur Reichweite von Zeitschriften. Außerhalb der Branche interessiert 
    das niemanden. Das reicht auch vollkommen, schließlich interessiert sich 
    außerhalb der Nähmaschinenwirtschaft auch niemand für die 
    Nähmaschinenzeitung. Dieser Medienjournalismus wird gelesen, wie zum 
    Beispiel das 
    
     Medium 
    Magazin von Annette Milz oder auch 
    die Zeitschrift 
    
     Werben 
    und Verkaufen längst bewiesen haben. 
     
    Ebenfalls als „Medienjournalismus“ bezeichnet werden Fernsehkritiken 
    in Zeitungen und Zeitschriften. Selbst der Abdruck des Programms mit 
    Kurzbeschreibungen einzelner Sendungen geht so als 
    Medienjournalismus durch. Euphemistisch könnte man sagen: hier steht der 
    Dienstleistungs-gedanke klar im Vordergrund. Auch diese 
    Inhalte finden ihre 
    natürliche Leserschaft: das Fernsehpublikum. Ähnlich verhält es sich mit der 
    Theaterkritik, die im Feuilleton untergebracht ist. Hier gilt wieder wie im 
    Fachjournalismus: Je spezieller die Inhalte, desto kleine das Publikum.  
     
    Die Fachöffentlichkeiten sind also bedient. Die Branche liest Fachmagazine, 
    das Fernsehpublikum Fernsehzeitschriften oder die TV-Seite der Tageszeitung, 
    die Kulturnation kann den Diskussionen in den Feuilletons der überregionalen 
    Zeitungen folgen.  
     
    Doch wie kann die allgemeine Öffentlichkeit mit Medienthemen angesprochen 
    werden, die über das Fernsehprogramm hinausgehen? Schließlich beziehen sich 
    die meisten Forderungen, die an den Medienjournalismus gerichtet werden, 
    auf 
    seine Aufgabe als Korrekturinstanz der Medien oder gar auf seine Funktion als 
    Aufklärer der Mediengesellschaft. 
     
    Einen neuen und zugleich sehr spezialisierten Ansatz liefern die
    
    Bildblog-Macher 
    rund um Christoph Schultheis. In pointiertem Stil behandelt ihr Weblog die 
    Qualitätsmängel der Boulevardzeitung „Bild“. Würde die „Bild“ durch die 
    Fehler in der Berichterstattung ihrer Boulevard-Inhalte keine Steilvorlagen 
    liefern, könnte das Angebot nicht in gewohnt amüsanter Qualität reagieren. 
    Natürlich gibt es auch andere Medienangebote, für die sich ein eigenes 
    Korrektur-Angebot lohnen würde – die sind aber längst nicht so unterhaltsam 
    für die potenzielle Leserschaft und erscheinen nicht täglich. Motto: „Lache 
    den Gegner tot“, wie Annette Milz formulierte. Nur wenn die Artikel 
    Unterhaltung versprechen, ist das Angebot langfristig erfolgreich. Ein 
    Spiegel-Blog gibt es zum Beispiel auch, die Aufmerksamkeit hält sich bisher 
    allerdings vergleichsweise in Grenzen. 
     
    Das Magazin Neue Gegenwart verfolgt dagegen den 
    Ansatz, gesellschaftlich relevante Storys aus unterschiedlichen 
    Themenfeldern aufzugreifen und die mediale Komponente jeweils zu betonen. 
    „Mediale Aufklärung“, wenn man das so nennen will, geschieht hier unter 
    Verwendung alltäglicher Themen. Die Zielgruppe reicht dabei – wie auch beim 
    Bildblog – über die Medienbranche deutlich hinaus.  
     
    Im Internet finden diese Konzepte bereits Gehör. Doch wie kann 
    Medienjournalismus gestaltet sein, der  die allgemeine Öffentlichkeit 
    außerhalb des Internets anspricht?  
     
    General-Interest-Medienjournalismus braucht (neben dem ökonomischen 
    Rückgrat) vor allem Themen, die die allgemeine Öffentlichkeit interessieren. 
    Aust-Biograph Gehrs hat mediales Interesse an einer gesellschaftlich herausragenden Person 
    erzeugt und damit gleichzeitig Aufmerksamkeit für ein Medienthema geweckt.  
     
