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    Die Gegenwart: Herr Professor Donsbach, es wird viel über die Qualität des 
    Journalismus im Internet gesprochen. Dabei stehen oftmals die angeblichen 
    Differenzen zum Print-Journalismus im Mittelpunkt. Sehen sie auch 
    Qualitätsunterschiede zwischen Online und Print? Wenn ja, wo sind diese 
    besonders auffällig? 
     
    Wolfgang Donsbach: Noch 
    viel weniger wie es „die“ Print-Produkte gibt, kann 
    man die journalistischen Angebote im Internet über einen Kamm scheren. Dazu 
    ist die Vielfalt und auch die Vielfalt der Qualität viel zu groß. Dies ist 
    vor allem deshalb der Fall, weil neben den Internet-Angeboten der traditionellen Medien 
    neue Anbieter getreten sind, die sich nur im Internet bewegen. Es gibt also 
    mehrere Vergleichsdimensionen: Man kann die Qualität traditioneller 
    Print-Produkte mit deren eigenen Angeboten in Internet vergleichen, oder 
    verschiedene Internetangebote untereinander. Hier gilt es wieder zu 
    unterscheiden zwischen den Online-Auftritten traditioneller Medien (beispielsweise
    
    Spiegel Online), 
    speziellen Onlinemedien (zum Beispiel 
    die Netzeitung), die Nachrichtenseiten der Internet-Portale und neuerdings 
    auch der „Blogger“.  
     
    Informationen und Nachrichten im Internet sind also nicht per se besser oder 
    schlechter als die gedruckten Zeitungen. Es kommt immer darauf an, wer sie 
    wie gesammelt, recherchiert und aufbereitet hat. Die Link-Verbindungen im 
    Internet sind zum Beispiel eine Möglichkeit, weit über das in der gedruckten 
    Zeitungen Machbare hinaus, zusätzliche Informationen zu einem Thema zu 
    geben. Andererseits gibt die räumliche Anordnung der Nachrichten in der 
    gedruckten Zeitung den Lesern sicherlich einen besseren Überblick über das 
    Tagesgeschehen. Beim Internet ist ja nicht nur die theoretisch verfügbare 
    Menge an Informationen zu beachten, sondern auch das durchschnittliche 
    Nutzungsverhalten der Leser. Was nutzen viele Links zu darunter liegenden 
    Seiten oder anderen Websites, wenn Sie nicht genutzt werden? 
     
    Die Gegenwart: Welche Qualitätskriterien sind 
    besonders im Online-Journalismus wichtig? 
     
    Donsbach: Für den Online-Journalismus gelten nicht grundsätzlich andere Qualitätskriterien, 
    wie für 
    den Journalismus generell. Wie ich schon deutlich 
    gemacht habe, kommt es darauf an, wie gut eine Nachricht dem Leser 
    oder User ein 
    Ereignis, einen Sachverhalt oder eine handelnde Person darstellt. Die 
    Qualität hängt davon ab, ob die Informationen solide recherchiert sind, ob 
    ein Ereignis oder ein Konflikt von allen Seiten beleuchtet wird und die 
    verschiedenen Kontrahenten zu Gehör kommen, und damit schließlich dem Leser 
    die Sache so dargestellt wird, dass er sich unabhängig ein eigenes Bild, 
    eine eigene Meinung bilden kann.  
     
    Für mich ist das oberste Qualitätskriterium im Journalismus die Unabhängigkeit der Wirklichkeitswahrnehmung des 
    Rezipienten. Ich denke, dass alle anderen Qualitätskriterien und 
    handwerklichen Regeln unter diesem zentralen Wert betrachtet werden können. 
    Wenn man dieses Kriterium anlegt, trennt sich schnell die Spreu vom Weizen. 
    Der Weizen ist dann „Journalismus“ und der ganze Rest die Spreu. Damit will 
    ich sagen: Es gibt eine spezifische journalistische Kompetenz, die nur 
    diejenigen für sich beanspruchen können, die diese handwerklichen Regeln zu 
    Gunsten des von mir eben genannten zentralen Zieles auch anwenden. Alles 
    andere sind dann eben andere Formen der Kommunikation, die auch legitim, 
    vielleicht in einer offenen Gesellschaft auch notwendig und wichtig sind, 
    aber eben nicht zu diesem professionellen Berufsbild gehören. An 
    professionelle Journalisten haben die Leser bestimmte Erwartungen, die die 
    Grundlage für ihr Vertrauen in die Informationen und damit für den 
    zugelassenen Einfluss auf ihre eigene Wirklichkeitswahrnehmung bilden. 
     
