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    Die Vorstellung, 
    dass es auch so etwas wie tatsächlichen Überfluss geben könnte, muss – nach 
    Jahren des Wiederaufbaus und der überraschenden Versprechungen von 
    bescheidenem Wohlstand in den Wirtschaftswunderjahren – verlockend gewesen 
    sein. Etwas, das sich da „Supermarkt“ nannte, stand in den Startlöchern. 
    Kleine Paradiese mit übervollen Regalen. Was heute vielerorts und weitgehend 
    jede andere Art der Versorgung verdrängt hat, begann seinen heimischen 
    Triumphzug erst zaghaft in den Siebziger Jahren. 
     
    Seither hat sich ein Prozess vollzogen, der gelegentlich als schmerzlicher 
    Verlust zwischenmenschlichen Austausches empfunden wird – der Wechsel von 
    der Bedienung zur Selbstbedienung. Zwar mag auch heute noch Personal für 
    Auskunft über das Sortiment herhalten – die Qualität dieser Auskünfte ist 
    aber zu vernachlässigen, da das beanspruchte Personal ja auch als 
    Regalbetreuung, nicht zur Kundenbetreuung eingestellt worden ist. 
     
    Wie im Schlaraffenland ist der Kunde seinen Instinkten überlassen, seinen 
    geplanten und spontanen Wünschen. Irgendwie und irgendwo ist alles da. Aber 
    anders als auf dem richtigen, echten Markt, mit richtigen, echten Händlern, 
    ruft hier niemand, dass seine Trauben die süßesten, dass sein Lungenbraten 
    der schmackhafteste, das sein Brot das frischeste sei. Anders als im kleinen 
    Laden gibt es keine Empfehlungen des Verkäufers. 
     
    Empfehlungen von Angesicht zu Angesicht bleiben im Supermarkt aus. Dieser 
    Verlust muss von der Verpackung ausgeglichen werden – das Produkt muss sich 
    selbst verkaufen. Bis in die Neunziger Jahre ist man davon ausgegangen, dass 
    etablierte und ausreichend beworbene Produkte ohnehin verlangt, gesucht und 
    gekauft werden. Das Sortiment war immerhin über lange Zeit überschaubar 
    geblieben. Joghurts und Milch kamen von der zugeteilten Molkerei, Fleisch 
    und Wurst aus der Region, Gemüse aus dem Umland. Mit der Öffnung der Märkte 
    änderte sich das. Das Angebot und damit auch die Konkurrenz wurden größer. 
    Sollte es etwa geschehen, dass sich die Produkte nicht mehr wie von selber 
    verkaufen würden? Sortimente wurden bereinigt, Artikel verschwanden. 
    Schließlich begann gegen Ende der Neunziger Jahre, in dem jahrzehntelang 
    beschaulichen Dasein der Waren ein nervöses Zappeln um sich zu greifen. 
    Alles war auf einmal anders und wohl irgendwie beunruhigend geworden. 
     
    Man begann sich klar zu machen, dass man unentwegt um die Aufmerksamkeit der 
    Kunden ringen muss. Diese Überzeugung führte nun geradewegs in das halt- und 
    rastlose Bemühen, permanent für „Positionierung“ sorgen zu wollen. Das 
    schien gerade im Überfluss an Desorientierung in der Welt der 
    Millenniumsjahre bitter nötig. Also setzte man darauf, jahrelang 
    vernachlässigte Produkte mit brandaktuellen Attributen auszustatten, um so 
    die gewünschte Beachtung heraufzubeschwören. Was man für aktuell halten 
    sollte, gaben Grafiker, Agenturen und bald der eine, bald der andere 
    Marketingleiter vor. Neben beschleunigten Produktlebenszyklen und 
    beschleunigten Produktentwicklungszyklen war dann mit einem Mal von 
    beschleunigten Designlebenszyklen zu hören.  
     
    Nach Leibeskräften bedient man sich bis heute an allem, was Technologien und 
    Gestaltungswelt hergeben. Oberstes Gestaltungsziel ist ständige 
    Verbesserung, Erneuerung, Veränderung, egal wie, Hauptsache dass. Kaum wird 
    eine Gestaltungslinie umgesetzt, zieht eine andere nach. Jeder folgt 
    irgendeinem Trend, den ein anderer vorgegeben hat und dem auch schon alle 
    anderen gefolgt sind. Maßnahmen werden verlangt. Maßnahmen werden geboten. 
    Nur nichts auslassen! Nur nichts übersehen! Die Angst sitzt tief. Die 
    Unsicherheiten sind allgegenwärtig. Globalisierung ist kein Honiglecken. 
     