    Zwar leben wir längst in einer Mediengesellschaft; das Interesse der 
    Menschen an den Funktionsweisen der Medien ist damit jedoch nicht 
    automatisch groß. Obwohl Medien also in der Gesellschaft inzwischen eine 
    zentrale Rolle einnehmen, ist das Interesse an Medienjournalismus in der 
    Gesellschaft im Gegenteil eher sehr gering (vgl. Hallenberger/Nieland 2005: 
    8). Medienjournalismus in Zeitungen und Zeitschriften mit allgemeiner 
    thematischer Ausrichtung soll zudem oftmals in einem eigens einzurichtenden 
    Medienressort geschehen, um eine fundierte Kontinuität und herausragende 
    Qualität der Artikel leisten zu können. Auf der ökonomischen Seite ist 
    angesichts des geringen Interesses des Medienpublikums an reinen 
    Medienthemen denkbar wenig Spielraum für Medienressort-Experimente.  
     
    Das Leben in der Mediengesellschaft bedingt jedoch, dass Medienthemen längst 
    in allen Ressorts erscheinen. Thematische Überschneidungen mit Politik, 
    Wirtschaft, Sport, Kultur oder Wissenschaft sind unausweichlich. Für die 
    expliziten Medienseiten bleibt dann – vielleicht neben dem Fernsehprogramm – 
    der Rest, den keiner lesen will. Da erscheint es bei General-Interest-Medien 
    nicht nur ökonomisch sinnvoller, medienjournalistische Themen in bestehende 
    Ressorts einzugliedern, statt ein eigenes Ressort dafür aufzumachen. Die 
    Themen, die nach der Verteilung auf die klassischen Ressorts für die 
    Medienecke übrig bleiben, wären ohnehin eher etwas für Fachmagazine – wenn 
    überhaupt. 
     
    Ein Erfolg versprechender Ansatz, sich an die hehren 
    Ziele, die vom Medienjournalismus erwartet werden, zumindest anzunähern, 
    verspricht die Integration von Medienthemen in bestehende Ressorts. Diese 
    zunächst ökonomisch begründete Entscheidung kann dem Grundproblem der 
    fehlenden Aufmerksamkeit in den Medienressorts gut begegnen. Interesse an 
    den Medien und ihren Funktionsweisen kann auf diese Weise erst geweckt 
    werden. Zugleich kommt es nicht zu der befürchteten Überflutung mit Themen, 
    die doch nur die Branche interessieren – die aber aufgrund der oftmals 
    befürchteten Betriebsblindheit der Journalisten und aus Themenmangel vom 
    Randereignis zur Breaking News stilisiert werden. Das rächt sich – wie bei 
    jedem schlechten Thema – durch die schnell wieder entzogene Aufmerksamkeit 
    der Leserschaft. Auch der Aufklärungsanspruch des Medienjournalismus (vgl. 
    Beuthner/Weichert 2005b: 19), die Förderung der 
    Medienkompetenz der Leserschaft (vgl. Beuthner/Weichert 2005: 47) durch mehr 
    Transparenz medialer Funktionsweisen (vgl. Choi 1999: 2; Ruß-Mohl 
    1994: 228) wird erreichbarer. Sind die Themen aktuell, relevant und gut 
    geschrieben, bleibt auch das Publikum dran und liest zwischen politischen 
    Themen auch mal Medienpolitisches.  
     
    Davon profitiert dann vielleicht sogar der Journalismus allgemein. 
    Kritischer Medienjournalismus steigert die Glaubwürdigkeit der Journalisten 
    (vgl. Weichert 2005: 345ff), wie es jeder erkennbar gut recherchierte 
    Beitrag tun kann. Diese Art qualitativ hochwertiger Arbeit fördert zudem die 
    Bereitschaft zu Selbstkritik, Selbstkontrolle (vgl. Schmidt 2005: 21ff.) und 
    Selbstreflexion (vgl. Krüger/Müller-Sachse 1999: 233) der Journalisten und 
    trägt zu einer allgemeinen Qualitätssicherung des Journalismus bei (vgl. 
    Beuthner/Weichert 2005b: 19), die der Medienjournalismus als Kontrollinstanz 
    auch stets leisten soll. Natürlich nicht nur durch Kritik, sondern auch 
    durch die Würdigung journalistischer Leistungen anderer Medien (vgl. 
    Beuthner/Weichert 2005a: 41ff., Ruß-Mohl 1994: 112f.), wobei dieses 
    Themenfeld – abhängig vom jeweiligen Anlass – wohl in den meisten Fällen 
    schon eher wieder in die Fachzeitschriften gehört.  
     
