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    Wenn wir eine 
    Liste von Wörtern zusammenstellen würden, die ein bestimmtes Land 
    beschreiben sollte, dann ist sehr wahrscheinlich, dass bereits nach wenigen 
    Begriffen klar ist, um welches Land es sich wohl handeln mag. Ein Beispiel:
     
     
    Elefanten, Gold, Urlaub, 
    schwarze Haut, Kriminalität, Tafelberg, Apartheid. Genau! Südafrika. 
     
     
    Wir alle haben unsere Bilder im Kopf von bestimmten Ländern und deren 
    Realität. Selbst, wenn wir noch nie dort waren. Doch woher stammen diese 
    Bilder und Eindrücke? Zum einen sicherlich von Freunden oder Angehörigen, 
    die schon einmal dort waren. Im Falle von Südafrika ist es sehr 
    wahrscheinlich, dass wir jemanden kennen, denn pro Jahr reisen einige 10.000 
    Deutsche ins Land am Kap.  
     
    Natürlich könnte man auch einmal ein Buch lesen, dass sich mit der Heimat 
    Nelson Mandelas beschäftigt. Viel mehr Einfluss aber haben die 
    elektronischen Massenmedien auf unser Bild, denn sie zeigen aufgrund der 
    Einschaltquoten recht großen Teilen der Bevölkerung, möglicherweise bisher 
    eher desinteressiert am Thema, den Weg zum Tafelberg. Da haben wir Karl 
    Moik, der mit seinem Musikantenstadl, reitend auf eben jener Tourismuswelle, 
    die wunderbare Welt der Buren aufmischt. Oder es wird eine Bochumer 
    Tierärztin geschickt, die in einer ZDF-Schmonzette in den fernen Süden 
    entsandt wird, um in einer Miniausgabe des Krügerparks Babylöwen abzuholen 
    und sich dabei Hals über Kopf verliebt, natürlich nicht nur ins Land, 
    sondern auch in den lokalen Wildhüter. Ist ja klar.  
     
     
    
    
      
     
    Bilderstrecke: Afrika ist kein Land 
    
    
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    Schwieriger wird es im Falle von Ländern, die weder diesen Tourismus 
    aufzuweisen haben, noch sich als Projektionsfläche romantisch verklärter 
    Fernsehproduktionen eignen. Malawi ist so ein Fall. Malawi schafft es aber 
    dennoch in unsere Köpfe. Denn mit den Begriffen Madonna und Adoption können 
    wir seit einiger Zeit auch im Falle Malawis eine Pseudodefinition vornehmen. 
    Doch nur weil Frau Ritchie Probleme nach der Adoption eines malawischen 
    Kindes hatte, ist unser Wissen nicht geschärft. Die meisten dürften 
    deshalb immer noch im Dunkeln tappen, wo genau Malawi eigentlich liegt.   
     
    Also wenden wir uns besser den wirklichen Fakten zu. Oder versuchen es 
    zumindest. Schließlich gibt es dafür ja die journalistische Allzweckwaffe, 
    die Korrespondenten. Alle deutschen Mediengattungen sind in Südafrika 
    vertreten und berichten von hier. Nicht nur vom Land selbst, denn Südafrika 
    bietet ideale Voraussetzungen für die regionalen Büros der Medienhäuser.  
     
    Da sind sie nun, die Frauen und Männer, die auszogen, die Wirklichkeit ihrer 
    Gastländer in deutsche Wohnstuben zu bringen und dem daheimgebliebenen 
    Mitbürger das Geschehen hinter Afrikas grünen Hügeln zu erklären. Wie absurd 
    dieses Konzept tatsächlich jedoch ist, sollten uns eigentlich die 
    Erkenntnisse der Kriminalistik gelehrt haben. Unsicherheit kommt bei der 
    Verbrechensbekämpfung nämlich immer dann auf, wenn der menschliche Faktor 
    ins Spiel kommt, es um Zeugenaussagen geht. Jeder hat etwas anderes gesehen. 
    Der Mann, der die Unfallflucht begangen hat, war blond, nein glatzköpfig 
    oder war es doch eine Frau? Egal. Jedenfalls war es ein BMW, nein Audi, 
    jetzt haben wir es: ein Mercedes. Richtig? 
     
