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    Der
    „objektive“
    Informationswert 
     
     
    
     
    
      
     
    Text: 
    
    
    
    Jens O. Brelle   Bild:
    Photocase.com/BarneyOnFire 
     
    
      
     
    
    
    Das letzte Caroline-Urteil des 
    Bundesgerichtshofs (BGH) vom 6.  März vergangenen Jahres, das im Rahmen einer ganzen 
    Reihe von Entscheidungen zu Klagen derselben Kläger ergangen ist, setzt neue 
    Maßstäbe im Verhältnis von Privatsphäre und Pressefreiheit in der deutschen 
    Rechtsprechungsgeschichte.  
     
    Im Mittelpunkt dieser Entscheidung steht das 
    Caroline-Urteil des Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) vom 
    24. Juni 2004, das von der deutschen Rechtsprechung im Hinblick auf 
    Presseveröffentlichungen einen stärkeren Schutz Prominenter fordert.  
     
    Das Bundesverfassungsgericht und der BGH hielten bisher einen 
    Eingriff in die Privatsphäre eines Prominenten, wie Caroline von Hannover, 
    durch die Heranziehung des Instituts der absoluten Person der Zeitgeschichte 
    grundsätzlich für zulässig. Um die mit dem letzten BGH-Urteil einhergehenden 
    Veränderungen zu verdeutlichen, sollen im Folgenden zunächst die einzelnen, 
    in diesem Zusammenhang maßgeblichen Entscheidungen näher dargestellt werden.
     
     
    Bislang hielt sich die gesamte höchstrichterliche Rechtsprechung in 
    Deutschland zur Veröffentlichung von Bildnissen an den von ihr entwickelten 
    Maßgaben der (relativen und absoluten) Person der Zeitgeschichte.  
     
    Caroline 
    von Hannover (ehemals von Monaco) wird von der Rechtsprechung unstreitig als 
    absolute Person der Zeitgeschichte angesehen. Der Begriff „absolute Person 
    der Zeitgeschichte“ wird in der Rechtsprechung und Literatur für Personen 
    verstanden, die unabhängig von einem bestimmten Ereignis aufgrund ihres 
    Status oder ihrer Bedeutung allgemein öffentliche Aufmerksamkeit finden und 
    deren Bildnis die Öffentlichkeit deshalb um der dargestellten Person willen 
    der Beachtung wert findet.  
     
    Eine absolute Person der Zeitgeschichte muss die Veröffentlichung von Fotos 
    grundsätzlich hinnehmen, da  ein absolutes Informationsinteresse der 
    Allgemeinheit besteht. Von diesem Grundsatz macht die Rechtsprechung auch 
    Ausnahmen, zum Beispiel wenn sich die betroffene Person erkennbar in eine örtliche 
    Abgeschiedenheit zurückgezogen hat, aber auch wenn sie in Begleitung ihrer 
    Kinder zu sehen sind. Hat sich also die betroffene Person nicht erkennbar 
    zurückgezogen, kann eine in der Öffentlichkeit gemachte Fotoaufnahme einer 
    absoluten Person der Zeitgeschichte veröffentlicht werden.  
     
    So hat das Bundesverfassungsgericht beispielsweise ein Pressefoto als verfassungsmäßig beurteilt, das 
    zeigt, wie Caroline von Hannover in einer öffentlichen Badeanstalt über ein 
    Hindernis stolpert und zu Boden stürzt. Das Gericht begründete diese 
    Entscheidung damit, dass es sich bei einer öffentlichen Badeanstalt um 
    keinen abgeschiedenen Ort handle. In einem zuvor ergangenen Urteil hingegen 
    hatte es der Bundesgerichtshof im Jahre 1995 als unzulässig angesehen, Fotos von Caroline 
    von Hannover zu veröffentlichen, die sie gemeinsam mit einem Schauspieler in 
    einem Gartenlokal zeigte. Als Begründung führte das Gericht aus, dass in 
    dieser Situation für alle Personen in ihrer Nähe objektiv erkennbar gewesen, 
    dass die Prinzessin allein sein wolle und sich im Vertrauen auf die 
    Abgeschiedenheit so verhalten habe, wie sie es in der breiten Öffentlichkeit 
    nicht tun würde. Nach Ansicht des BGH habe es sich bei der Berichterstattung 
    hierüber lediglich um bloße Neugier gehandelt, welche nicht schutzwürdig 
    wäre. 
     