    Auch beim Shopdesign wird nicht geschlafen. Mit regelmäßig neuen Regalplänen 
    wird Abwechslung geschaffen, wird Unruhe erzeugt. Wer sein Produkt erwartet, 
    wo es gestern war, findet dort ein anderes. Nie soll etwas genau so bleiben, 
    wie es eben noch war. Alles arbeitet gegen die Gewöhnung. Es ist paradox: 
    Man hat unsere Unaufmerksamkeit genauso dringend nötig wie unsere 
    Aufmerksamkeit. Solche Manöver, die ausgerichtet sind auf versteckten, aber 
    größtmöglichen Anreiz, sollen von uns gar nicht erst richtig registriert 
    werden. Sie sollen uns unterschwellig wach halten. Gelegentlich irritieren 
    sie uns. 
     
    Bemerkenswert an diesem allenthalben verordneten Zwang zur Veränderung ist 
    der offenbare Widerspruch zu dem Bestreben, dadurch die Positionierung des 
    Produktes und die Orientierung im Angebot zu verbessern. Die Kulisse unseres 
    Alltags, ein Potpourri aus Putzmitteln, Pralinen, Schaumbädern und 
    Fertiggerichten, wird nicht dadurch signifikanter und verständlicher, indem 
    man darin unentwegte Änderungen Einzug halten lässt. Längst haben wir das 
    panische Gehampel in unserem Umfeld ausgeblendet. Die Anreize nutzen sich 
    ab.  
     
    Wir richten unsere Aufmerksamkeit nicht mehr ungeteilt in unsere Umgebung. 
    Diese Exklusivität ist nicht mehr gegeben, da die Grenzen  zwischen 
    hier und woanders, zwischen Mitte und Peripherie, zwischen privat und 
    öffentlich – sogar zwischen senden und empfangen – ihre Verbindlichkeit 
    eingebüßt haben. Wir orientieren uns weiträumiger – aber wir sind dabei 
    zwangsläufig weniger fokussiert und damit scheinbar weniger achtsam. Wir 
    müssen mit unserer Achtsamkeit haushalten. Sie ist nicht unerschöpflich. 
    Programmierte Erregung als Zaubermittel gegen sinkende Aufnahmefähigkeit 
    wird längerfristig ins Leere laufen. Wir entziehen den hektischen 
    Anstrengungen um unsere Gunst allein schon aus Selbstschutz unsere 
    Aufmerksamkeit. Wir wollen sie nicht verarbeiten. Wenn wir schon gegen das 
    ewig Gleiche abgestumpft gewesen sein sollen, warum sollte es anders sein, 
    nur weil jetzt das ewig Gleiche ein ewig gleiches Anderes ist? 
     
    Ja, Änderungen der Gestaltung sind immer notwendig gewesen. Etablierte Werte 
    mussten immer neuen Wahrnehmungsroutinen angepasst werden. Im Ideal handelt 
    es sich dabei um einen kultivierten Vorgang des kontinuierlichen 
    Austarierens, der ein Empfinden für Nuancen voraussetzt. Das Bewusstsein 
    dafür, welche Haltung zu welcher Zeit dem Unternehmen und dem Angebot 
    angemessen ist, war immer ein Beweis für Qualität, ein Zeugnis für eine 
    grundlegende Wertschätzung für das Produkt und dessen Konsumenten. Hingegen 
    sind Veränderungen um der Veränderung willen – lediglich mit der 
    ausschließlichen erklärten Absicht, Aufmerksamkeit zu generieren, und aus 
    der unbequemen Lage heraus, anderenfalls etwas zu verabsäumen – vor allem 
    eines: beliebig. Mit Positionierung hat so etwas gar nichts zu tun. Das ist 
    ernüchternd, insofern, als ja gerade „Positionierung“ das erklärte Ziel 
    gewesen ist.  
     
