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    Schleichwerbung in 
    der Seifenoper „Marienhof“ und anderen 
    öffentlich-rechtlichen Serien – Volker Lilienthal, 
    verantwortlicher Redakteur von epd-Medien, dem Fachdienst des 
    Evangelischen Pressedienstes, deckte den Schleichwerbeskandal
    im öffentlich-rechtlichen Fernsehen auf. Neue Gegenwart sprach mit 
    Lilienthal und epd-Chefredakteur Thomas 
    Schiller darüber, was Medienjournalismus leisten kann, über den
    möglichen Einfluss der evangelischen Kirche auf ihre 
    Berichterstattung und ob Medienjournalisten 
    tatsächlich ein doppelt so dickes Fell haben müssen 
    wie ihre Kollegen. 
     
    Neue 
    Gegenwart: Herr Dr. Schiller, wie evangelisch ist der Evangelische 
    Pressedienst?  
     
    Thomas Schiller: Der Evangelische Pressedienst behandelt Themen, die für die 
    Kirche wichtig sind. Das heißt, wir bieten kein volles Themenportfolio wie 
    die großen Nachrichtenagenturen dpa oder ddp, sondern wir haben einen 
    Schwerpunktbereich. Dieser umfasst die engen kirchlichen Themen wie Kirche 
    und Religion, Ethik und Glaubensfragen, schließt aber auch 
    Entwicklungspolitik, Dritte Welt oder Soziales mit ein. Hinzu kommen 
    traditionell die Felder Medien, Kultur und Film. Innerhalb dieses Spektrums, 
    in dem ja auch viele andere kirchliche Initiativen, Dienste und Werke aktiv 
    sind, arbeiten wir als unabhängige Redaktion. 
     
    Neue 
    Gegenwart: „Der epd ist der Garant für die kirchliche Relevanz in der 
    sakulären Medienwelt“ ist auf der Homepage des Gemeinschaftswerks der 
    Evangelischen Publizistik zu lesen. Wenn sie mit dem Argument konfrontiert 
    werden, mit ihrem hohen Anteil kirchlicher Themen Öffentlichkeitsarbeit für 
    diese Institution zu leisten, was entgegnen Sie? 
     
    Thomas Schiller: Wir machen keine Öffentlichkeitsarbeit für die 
    evangelische Kirche, sondern wir gehen unabhängig journalistisch an Themen 
    ran. Wir beschäftigen uns mit kirchlichen Themen natürlich intensiver als 
    andere, aber wir haben kein Mandat für die evangelische Kirche zu sprechen 
    oder Positionen der evangelischen Kirche zu vertreten.  
     
    Neue 
    Gegenwart: Medienjournalismus ist ein weiter Begriff. Was verstehen sie und 
    ihre Kollegen bei epd-Medien darunter? 
     
    Volker Lilienthal: Wir verstehen Medienjournalismus als Fachinformation. 
    Unsere Leser sind hauptsächlich Entscheidungsträger, von der Ebene der 
    verantwortlichen Redakteure über die Programmdirektoren bis hin zu den 
    Intendanten und ähnlichen Positionen in Presseverlagen und in der 
    Medienpolitik. Diesen Leuten müssen wir brauchbare Informationen in 
    möglichst exklusiver Art an die Hand geben, damit sie gute Entscheidungen in 
    ihrer alltäglichen Arbeit treffen. Wir schreiben im Schwerpunkt über die Fernsehbranche, haben aber in den 
    letzten Jahren auch unsere Presseberichterstattung und unsere 
    Internetberichterstattung wesentlich ausgeweitet. Denn diese Themenfelder 
    sind ebenfalls wichtig. Zudem liefern wir aus dem von mir geleiteten Team „Medien und Kultur“ heraus 
    regelmäßig aktuelle Berichterstattung für die Agentur. Das heißt mit unseren 
    Medieninhalten spielen wir damit - wenn die Tageszeitungen uns nachdrucken – 
    auch vor einem größeren Publikum.  
     
    Neue 
    Gegenwart: Der Fachdienst epd-Medien wurde mit dem Anspruch gegründet, sich 
    in besonderer Weise  in die gesellschaftliche Diskussion  über die 
    Funktion eines wichtigen Massenmediums einzumischen, 
    damals vor allem die des Rundfunks. Wie sehr kann 
    die Einmischung heute noch gelingen? 
     