    In dem Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) ging es um die Beschwerde von Caroline von 
    Hannover, mit der sie geltend gemacht hat, die Entscheidungen der 
    deutschen Gerichte würden gegen ihr Recht auf Achtung ihres Privatlebens 
    verstoßen, da sie ihr keinen angemessenen Schutz bezüglich 
    Presseveröffentlichungen bieten würden. Sie beruft sich dabei auf Artikel 8 
    der Europäischen Menschenrechtskonvention. Unter den angefochtenen Fotos 
    befindet sich auch jenes, welches die Prinzessin beim Stolpern im Schwimmbad zeigt.  
     
    Der EGMR gab Caroline von Hannover Recht. Begründung: Die deutsche 
    Rechtsprechung sei mit den von ihr angewandten Kriterien nicht in der Lage, 
    den Schutz der Privatsphäre gewährleisten zu können. Bei der Abwägung 
    zwischen dem Schutz des Privatlebens und der Freiheit der Meinungsäußerung 
    sei darauf abzustellen, ob Fotoaufnahmen und Presseartikel zu einer 
    öffentlichen Diskussion über eine Frage allgemeinen Interesses beitragen. 
    Die Fotoaufnahmen im Fall Caroline von Hannover dienten lediglich zur 
    Befriedigung der Neugier eines bestimmten Publikums, denn die Öffentlichkeit 
    könne kein legitimes Interesse daran haben, wo sich die Prinzessin aufhält 
    und wie sie sich in ihrem Privatleben verhält, auch wenn sie sich an 
    öffentliche Orte begebe. 
     
    
    Die Entscheidung des BGH vom 6. 3. 2007 
     
    Der 
    Entscheidung vom 6.  März 2007 (VI ZR 13/06) lag folgender Sachverhalt 
    zugrunde: Der Kläger ist Oberhaupt des Welfenhauses und Ehemann der ältesten 
    Tochter des verstorbenen Fürsten von Monaco. Die Beklagte verlegt die 
    Zeitschrift „Frau Aktuell“. In ihrer Ausgabe Nr. 9/2002 vom 20. Februar 2002  wurde berichtet, dass es dem Fürsten von Monaco „wieder einmal 
    sehr schlecht gehen soll“ und dass er Besuch nur von seiner jüngsten Tochter 
    erhalten habe, seine älteste Tochter, die Ehefrau des Klägers, aber mit 
    ihrem Ehemann und ihrem Töchterchen ein paar Tage zum Skiurlaub in St. 
    Moritz weile. Illustriert war diese Berichterstattung unter anderem mit der 
    beanstandeten Aufnahme, welche den Kläger neben seiner Ehefrau auf der 
    Straße in St. Moritz zeigt. Der Kläger verlangt – wie seine Ehefrau im 
    Verfahren VI ZR 14/06  – von der Beklagten, es zu unterlassen, diese 
    Aufnahme erneut zu veröffentlichen. 
     
    Im Rahmen der Interessenabwägung zwischen öffentlichem Interesse und 
    Privatsphäre berücksichtigt der BGH erstmalig das Urteil des EGMR vom 24. 
    Juni 
    2004. Nach Ansicht des BGH muss auch bei absoluten Personen der 
    Zeitgeschichte der Informationswert der Berichterstattung in die 
    Interessenabwägung einfließen. Dabei liege der Schwerpunkt für das Abbilden 
    besagter Fotoaufnahmen gerade nicht mehr nur in der Person selbst, vielmehr 
    müsse nun auch die dazugehörige Wortberichterstattung herangezogen werden. 
    In diesem Verfahren hielt der BGH nur die Fotoaufnahmen des Ehepaares von 
    Hannover für zulässig, welche im Zusammenhang mit der Wortberichterstattung 
    über die Erkrankung des damals regierenden Fürsten von Monaco veröffentlicht 
    worden sind, denn bei dieser Erkrankung handle es sich um ein 
    zeitgeschichtliches Ereignis, über das die Presse berichten dürfe. Die 
    ferner beanstandeten Fotoaufnahmen seien aber ohne Einwilligung der 
    Abgebildeten unzulässig, da den Begleittexten eben kein Beitrag zu einer 
    Materie von allgemeinem Interesse zu entnehmen sei.  
     