    Die irrwitzige Lage lässt sich von außen ja leicht erkennen: Im Ringen um 
    eine Position in einem unruhigen, zur Instabilität neigenden Ordnungsgefüge, 
    veranstaltet man obendrein ein verzweifeltes Hakenschlagen, um der Lage Herr 
    zu werden, und macht nur alles noch viel schlimmer. Nur – mal ehrlich: Was 
    soll man tun? Wir sind ja alle Menschen; das ist ja das Problem. 
     
    Wenn wir als gegeben voraussetzen, dass jede massenhaft vervielfältigte 
    Gestaltung immer auch unter dem Einwirken gesellschaftlicher und kultureller 
    Impulse zu bewerten ist, lässt sich der Zustand permanenter und zunehmender 
    Verwandlung unserer Konsumgüter durchaus als Indikator darauf verstehen, 
    dass unsere Position im Spannungsfeld zwischen Bewahren und Verändern 
    gehörig in Bewegung geraten und noch nicht zur Ruhe gekommen ist. Wie jede 
    andere Artikulation innerhalb des öffentlichen Lebens – Architektur, 
    Bewegtbild- und Printmedien oder Web 2.0 – bilden auch die Regallandschaften 
    in den Supermärkten eine gesellschaftliche Momentaufnahme ab. 
     
    Der nahe gelegte Verdacht eines leichtfertigen Umgangs mit Traditionen, mit 
    Unternehmensgeschichten und -identitäten zugunsten eines wenigstens 
    kurzfristigen Erfolgs im Rittern um Marktanteile ist gerade deswegen 
    keineswegs haltbar, als ja genau wie die Verbraucher auch die Produkt- und 
    Marketingverantwortlichen mit den diffusen Regeln und dem 
    Orientierungsdefizit unserer Gegenwart konfrontiert sind. Sie bewältigen 
    ihre Herausforderungen aufgrund ungesicherter Voraussetzungen und retten 
    sich heute in die eine, morgen in die andere Ausdrucksform ihrer ruhelosen 
    Versuche. Das Bedürfnis nach Beachtung ist eben schwer zu befriedigen 
    angesichts einer zerstreuten Massenhaftigkeit des Konsums, gegen die wir 
    vermeintlich unempfindlich und indifferent geworden sind. 
     
    Wenn es um Veränderungen geht, begeben wir uns außerdem sowieso immer auf 
    unsicheren Boden, sowohl in der Rolle derjenigen, die sie aktiv 
    herbeiführen, als auch in der Rolle derer, die sie ihrer gewohnten Ordnung 
    neu eingliedern müssen. Wir dürfen voraussehen, dass das Betreiben 
    permanenter Unsicherheit daher letztlich keine befriedigende Antwort auf 
    ungeordnete Rahmenbedingungen darstellt. Das Bedürfnis nach Stabilität und 
    Orientierung wird auch – oder sogar vor allem – in einer Kultur gesteigerter 
    Innovationen nach Lösungen verlangen, die als Ausdruck der Wertbildung und 
    Werterhaltung erkennbar und spürbar sind – die damit also eine schnelle 
    Wertung ermöglichen. Wenn vorrangig Anerkennung und Respekt gegenüber den 
    Erwartungen und den Bedürfnissen der Menschen in das Verständnis für eine 
    qualitätsvolle Gestaltung der Dinge einfließen, dann werden sich Dinge auch 
    bald wieder beruhigen.   | 
    
     
    Der Autor 
     
    
      
     
     
    Christian Thomas 
     
    Christian Thomas
    hat 1995 in Wien ein Studium als Wirtschafts-ingenieur abgeschlossen. Während 
    der 90er-Jahre arbeitete er für verschiedene Werbeagenturen und als 
    stellvertretender Verlagsleiter der österreichischen Niederlassung eines 
    deutschen Verlagshauses. Gemeinsam mit Armin Hitzler gründete er 1999 das 
    Unternehmen „Concept 8“ in Wien. Concept 8 entwickelt Markenkonzepte für 
    Unternehmen und wird sich ab Sommer 2007 mit vergrößerter Mannschaft 
    verstärkt auf Betreuung in der Markenführung und Identitätsmanagement 
    konzentrieren. Seit etwa vier Jahren betreibt Christian Thomas im Internet 
    die Sammlung „Vorher Nachher“, die sich als Appell an die tägliche 
    Aufmerksamkeit versteht und den Zustand permanenter Veränderung von 
    Konsumgütern dokumentiert. 
     
    
    
     Concept 
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     Vorher-Nachher.at  |