    Lassen Sie uns eines klarstellen: Dies ist keine Kollegenschelte. Im 
    Gegenteil. Die Arbeit in Afrika ist eine logistische Herausforderung, allein 
    schon wegen der Entfernungen. Dazu kommen die vielen Länder mit Ihren 
    dutzenden Sprachen, Südafrika alleine hat schon elf Landessprachen. Damit 
    nicht genug, müssen die Berichterstatter die verschiedenen Kulturen und 
    Stammesgeschichten berücksichtigen, über die sich unterschiedliche koloniale 
    Vergangenheiten und die jeweils anschließenden Befreiungsbewegungen stülpen, 
    hier Apartheid, dort Diktaturen. Auf der einen Seite der Grenze hat man 
    Erfahrung mit dem Sozialismus, auf der anderen mit dem Kapitalismus. Oft 
    auch mit beidem.   
     
    Zurück zur Realität, oder dem, was wir dafür halten. Wir erwarten nun von 
    den Abgesandten der Informationsgesellschaft, dass sie in diesem 
    afrikanischen Wust, von dem auch an dieser Stelle nur ein Ausschnitt 
    dargeboten wurde, tatsächlich in der Lage sind, die Realität in vollem 
    Umfang zu erkennen und eben diese Realität für uns abzubilden. Die einzig 
    wahre Aussage kann in diesem Zusammenhang nur lauten, dass es  Realität 
    nicht gibt, nicht geben kann. Jedenfalls nicht die, in der in 90 TV-Sekunden 
    die Lebenswirklichkeit eines ganzen Landes erklärt wird. Nicht etwa, weil 
    die Kollegen nicht seriös arbeiten würden, oder gar falsche Eindrücke 
    vermitteln wollten. Es geht schlichtweg nicht. Die Zeit ist zu kurz, der 
    Platz zu begrenzt und darüber hinaus können sich einzelne, kleine Teams nur 
    einen ungefähren Überblick verschaffen, denn sie können nicht überall sein. 
    Trotz zuarbeitender Stringer.  
    
     
    Realität ist außerdem mehr als die Summe von Erfahrungen, die ein Mensch in 
    einem Land machen kann. Selbst wenn er professioneller Informationssammler 
    sein mag, denn die Leistungsfähigkeit des menschlichen Gehirns ist endlich. 
    Nicht nur physisch sondern auch psychisch. Auch Korrespondenten haben 
    Vorurteile, Vorlieben und Begrenzungen. Es sind keine Übermenschen, sondern 
    in der Regel mit europäischen Denkmustern vorbelastete Männer und Frauen, 
    denen sich die afrikanische Lebens- und Handlungsweise eben aus diesem 
    Grunde einfach nur bis zu einem gewissen Grad erschließen kann und daher 
    auch immer das Objekt von Missinterpretationen bleiben wird. Dazu kommt die 
    oben bereits ausgeführte Reizüberflutung, gekoppelt mit einer automatisch 
    eingebauten Überforderung. Da wundert es wenig, wenn im Arbeitsalltag das 
    Bekannte, erfolgreich Erprobte, den Vorrang erhält.    
     
    Ein Beispiel aus Südafrika: In den Redaktionsstuben der Mutterhäuser gehen 
    immer wieder Meldungen aus Kapstadt, Pretoria und Johannesburg ein. Für die, 
    die aufmerksam hinhören, wiederholen sich diese Namen, wenn es um Südafrika 
    geht. Die Wenigsten in Deutschland haben aber jemals von der Provinz Eastern 
    Cape gehört. Und das, obwohl hier viel passiert. Es ist die Provinz, in der 
    der im ganzen Land unangefochten herrschende African National Congress (ANC) 
    seine absolute Hochburg hat. Aus dieser Provinz stammen fast alle wichtigen 
    ANC-Führer von Mandela bis Mbeki. Hier werden milliardenteure 
    Strukturprogramme des Staates geplant, durchgeführt und grandios in den 
    Küstensand gesetzt. Mandelas verarmter Bruder, ebenso alt geworden wie sein 
    berühmter Verwandter, lebt hier immer noch. Deutsche Firmen wie Mercedes und 
    VW haben ihre Produktionsstätten vor Ort. Die Büros vieler Korrespondenten 
    sind kaum eine Flugstunde entfernt, die Geschichten liegen auf der Straße 
    und trotzdem hören wir nie von hier.  
     