    Werden Fehlleistungen der Wettbewerber ausführlich behandelt, Probleme der 
    eigenen Redaktion oder des eigenen Verlagshauses im Krisenfall dagegen 
    hartnäckig verschwiegen, kann immerhin durch die wechselseitig aufklärende 
    Berichterstattung anderer Medien korrigiert werden. Der gut informierte 
    Leser erhält zum einen die korrigierten Informationen, zum anderen sieht er 
    seine Tageszeitung in einem neuen Licht. Dieses Phänomen erreicht dann zwar 
    nicht mehr den durchschnittlich informierten Leser, der eine Tageszeitung 
    liest. Nimmt der beschriebene Medienskandal jedoch eine Größenordnung ein, 
    die relevant genug für die Berichterstattung anderer Medien ist, kommt das 
    kritische Thema auch beim letzten Leser an. 
     
    Beispiele für eine erfolgreiche medienjournalistische Arbeit dieser Art ist 
    die Aufdeckung des Schleichwerbeskandal um die ARD-Vorabendserie „Marienhof“ 
    durch den Journalisten 
    
     Volker Lilienthal. Er sorgte so für die 
    breite 
    gesellschaftliche Diskussion eines Medienthemas und seiner Behandlung in in 
    zahlreichen Ressorts.  
     
    Gut recherchierte Fakten sind – besonders bei Skandalberichterstattung 
    dieser Größenordnung – natürlich oberstes Gebot. Gegen die Verletzung 
    persönlicher Eitelkeiten der Medienbranche durch den Medienjournalismus 
    hilft keine noch so faktenorientierte Berichterstattung. Aber sie beruhigt 
    den Autor und überzeugt das Publikum. So beantwortet sich auch das Motto der 
    Podiumsdiskussion zum Medienjournalismus von selbst: „Was dürfen wir schreiben?“. 
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    Literatur 
     
    
     
    Beuthner, Michael; Weichert, Stephan (Hrsg.) (2005): Die 
    Selbstbeobachtungsfalle. Grenzen und Grenzgänge des Journalismus. 
    Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaft. 
     
    Beuthner, Michael; Weichert, Stephan A. (2005a): Und 
    wer beobachtet die Medien? Über die Kritikfunktionen und blinden Flecken des 
    Medienjournalismus. In: Hallenberger, Gerd; Nieland, Jörg-Uwe: Neue Kritik 
    der Medienkritik. Werkanalyse, Nutzerservice, Sales Promotion oder 
    Kulturkritik? Edition Medienpraxis. Köln: Herbert von Halem Verlag. 
     
    Beuthner, Michael; Weichert, Stephan (Hrsg.) (2005b): Zur Einführung: 
    Internal Affairs – oder: die Kunst und die Fallen medialer 
    Selbstbeobachtung. In: Beuthner, Michael; Weichert, Stephan A. (Hrsg.): Die 
    Selbstbeobachtungsfalle. Grenzen und Grenzgänge des Journalismus. 
    Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaft, S. 13-41. 
     
    Choi, Kyung-Jin (1999): Medien-Selbstberichterstattung als 
    Medienjournalismus. Inaugural-Dissertation. Münster. 
     
    Hallenberger, Gerd; Nieland, Jörg-Uwe (2005): Neue Kritik der Medienkritik. 
    Werkanalyse, Nutzerservice, Sales Promotion oder Kulturkritik? Edition 
    Medienpraxis. Köln: Herbert von Halem Verlag. 
     
    Krüger, Udo M.; Müller-Sachse, Karl H. (1999): Medienjournalismus. 
    Strukturen, Themen, Spannungsfelder. Opladen: Westdeutscher Verlag. 
     
    Ruß-Mohl, Stephan (1994): Der I-Faktor. Qualitätssicherung im amerikanischen 
    Journalismus. Modell für Europa? Osnabrück/Zürich: Edition Interfrom. 
     
    Schmidt, Siegfried J. (2005): Zur Grundlegung einer Medienkritik. In: 
    Hallenberger, Gerd; Nieland, Jörg-Uwe: Neue Kritik der Medienkritik. 
    Werkanalyse, Nutzerservice, Sales Promotion oder Kulturkritik? Edition 
    Medienpraxis. Köln: Herbert von Halem Verlag, S. 21-40. 
     
    Weichert, Stephan (2005): Die 
    Selbstüberbietungsspirale. Probleme und Perspektiven journalistischer 
    Krisenberichterstattung. In: Beuthner, Michael; Weichert, Stephan A. 
    (Hrsg.): Die Selbstbeobachtungsfalle. Grenzen und Grenzgänge des 
    Journalismus. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaft, S. 345-364.  |