    Daneben gibt es natürlich eine Reihe weiterer 
    handwerklicher Regeln, die jeweils medienspezifisch die Qualität ausmachen. 
    Dazu gehört beispielsweise beim Internet die grafische Aufbereitung und die 
    Anordnung von Texten, Bildern, Links und so weiter.
     
     
    Die Gegenwart: Wer liest Weblogs? 
     
    Donsbach: Mir liegen 
    keine wissenschaftlichen Erkenntnisse darüber vor, wer Weblogs liest. Es 
    gibt zwei Hypothesen: entweder diejenigen, die auch anderen Medien 
    intensiver als andere nutzen (more-and-more-rule) 
    oder diejenigen, die 
    sich in ihrer Mediennutzung generell stärker dem Internet zuwenden und die 
    traditionellen Medien links liegen lassen. Neuere Studien über den Einfluss 
    der Internetnutzung auf die Nutzung der traditionellen Medien zeigen ja, 
    dass bei den Jüngeren zum Beispiel 
    die Tageszeitung zu Gunsten des Internets verliert. Eine zweite Hypothese 
    wäre, dass die Weblogs vor allem von denjenigen genutzt werden, die in den 
    traditionellen Medien und vielleicht auch in die traditionellen 
    Institutionen unserer Gesellschaft, insbesondere der Politik, Vertrauen 
    verloren haben. Dies wiederum korreliert sicherlich mit einer bestimmten 
    Affinität zu eher einseitigen, advokatorischen Angeboten im Internet. 
     
    Die Gegenwart: Wann sind sie zum ersten Mal auf das 
    Thema „Weblogs“ aufmerksam geworden? 
     
    Donsbach: Vermutlich ist 
    das nicht länger her als ein Jahr. Und ich muss gestehen, dass ich mich mit 
    diesem Thema noch nicht intensiv befasst habe. Das hat auch damit zu tun, 
    dass die neuen Medien nicht unbedingt mein Spezialgebiet sind. Allerdings 
    rechne ich Journalismus und journalistische Qualitätskriterien zu meinen 
    Spezialgebieten und – wie ich vorhin aufgezeigt habe – kann man vieles von 
    dem auf das Thema der Weblogs anwenden. 
     
    Die Gegenwart: Vom privaten Tagebuch über 
    Erotik-Angebote bis zur News-Site aus dem Krisengebiet decken Weblogs ein 
    sehr breites Themen-Spektrum ab. Wie lassen sich Weblogs am besten 
    klassifizieren?  
     
    Donsbach: Darüber maße ich mir aus 
    den genannten Gründen kein Urteil an. Hier gibt es bestimmt bessere Experten 
    als mich. Aber im Sinne unseres bisherigen Themas ist sicherlich eine 
    entscheidende Grenze durch die Frage determiniert, was man von diesen 
    Angeboten als „Journalismus“ bezeichnen kann und was nicht. Damit wird 
    hoffentlich auch deutlich, dass ich die Klassifikation „Journalismus“ nicht 
    auf die Angebote der bereits existierenden Medien im Netz beschränken 
    möchte. Journalismus (im Gegensatz zu allen anderen Kommunikationsangeboten) 
    wird nicht durch die Institutionen definiert, sondern durch die Anwendung 
    der erwähnten Regeln und das Verfolgen des erwähnten Zieles (unabhängige 
    Wirklichkeitswahrnehmung). Ein „Blogger“ kann auch journalistische Angebote 
    produzieren, wenn er diese Regeln anwendet und dieses Ziel erreichen will.
     
     
    Das Problem für den Rezipienten (und damit letztlich auch für den Anbieter) 
    ist die Unsicherheit über diese Methoden und Ziele. Mit anderen Worten: Der 
    durchschnittliche Leser verlässt sich lieber (und sollte sich im 
    Zweifelsfall auch lieber verlassen) auf die Angebote von Institutionen, die 
    ihre Seriosität in dieser Hinsicht bereits nachgewiesen haben. 
     
     
    Die Gegenwart: Wo liegt das Faszinierende 
    daran, in privaten Weblogs zu lesen? Gibt es Parallelen zu der Motivation, 
    regelmäßiger Big Brother-Zuschauer zu sein? 
     