    Die Gründe sind vielfältig und wie immer in Afrika ist die Erklärung 
    schwierig. Da sind zum einen die Korrespondenten selbst. Sie sind oft an 
    ihre Büros gebunden, von wo aus sie die eingehenden Informationen filtern 
    und weiter verarbeiten. Vor Ort ist man nur, wenn wirklich etwas los ist. 
    Für Abseitiges hat man erst recht keine Zeit, denn meistens kommen diese 
    Geschichten in der Heimatredaktion sowieso nicht gut an.   
    
    Zu Hause muss 
    nicht zwingend ein auslandserfahrener Kollege die Zügel in der Hand halten. 
    Er wird auch eher dazu neigen, nach der großen Geschichte zur Fußball-WM zu 
    fragen, auch wenn die schon so oder so ähnlich woanders gelaufen ist. 
    Möglicherweise hat er aber auch ein Faible für Autokraten, am besten mit 
    Heimatbezug, also ran an die neuesten verbalen Entgleisungen gegen Kanzlerin 
    Angela Merkel, begangen von Robert Mugabe. Solche Stücke verkaufen sich in 
    jedem Falle besser, als die Geschichte über Eastern Cape, die damit 
    definitiv tot ist.  
     
    Nun sind Medienhäuser, das wird gerne vergessen, auch und vor allem 
    Wirtschaftsunternehmen. Verkauft sich eine Geschichte gut, trägt das zum 
    Wert der Ausgabe bei. Insofern kann man dem zuständigen Redakteur keinen 
    Vorwurf machen. Prominenz verkauft sich eben gut, der Kunde 
    bekommt, wonach er verlangt. Auftrag ausgeführt. Wenn dabei das Bild von 
    Afrika wieder mal ein Stückchen schiefer rutscht, dann ist das eben so,  
    gewisse Kollateralschäden der Informationsgesellschaft scheinen eben 
    unvermeidbar zu sein.  
     
    Weiterhin spielt natürlich die Entfernung eine große Rolle. Ein 
    Grubenunglück mit zwei verletzten Bergarbeitern in einer Ruhrgebietszeche 
    ist eine Story, im Falle von Südafrika müssen da schon zweistellige Verluste 
    an Menschenleben zu vermelden sein, sonst ruft das in deutschen 
    Redaktionsstuben nur ein müdes Achselzucken hervor. Und selbst dann ist 
    nicht gesichert, dass die Geschichte bis zum Andruck überlebt. Denn der 
    Zeitpunkt spielt eine entscheidende Rolle. Fegt nämlich gleichzeitig ein 
    Tsunami Asiens Strände leer, dann sind Afrikas Bergarbeiter nur noch 
    Kleinvieh. Erreicht die Meldung vom Unfall den Korrespondenten nach dem 
    deutschen Redaktionsschluss, dann sieht es bereits schlecht aus, denn bis 
    Morgen kann noch eine ganze Menge passieren.  
     
    Die wichtigste und gleichzeitig perverseste aller journalistischen 
    Grundregeln aber hat den größten und negativsten Einfluss auf unser Bild des 
    afrikanischen Kontinents. Der Logik folgend, dass nur eine schlechte 
    Nachricht eine gute Nachricht ist, wurde Afrika in den vergangenen 
    Jahrzehnten zum Kontinent der Katastrophen, Bürgerkriege, Hungersnöte und 
    Epidemien. Eine Schreckensmeldung jagt die Nächste. Die Negativmeldungen 
    bügeln alles andere nieder und führen nicht nur zu einem völlig falschen 
    Bild, sondern verzerren so weit, dass Afrika in Europa nicht mehr als 
    Kontinent mit 53 völlig unterschiedlichen Ländern wahrgenommen wird, sondern 
    als ein einziges, zusammenhängendes Land voller Elend. Ein fataler Irrtum, 
    hervorgerufen durch unverschuldete Unkenntnis auf Seiten der Mediennutzer 
    einerseits und unvermeidbarer Realitätsferne der Medien andererseits.  
     