    Lilienthal: Das ist heute umso wichtiger. Es gab damals in Bielefeld-Bethel Kollegen, die sich aus einer kirchlichen Verantwortung 
    heraus für die neuen Massenmedien interessiert haben. Am Anfang gab es 
    Fernsehkritiken, die zum Beispiel das Weihnachtsprogramm sehr stark durch 
    die kirchliche Brille betrachtet haben. Sie kritisierten, wie man der 
    christlichen Familie ein so unterirdisches Programm am Heiligen Abend 
    anbieten könne. Diese Einstellungen haben über die Jahre einer mehr professionellen 
    Betrachtungsweise der Medien Platz gemacht. Das heißt aber nicht, dass wir 
    die Wertorientierung der Kirche aus den Augen verloren haben. Bei Debatten 
    wie zum Beispiel „Zu viel Sex oder Gewalt im Fernsehen“ waren wir als 
    epd-Medien immer an vorderster Front und haben gegen diese Fehlentwicklungen 
    Position bezogen. Beim Thema Schleichwerbung im Fernsehen haben wir uns auch 
    sehr engagiert. Das sind Beispiele, wo wir heute tatsächlich eingreifen und 
    den Medienprozess zumindest ein bisschen mitzusteuern versuchen. 
     
    Neue 
    Gegenwart: Würden sie sagen, dass es einen Qualitätsverfall im deutschen 
    Journalismus gibt? Wenn es den gibt, sind sie 
    der Ansicht, dass Medienjournalismus dem entgegensteuern kann? 
     
    Lilienthal: Ich würde nicht pauschal von einem Qualitätsverfall im 
    deutschen Journalismus sprechen. Eher ist es so, dass in den letzten 20 
    Jahren die Ausbildung von Journalisten erheblich professionalisiert wurde, 
    mit dem Ergebnis, dass wir heute teilweise besseren Journalismus haben. Es 
    gibt aber auch gegenläufige Prozesse in den Medien, eine gewisse Sensations- 
    und Boulevard-Orientierung. Diese entsteht durch die starke 
    Publikumsverpflichtung der Medien und aus ihrem Zwang, sich zu 
    refinanzieren.
    Darin sind die Ursachen für die Negativentwicklungen zu sehen, die teilweise 
    gute journalistische Konzepte überformen oder verfälschen. In diesen Fällen 
    muss Medienkritik sich korrigierend zu Wort melden. Ich glaube, dass man 
    diesbezüglich immer noch ein bisschen mehr tun kann. Wir müssen noch viel 
    mehr über die verborgenen Realprozesse in den Medien wissen. Das ist eine 
    Anforderung an Recherche. Was wir dann aber wirklich ausrichten können, das 
    sollten wir nicht überschätzen. Wir können aber die Diskussion in den Medien 
    und unter Journalisten lebendig halten und immer wieder neues 
    Argumentationsfutter liefern, damit es eine gute, selbstreflexive Diskussion 
    der Branche bleibt. So einen Extremfall wie bei „Marienhof“, bei der man 
    eine extreme Fehlentwicklung durch profunde journalistische Enthüllung 
    sofort abstellen konnte, gibt es eher selten. 
     
    Neue 
    Gegenwart: Sie sehen es also bei epd-Medien als eine Ihrer Aufgaben an, 
    moralischen Journalismus zu betreiben? Dies würde ja auch zum 
    Selbstverständnis ihres Trägers, der evangelischen Kirche, passen. 
     
    Lilienthal: Moral spielt bei unserer Arbeit schon eine Rolle, auch 
    Moral, die aus christlicher Orientierung kommt, aber das allein genügt 
    nicht. Wir brauchen Fakten. Mit bloßem Meinen wird man keine guten Effekte 
    erzielen. Medienkritik heute muss ganz stark faktenorientiert sein. Sie muss 
    sich vollsaugen wie ein Schwamm mit Erfahrungen aus den Medien, um überhaupt 
    bei den Medienverantwortlichen gehört und als gleichgewichtiger 
    Gesprächspartner akzeptiert zu werden. Wenn man immer nur moralinsauer daher 
    kommt, ist es für einen Medienverantwortlichen leicht, die Beiträge beiseite 
    zu schieben. Wir müssen mit diesen Verantwortungsträgern so umgehen, dass 
    wir ernst genommen werden. 
     
    Neue 
    Gegenwart: Wenn man aber versuchen will eine gesellschaftliche Debatte 
    anzuschieben, wäre es dabei für epd-Medien nicht auch sinnvoll, die breitere 
    Öffentlichkeit zu sensibilisieren und nicht nur das Fachpublikum 
    anzusprechen? 
     
    Lilienthal: Deswegen haben wir uns ja in einen Newsroomprozess 
    eingelassen. Das Know-how, das der Fachdienst erarbeitet hat, fließt so viel 
    stärker als früher in den epd-Basisdienst – die Serviceleistung für die 
    Tageszeitung und Rundfunkanstalten – ein. So kommen diese Inhalte heute eher 
    in die öffentliche Debatte und vor ein breites Publikum. Wir hatten über den 
    Schleichwerbeskandal bei „Marienhof“ nicht nur einen großen Report im 
    Fachdienst, sondern auch im Basisdienst ein ganzes Themenpaket im Angebot. 
    Hinzu kam eine kontinuierliche Folge- und Reaktions-berichterstattung. 
     
