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    Offline nicht verfügbar 
    
     
     
     
    München ist nicht am Ende der Welt.  
    Ohne Internet jedoch fühlt es sich ein bisschen so an. 
    
    
    Text: 
    
    
    Petra Bäumer   Bild: 
    Photocase.com 
    
    
    
     
    
    
    Der Explorer öffnet sich, der 
    Computer lädt ordnungsgemäß, dann erscheint auf dem Monitor: „Die Seite kann 
    nicht angezeigt werden“. Technische Probleme? Falsche Browsereinstellungen? 
    Nein, der Grund liegt ganz woanders. Der gewohnheitsmäßige Suchprozess im 
    Netz hat einen entscheidenden logischen Haken: Ich bin offline. 
     
    Ich bin in einer neuen Stadt und ohne ein netzfähiges Notebook, fernab von 
    Modem, DSL, WLAN oder Flatrate – vollkommen hilflos. Nachdem ich mir vor 
    über sechs Jahren den ersten GMX-Account eingerichtet hatte, bemerke ich 
    erst jetzt, wie weit die digitale Seite in meinem Leben vorangeschritten 
    ist. Damals wusste ich vom World Wide Web so gut wie nichts. Heute abonniere 
    ich nicht einmal mehr eine Zeitung. Das E-Paper der Süddeutschen Zeitung 
    lese ich lieber gleich am PC. Für das Fernsehprogramm genügt ein Blick auf 
    die Seite der Hörzu, während nebenbei das Webradio läuft und ich entdecke, 
    dass ich mir die verpassten Folgen meiner Lieblingsserie auch per Livescreen 
    anschauen kann. Das alles problemfrei, rasend schnell: DSL 3000. Längst ist 
    die Rechnung fürs Mobiltelefon auf den kostengünstigeren Online-Betrieb 
    umgestellt. Internet-Banking ist endlich schneller, jederzeit und von 
    überall möglich. 
     
    Vorausgesetzt natürlich, dieser Standard bleibt erhalten. Mindestens täglich 
    seine Mails abzurufen, das ist heute Standard. Wie selbstverständlich werden 
    Einladungen zu Geburtstagen, Vorträgen oder Jahrestagen ausschließlich per 
    Mail verschickt. Statt Postkarten, schreiben die Freunde aus der Ferne ihre 
    Erlebnisse ins eigene Weblog. Behörden, Unternehmen und Universitäten 
    sind von Kopf bis Fuß auf online eingestellt. So plane ich im Netz meine 
    Reisen, verlängere Bücher aus der Bibliothek mit einem Klick, ersteigere CDs 
    zu triumphalen Preisen. 
     
    Allein in der neuen Wohnung ohne Internetanschluss fühle ich mich von 
    einem großen Teil der Gesellschaft ausgeschlossen. Die Arme des Netzwerkes 
    des 
    
     openBC reichen weltweit. Nur ohne Netz nutzen sie mir nichts. Es könnte 
    so einfach sein,  neue Freunde fände ich zum Beispiel
    unter 
    
     www.meinestadt.de oder gar einen Partner unter
    
    
     www.neu.de. Sicherheits- und 
    neugierhalber würde 
    man dann das geeignete Gegenüber dann  bei 
    
     Google ausfindig machen und mit 
    Hilfe von 
    
     Stayfriends.de seine Vergangenheit rekonstruieren. Stattdessen 
    jedoch organisiere ich mein Leben unvoreingenommen um ein Telefon und meinen 
    kostbarsten Schatz, die gelben Seiten. Gewohnt an das multiplexe Finden der 
    Suchmaschinen aber verwirrt mich die straffe Einwegsuche. 
    Zusatzinformationen fehlen, Verlinkungen, Variationen. Beim Blick auf die 
    spärlichen Einträge zu „Internetcafes“ beschleicht mich außerdem das Gefühl, 
    dass meine Ausgabe nicht ganz aktuell sein kann. 
     
    Die Freizeitgestaltung lässt sich jedoch auch mit anderen Mitteln planen. Will 
    ich ins Kino, Konzert oder Theater, gibt es Auswege: die oft unterschätzten 
    Anzeigenblätter und Stadtmagazine. Printmedien gibt es tatsächlich noch. Und 
    das in allen Formen. National, regional oder lokal, monatlich und 
    tagesaktuell. Nachdem ich mich sonst mit 
    
     Spiegel 
    Online oder 
    
     Tagesschau.de 
    ausreichend informiert sah, schätze ich nun wieder das druckgeschwärzte 
    Papier in meinen Händen. Besser als jedes Notebook lässt sich die Zeitung 
    überall mit hinnehmen. Auf mehr als 17 Zoll habe ich alles was ich brauche: 
    Politik, Wirtschaft, Kultur. Die Zeitung beweist mir, es geht auch ohne 
    online. Abseits von  
     stepstone.de oder 
     monster.de freue ich mich, 
    finde hier die Stellenanzeigen als Trutzburg für den Briefverkehr. Mein 
    freudiger Seufzer erstirbt als ich auf den Zusatz „Bewerbungen bitte nur 
    online“ stoße. Der Blick ins Kleingedruckte von Anzeigenblatt, Zeitung oder 
    Zeitschrift führt immer wieder zu den gleichen Hinweisen: „Lesen Sie weiter 
    auf
    www.de. Zu allem Überfluss kann die Karibikreise im Morgenradio nur gewonnen 
    werden, wenn man sich anmeldet. Natürlich im Internet. 
     