    Künftig sei also eine inhaltliche Wertung der Berichterstattung vorzunehmen: 
    Je geringer der Informationswert der Meldung für die Allgemeinheit ist, 
    desto stärker fällt der Schutz des Persönlichkeitsrechts ins Gewicht. 
     
    
    Folgen für die Praxis 
     
    Mit den letzten Entscheidungen macht der BGH einen großen Schritt in zwei 
    verschiedene Richtungen. Auf der einen Seite soll nun ein noch stärkerer 
    Schutz im Hinblick auf das Persönlichkeitsrecht Prominenter gewährleistet 
    sein, auf der anderen Seite soll aber auch der Spielraum der Medien für ihre 
    Berichterstattungen weit bleiben. Die Grundüberlegungen des BGH überzeugen 
    zwar grundsätzlich, können im Ergebnis jedoch schwer in Einklang gebracht 
    werden. 
     
     Allein das Kriterium eines „Beitrags zu einer Debatte von allgemeinem 
    Interesse“ bzw. „objektiven Informationswert“ ist zu unbestimmt. Wann ist 
    eine Debatte allgemein interessant, wann hat eine Information objektiven 
    Informationswert? Wirklich objektiv lässt sich dies wohl kaum bestimmen, 
    denn wie allgemein ist der Kreis derer, deren Interesse durch eine 
    stolpernde Caroline von Hannover befriedigt wird? Fraglich bleibt, woran der 
    Grad des Informationsinteresses der Allgemeinheit festgemacht wird und wann 
    überhaupt von „Allgemeinheit“ gesprochen werden kann. So ist zum Beispiel das 
    Informationsinteresse eines „Bunte“-Lesers ein ganz anderes als eines „Spiegel“-Lesers. Welcher Maßstab soll jedoch zur Bestimmung des allgemeinen 
    Informationsinteresses maßgebend entscheidend sein?  
     
    Welchen Informationswert hat die Frage, ob und wie verliebt ein deutscher 
    Nationaltorwart seiner neuen Geliebten auf der Promenade von St.Tropez in 
    die Augen schaut? Welchen Informationswert hat die Frage, ob (und mit 
    welchem Detail) dieser Torwart „hosenmäßig voll im Trend“ ist, wie es ein 
    anderes Foto in derselben Illustrierten suggerierte? Der erste Fall vor dem 
    BGH ist noch nicht entschieden, gegen das zweite Foto hatte sich Oliver Kahn 
    bereits außergerichtlich erfolgreich zur Wehr gesetzt. 
     
    Was den einen interessiert, hat für den anderen möglicherweise keinerlei 
    Informationswert. Der BGH stellt selbst fest, dass auch durch unterhaltende 
    Beiträge Meinungsbildung stattfinden kann, auch solche Beiträge können also 
    ausreichenden Informationswert haben. Das Merkmal der „Befriedigung bloßer 
    Neugier“ bleibt allerdings undefiniert. 
     
    Möglicherweise werden es die Medien zukünftig unter Berufung auf das 
    aktuelle BGH-Urteil ausnutzen, eine legitime Wortberichterstattung mit einer 
    ansonsten unzulässigen Bildberichterstattung zu verknüpfen, um im Ergebnis 
    eine insgesamt zulässige Berichterstattung zu erreichen.  
     
    Die Entscheidung des BGH eröffnet Interpretationsspielräume. Für künftige 
    Entscheidungen solcher Fälle fehlt jedoch noch der „rote Faden“. 
    Einheitliche Kriterien und Rechtsfiguren – so wie bei der absoluten Person 
    der Zeitgeschichte – gibt es bisher jedoch nicht. In den künftigen 
    Entscheidungen der Gerichte sollten daher – für bestimmte Fallgruppen – 
    konkrete objektive Kriterien zur Abwägung von Schutz der 
    Persönlichkeitsrechte gegen Pressefreiheit entwickelt werden, wie z. B. die 
    Merkmale der Abgeschiedenheit, der Begleitpersonen mit Kindern sowie für die 
    Rechtsfigur der „Person der absoluten Zeitgeschichte“.   | 
    
       
 
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