     
    Neue 
    Gegenwart: Herr Dr. Schiller, ist gerade die Tatsache, dass der 
    epd von der 
    evangelischen Kirche getragen wird, eine Voraussetzung dafür, dass sie 
    Medienjournalismus so betreiben können, wie sie ihn betreiben? 
     
    Schiller: Es ist nicht unbedingt Voraussetzung dafür, aber es ist 
    sehr hilfreich. Dass wir von der evangelischen Kirche getragen werden, 
    sichert uns im Medienjournalismus eine große Unabhängigkeit. Immer wenn 
    Medien über Medien berichten, gibt es dort einen blinden Fleck, wo die 
    eigenen Interessen der Verlagshäuser oder Rundfunkanstalten betroffen sind 
    und im Multimediazeitalter sind das immer weiter gehende Verpflichtungen. 
    Wenn sich beispielsweise eine große Konzernpublikation über einen 
    Medienzweig äußert, sind in großen Häusern wie Springer oder Bertelsmann 
    immer irgendwelche anderen Interessen des Gesamtunternehmens betroffen. Die 
    Redaktionen versuchen natürlich, trotz dieser Problematik guten Journalismus 
    zu machen, aber stoßen gelegentlich an ihre Grenzen. Diese Grenzen haben wir 
    nicht.  
     
    Neue 
    Gegenwart: Muss man als Medienjournalist  ein doppelt so dickes Fell 
    haben wie andere Journalisten, weil es 
    in der Berichterstattung um die Kollegen geht und man auch 
    schon mal als „Nestbeschmutzer“ dasteht? 
     
    Lilienthal: Ein doppelt so dickes Fell sollte man sich nie zulegen, 
    weil man dann nicht mehr so empfindlich wäre für die neuen Strömungen, die 
    man wahrnehmen sollte. Man muss vielleicht manchmal sensibler sein, manchmal 
    vorsichtiger vorgehen, da der Medienkritiker immer so ein bisschen in der 
    Gefahr ist, sich über die Kollegen zu erheben, obwohl auch er nicht frei von 
    Fehlern ist. Aber in dieser Branche sind alle Kommunikationsprofis: Auch 
    nach einem Konflikt, nach Streit und Ärger weiß man, dass man weiter 
    zusammenarbeiten muss. Das erleichtert auch manches. 
     
    Schiller: Ich glaube, dass es inzwischen kaum 
    noch einen Bereich von Journalismus gibt, in dem es nicht den Versuch von 
    Einflussnahme auf die tägliche Arbeit gibt, sei es von Kollegen oder es sei 
    von großen Unternehmen, Lobbyverbänden oder politischen Parteien. Natürlich 
    steht man besonders im Kreuzfeuer der Kritik, wenn man Medienjournalismus 
    betreibt, aber alle großen Medien tun das. Insofern ist das keine andere 
    Herausforderung als beispielsweise für einen politischen Korrespondenten, 
    der sich im Berliner Alltagsgeschäft bewegt.   | 
    
     
    Dr. 
    Volker Lilienthal (links im Bild), geboren 1959 in Minden, Westfalen, arbeitet seit 1989 als 
    Redakteur beim Evangelischen Pressedienst (epd).
    1997 wurde er 
    stellvertretender Ressortleiter von epd-Medien, seit 2005 ist er dessen 
    Leiter und verantwortlicher Redakteur. Nach dem Studium der 
    Diplom-Journalistik und Neuen Deutschen Literaturwissenschaft in Dortmund 
    promovierte Lilienthal 1987 im Fach Germanistik an der Gesamthochschule 
    Siegen. Für seine journalistische Arbeit hat er bereits mehrere 
    Auszeichnungen erhalten, unter anderem 2004 den „Leuchtturm für besondere 
    publizistische Leistungen“ der Journalistenvereinigung „Netzwerk Recherche“ 
    und den Bert-Donnep-Preis für Medienpublizistik 2005, der die 
    Aufdeckung von Schleichwerbung in der ARD-Serie „Marienhof“ 
    durch Lilienthal würdigte. Zudem 
    wurde Lilienthal 2006 der „Leipziger Preis für die Freiheit und Zukunft der 
    Medien“ überreicht. Lilienthal ist aber auch selbst Mitglied in Jurys, wie 
    zum Beispiel in der des Otto-Brenner-Preises. 
     
     
    Dr. Thomas Schiller wurde 1963 in Dortmund geboren. Er ist seit 1999 
    Chefredakteur der Zentralredaktion des Evangelischen Pressedienstes in 
    Frankfurt am Main. Schiller studierte an der Universität Dortmund Geschichte 
    und Diplom-Journalistik und promovierte dort. Von 1990 bis 1999 war 
    er Redakteur bei der Deutschen Presse-Agentur (dpa) in Erfurt, München und 
    Paris. Er ist Jurymitglied des „Hoffnung für Osteuropa“-Journalistenpreises 
    und des Internationalen Frankfurter Medienpreises.  |