    Bleibt noch das Telefon. Konzertickets, ermutigen mich Printmagazine, kann 
    man auch per Telefon bestellen. Hotlines, entsinne ich mich, gibt es 
    schließlich für fast alles. Möchte ich die Öffnungszeiten des Bürgeramtes 
    oder der Bäder in München herausfinden, lässt sich dies durchaus auch mit 
    Hilfe der Automatenstimme und den Tasten 1 bis 5 bewerkstelligen. Allgemeine 
    Informationen, gar einen persönlichen Ansprechpartner kann ich zu fast jedem 
    Thema erreichen. Ich entscheide mich für den direkten Kontakt und – bleibe 
    mit den Beatles in der Warteschleife hängen. Das ist natürlich 
    weniger schlimm, weil kostenlos. Ebenso kostenlos wie umsonst gestaltet sich 
    der Anruf bei der deutschen Bahn, wo die Automatenstimme mich hartnäckig 
    nicht versteht. Ich gerate ins zweifeln, wie es mir ohne Netz überhaupt 
    möglich sein sollte, ein Angebot der Billigflieger zu buchen. Ganz zu 
    schweigen, dass ich niemals von dem neuen Winterspecial erfahren würde. Denn 
    der freundliche Newsletter in meiner Mailbox verfiele dort ohne mein Wissen. 
    Die Lösung bei der Airline anzurufen, beinhaltet leider auch einen Aufschlag 
    von 20 Euro, zuzüglich der Hotline-Minuten. 
     
    Nach vier Tagen zeigen sich Suchtsymptome. Der Gedanke „Ich muss meine 
    Emails checken“ ist allgegenwärtig. Wer weiß, was in meiner Mailbox gerade 
    passiert? In meinem Kopf habe ich die einmalige „Bitte sofort Antworten“-Jobangebote verpasst, Liebeserklärungen sondergleichen oder die Einladung 
    zur Party des Jahrhunderts. Wissend, dass dies so unwahrscheinlich 
    wie 
    unmöglich ist, spiele ich trotzdem mehrfach mit dem Gedanken jemanden 
    anzurufen, damit er für mich im Internet Infos beschafft. Oder mir dazu den 
    günstigsten Telefontarif verrät. 
     
    Doch die anfängliche Unfähigkeit, Dinge auf anderem Wege zu erledigen, löst 
    sich auf. Es fühlt sich ein wenig an, als müsse ich eine Sprache vollständig 
    neu lernen. Das bedeutet, sich anzupassen und vor allem umzudenken. Ständige 
    Kommunikation oder Information ist kein Muss. Noch nie habe ich im Urlaub 
    das Internet wirklich vermisst und auch sonst lasse ich das Handy bewusst 
    daheim. Ich arrangiere mich. Genieße teilweise sogar den Rückzug. Umgeben 
    von nutzlosen Hotspots kaufe ich meine Bücher wieder im Buchhandel und 
    entdecke das Briefe schreiben neu. Ohne „Antwortbutton“ gehört zur 
    Grundausrüstung: Papier, Stift,  Briefmarken und –Umschlag sowie der 
    unweigerliche Gang zur Post. Mitgesendete Fotos allerdings müssen vorher 
    entwickelt werden.  
     
    Ohne DSL 3000 verläuft das Leben in Echtzeit. Das bedeutet im Vergleich 
    auch: langsamer. Die Nachteile aus dem Offlinebetrieb lassen sich rasch auf 
    der Seite von Kosten und Zeit aufrechnen. Doch diesen Vergleich sollte man 
    nicht anstellen. Denn ich habe tatsächlich Vorteile. Nun treffe ich bewusste 
    Entscheidung darüber, welche Informationen wirklich wichtig sind. Das Leben 
    ohne Internet verläuft einerseits viel stärker geplant, auf der anderen 
    Seite kann es nur funktionieren, wenn man sich auf viel weniger Planung 
    einlässt. Es ist weniger wichtig, ob es nun genau dieser Film im Kino ist 
    oder ein anderer. Klar, finde ich die Bahnverbindung heraus, ich muss nur am 
    Schalter vorbei gehen. Dass dieser zwischen neun und 15 Uhr geöffnet ist, 
    erfahre ich so, als ich vor dem verschlossenen Fenster stehe. Flexibilität 
    ist alles. 
     
     
    Kann man ohne Internet überleben? Sicher. Besser wäre es jedoch, ich wüsste 
    nichts von seiner Existenz. Ganz gleich, ob ich es brauche oder nicht: Ich 
    will DSL, schnell. Von der Plakatwand vor meinem Fenster lächelt eine junge 
    Dame neben einem Modem mit Schleife. „Flatrate nur 4,99 Euro“. Das 
    funktioniert, verspricht sie, so einfach: Nur ein Klick.   | 
    
    AUSGABE 46 
    DAS SOZIALE NETZ 
     
     
      
     
    
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    EDITORIAL VON BJÖRN 
    BRÜCKERHOFF 
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