    Donsbach: Das ist 
    sicherlich unterschiedlich von Weblog zu Weblog. Der Voyeurismus, den 
    sie 
    erwähnen, ist vielleicht ein Motiv. Ebenso dürfte es bei einigen eine Rolle 
    spielen, das Gefühl zu haben, ganz besondere, einmalige Informationen zu 
    bekommen, die die anderen Medien nicht enthalten. Sie sehen somit vielleicht 
    einen besonderen Exklusivitäts-Charakter, manchmal sogar einen 
    investigativen, fast verschworenen Charakter, der dann oft auch mit 
    Verschwörungstheorien und einer gewissen medialen Paranoia korrelieren mag. 
    Und genau dieses Gefühl dürfte bei denjenigen besonders stark vorhanden 
    sein, die diese Internetangebote aus einer gewissen Abwehr-Haltung gegenüber 
    den traditionellen Medien nutzen. 
     
    Die Gegenwart: Was 
    können Weblogs besser? 
     
    Donsbach: Sie können es 
    vielleicht besser, etwas außergewöhnliche, randständige Informationen zu 
    besorgen und öffentlich zu machen, weil sie nicht den üblichen Routinen des 
    Nachrichtenjournalismus der klassischen Medien unterliegen. Sie unterliegen 
    auch nicht den wirtschaftlichen Notwendigkeiten und Interessen der 
    Medienunternehmen. Aber sie unterliegen eben häufig den subjektiven 
    Interessen und Zielen derjenigen, die sie machen und die sich in der Regel 
    keiner Qualitätskontrolle unterwerfen müssen. 
     
    Die Gegenart:  Wie beurteilen sie die Gefahr, dass 
    erfundene oder schlecht recherchierte Nachrichtenbeiträge aus Weblogs durch 
    Übernahme in die „klassischen“ Online-Nachrichtenangebote in der 
    Öffentlichkeit für bare Münze genommen werden?  
     
    Donsbach: Nach dem 
    bisher Gesagten offensichtlich sehr hoch! Zwar wird sich die Mehrheit der 
    Internetnutzer auf die Angebote von bekannten Medien, auch bekannten 
    Internet-Medien verlassen, aber bei einer Minderheit wird das keine Rolle 
    spielen. Das heißt, man wird das glauben, was den Erwartungen entspricht, 
    wie schlecht recherchiert oder abstrus es auch immer sein mag. Propaganda 
    und Aktivismus kann dann von vielen als journalistisches Produkt 
    wahrgenommen und für die einzige Wahrheit gehalten werden 
     
    Die Gegenwart:
    Was für Möglichkeiten gibt es, Weblogs qualitativ zu überprüfen und 
    die Qualität dauerhaft zu sichern? 
     
    Donsbach: Bei der 
    Vielzahl der Weblogs ist das schier unmöglich. Es gibt offensichtlich 
    Ansätze für einen Zusammenschluss, der auch eine gewisse gegenseitige 
    Kontrolle beinhaltet. Aber entweder kann diese Qualitätskontrolle gar nicht 
    realisiert werden, weil die notwendigen Informationen auf Seiten der 
    Beteiligten fehlen, oder man endet wieder bei Organisationsformen der 
    traditionellen Medien und der eigentliche Kick der Weblogs geht verloren. 
     
    Die Gegenwart: Welche journalistischen Inhalte eignen 
    sich besonders für die Darstellung in einem Weblog? 
     
    Donsbach: Ohne 
    institutionelle und wirtschaftliche Zwänge kann sich ein Blogger viel 
    intensiver, gelegentlich auch langfristiger um ein Thema kümmern, auch 
    Themen aufgreifen, die andere Medien nicht aufgreifen. Wie ich schon gesagt 
    habe, ist vermutlich das Randständige, nicht dem Mainstream entsprechende 
    das Gebiet, auf dem sich die Blogger vor allem tummeln können. 
     
    Die Gegenwart: Welche Weblogs lesen sie? 
     
    Donsbach: Keine 
    regelmäßig. 
     
    Die Gegenwart: Wann beginnen sie 
    ihr eigenes Weblog? 
     
    Donsbach: Als 
    Wissenschaftler habe ich andere Quellen, in denen ich veröffentlichen muss 
    und die anderen Qualitätskriterien unterliegen. Ein wissenschaftlicher 
    „Blogger“ wäre ich dann, wenn ich die peer review-Zeitschriften umgehen 
    würde, indem ich meine wissenschaftlichen Ergebnisse ohne Kontrolle durch 
    Kollegen nur noch auf meiner Website veröffentliche. Dies ist also durchaus 
    vergleichbar mit dem, was ich über die Abgrenzung zu professionellem 
    Journalismus gesagt habe. Für mich als Bürger sind Weblogs natürlich 
    potenziell eine Möglichkeit, mich öffentlich zu Wort zu melden. Vielleicht 
    bekommen wir ja durch das Internet am Ende doch so etwas wie das, was sich 
    Bert Brecht mit seiner visionären „ Radio-Theorie“ vorgestellt hat. 
    
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