    Nun könnten wir eine Hitliste der vernachlässigten Themen aufstellen, wie 
    dies die Initiative Nachrichtenaufklärung in Deutschland tut. Dies aber wird 
    den afrikanischen Realitäten wieder nicht gerecht, denn auch dies kann 
    wieder nur ein kleiner Ausschnitt sein. Wichtiger erscheint in diesem 
    Zusammenhang, die Frage nach wirklicher Abhilfe zu stellen. Und da gibt es 
    tatsächlich nur einen Ausweg aus dem Dilemma. 
     
    Die Antwort geben die Neuen Medien. Deren Entwicklung schreitet auch in 
    Afrika mit großen Schritten voran und ermöglicht neue Formen der 
    Informationsbeschaffung. Internet, digitale Kameras und vor allem das Handy 
    sind Medien, die auch aus den afrikanischen Ländern nicht mehr wegzudenken 
    sind. Vor allem die Handyzahlen wachsen rasant. Auch in den kleinsten Orten, 
    in den ärmsten Landstrichen, finden sich Mobiltelefone. Das eröffnet 
    zunächst für die Korrespondenten vor Ort ganz neue Möglichkeiten, da die 
    ihnen zuarbeitenden Stringer unmittelbar Kontakt aufnehmen und berichten 
    können.  
     
    Aber auch für den Mediennutzer daheim hat dies Vorteile. Immer mehr 
    afrikanische Internetseiten gehen an den Start. Immer mehr Blogs werden 
    geschrieben, immer mehr digitale Fotos oder auch Videos eingestellt. Für den 
    proaktiven europäischen Mediennutzer ist dies eine Fundgrube an 
    Informationen, die nicht überschätzt werden kann. Wer nun noch die 
    klassischen Medien hinzuzieht, kann sich über viele Themen informieren, die 
    bisher einfach nicht abgedeckt wurden. Dass dieser aktive Ansatz nur für 
    bestimmte Nutzer in Frage kommt, weil der Mensch grundsätzlich träge und 
    unsere Zeit begrenzt ist, versteht sich von selbst. Dennoch verlangt eine 
    komplexe Welt von den Medienkonsumenten auch zunehmend eine komplexe 
    Mediennutzung, soll sie in in ihrer Ganzheit verstanden werden. Wie 
    bedeutsam übrigens die Neuen Medien auch für die Afrikaner selbst geworden 
    sind, zeigt die jährlich im südafrikanischen Grahamstown stattfindende 
    „Highway Africa“-Konferenz, zu der regelmäßig über 500 Journalisten vom 
    ganzen Kontinent anreisen. 
    
     
     
    Nun neigen manche deutsche Redakteure wieder zu einem Schnellschuss und 
    meinen, man könne jetzt ja die Korrespondenten einsparen, schließlich gäbe 
    es ja online alle nötigen Informationen. Dies aber ist der komplett falsche 
    Ansatz. Bei aller Begrenzung der Korrespondenten ist eines ganz klar: Ohne 
    den kritisch-filternden Blick der Journalisten, die vor Ort beurteilen, ob 
    das, was Blogger oder Forenbesucher täglich veröffentlichen, ernstzunehmende 
    Informationen sind oder eben nicht, werden die positiven Aspekte der Neuen 
    Medien bald von den Negativen überlagert und die afrikanische Realität wird 
    in Europa vollends zu einem medialen Zerrbild verkommen.   | 
    
     
    Der Autor 
     
      
     
     
    Frank Windeck 
     
    Geboren 1966 in Bonn, leitet seit zwei Jahren das Medienprogramm der 
    Konrad-Adenauer-Stiftung für Sub-Sahara-Afrika mit Sitz in Johannesburg, 
    Südafrika. Studierte Geschichte, Politikwissenschaften und Geographie in 
    Bonn und Köln. Seit 1987 für Presse, Rundfunk und Fernsehen in verschiedenen 
    Positionen tätig. Schwerpunkte dabei: Magazinjournalismus und 
    TV-Produktionsmanagement. 2001 wechselte er zur Konrad-Adenauer-Stiftung, 
    dort zunächst in die Journalisten-Akademie und anschließend als 
    Auslands-mitarbeiter nach Johannesburg. 
     
    f.windeck (at) kas.org.za  |