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    22.30 
    Uhr in Philadelphia, eben sind die Lokalnachrichten auf Fox 29 zu Ende 
    gegangen. Der Aufmacher war die Nachricht, dass der deutsche Smart nun auch 
    auf der anderen Seite des Atlantiks angekommen ist. Die lokalen Stationen 
    von ABC, NBC und CBS beginnen ihre Nachrichtensendungen live vom Brand einer 
    Lagerhalle.  
     
    Gestern hat John McCain die Vorwahlen in Florida gewonnen, heute sind John 
    Edwards und Rudy Giuliani aus dem Rennen um das Amt des Präsidenten 
    ausgeschieden, und  Justizminister Michael Mukasey hat in einem Brief an den 
    US-Senat erklärt, die Foltermethode Waterboarding sei eigentlich nicht 
    wirklich illegal. Heute Morgen ist mir die amerikanische Medienlandschaft 
    schon einmal über die Leber gelaufen, als ich in der ehrwürdigen New York 
    Times auch keine Kritik an den Foltermethoden der CIA gelesen habe.  
     
    Es war einmal vor vielen Jahren, 1972 und gar nicht weit von hier, da sah 
    der amerikanische Journalismus noch ganz anders aus. Die Watergate-Affäre, 
    die Richard Nixon das Oval Office kostete und Bob Woodward und Carl 
    Bernstein von der Washington Post zu Galionsfiguren des investigativen 
    Journalismus machte, war Auftakt zu einer Ära, in der der amerikanische 
    Journalismus Vorbild für andere nationale Mediensysteme wurde, zum Beispiel 
    für die oft zerstrittene Parteienpresse in Europa. Die Tage des 
    investigativen Journalismus sind in den USA vorbei, vorerst. Die 
    Terror-Anschläge vom 11. September 2001 haben auch die Medienlandschaft 
    nachhaltig verändert. In den Monaten nach den Anschlägen war es der Presse 
    unmöglich, die Politik der Bush-Regierung kritisch zu analysieren – und 
    seitdem haben sich die Journalisten daran gewöhnt, Regierungsquellen 
    weitgehend unkommentiert wiederzugeben. 
     
    Linke Kritiker, wie zum Beispiel der kalifornische 
    Kommunikations-wissenschaftler Douglas Kellner, sehen den Mangel einer 
    kritischen Debatte in den Medien als Symptom einer Krise der amerikanischen 
    Demokratie. In einem demokratischen 
    Staat hätten Journalisten die Aufgabe, politisch relevante Themen zu 
    diskutieren und von verschiedenen Seiten zu beleuchten. Während des „Krieges 
    gegen den Terror“ habe es aber nur einseitige 
    Berichterstattung zugunsten der Bush-Regierung und der Pentagon-Politik 
    gegeben. Fanatiker der rechten Seite des politischen Spektrums hätten 
    über einen langen Zeitraum hinweg in den Medien ein williges Forum für die 
    Verbreitung extremer Meinungen gefunden. Die Kolumnistin Ann Coulter hatte 
    zu dieser Zeit kein Problem, in der Zeitschrift National Review dazu 
    aufzurufen, die Führer der islamischen Welt umzubringen und die islamischen 
    Länder zum Christentum zu konvertieren. 
     
    Die Bush-Regierung verbreitet seit 2001 eine beispiellose Kriegs-Hysterie, 
    von den Medien willig aufgenommen und an die Bevölkerung weitergegeben. Ganz 
    besonders auffällig war der aggressive militärische Ton der 
    Fernsehnachrichten nach dem 11. September. Nachrichten wurden mit visuell 
    eindringlich gestalteten Parolen präsentiert, die die Kriegsrhetorik der 
    Regierung wiedergaben: Auf Fox News, CNN, MSNBC und in den 
    Nachrichtensendungen der großen Sender ABC, CBS und NBC wurden die 
    Nachrichten unter Bannern wie „America’s New War“, „America Rising“, „Attack 
    on America“ präsentiert. Die amerikanische Flagge war, natürlich, 
    allgegenwärtig. Flaggenjournalismus nennt das Sandra Borden von der Western 
    Michigan University.  
     
    In Kriegszeiten schart sich das Volk um seine Führer – der „rally around the 
    flag“-Effekt. Demokratische Prinzipien bleiben hinter bedingungslosem 
    Patriotismus zurück, wer öffentlich Kritik am Kurs der Regierung übt, wird 
    zum gesellschaftlichen Außenseiter und muss mit Konsequenzen rechnen. 
    Pulitzer-Preisträger Peter Arnett, der 1991 aus dem Irak über den Golf-Krieg 
    berichtet hatte, wurde 2003 von NBC gefeuert, nachdem er in einem Interview 
    mit einem irakischen Fernsehsender erklärte, der amerikanische Einmarsch in 
    den Irak sei nicht durchdacht und schlecht organisiert. Kurz nach dem 
    Interview unterstützte NBC seinen Star-Reporter noch, der habe ja nur eine 
    neutrale Analyse des Krieges präsentiert. Wenige Tage später hieß es aus der 
    NBC-Zentrale in New York, Arnett habe einen Fehler gemacht, als er seine 
    persönlichen Meinungen über einen vom irakischen Regime kontrollierten 
    Fernsehsender verbreitete. 
     
    Nun lässt sich freilich diskutieren, ob in Krisenzeiten die Medien nicht 
    sogar die Aufgabe haben, mit ihrer Berichterstattung zur nationalen Einheit 
    beizutragen. Möglich – aber ganz sicher nicht bedingungslos. Die normative 
    Hauptfunktion der Medien in einer Demokratie ist es, die Öffentlichkeit über 
    politische Ereignisse zu informieren und aufzuklären. Wie erfolgreich die 
    amerikanischen Journalisten damit waren, spiegelt sich zum Beispiel in den 
    berüchtigten Umfragen wieder, nach denen 70 Prozent der Amerikaner überzeugt 
    waren, dass Saddam Hussein in die Anschläge vom 11. September verwickelt 
    war. Die Medien zweifelten nicht daran, dass eine Invasion des Irak nach dem 
    Einmarsch in Afghanistan der logische zweite Schritt im Krieg gegen den 
    Terror war, und mit den Journalisten war auch ihr Publikum militaristisch 
    gestimmt.  
     
    Die Selbst-Zensur der amerikanischen Medien in den vergangenen Jahren ist 
    ein erstaunliches Phänomen. Üblicherweise haben Politiker nur wenige 
    Chancen, ihnen unbequeme Nachrichten aus den Medien herauszuhalten. Nach dem 
    11. September musste die Regierung in den USA den Medien erst gar keinen 
    Maulkorb umbinden, die hielten von selbst den Mund. Die 
    Patriotismus-Hysterie, von Bush mit der Maxime auf die Spitze getrieben, wer 
    nicht für Amerika sei, sei gegen Amerika, hatte den öffentlichen Verstand 
    auch in den Medien lahm gelegt.  
     
    Kriegszeiten sind Hochzeiten für Propaganda, im In- und im Ausland. Nach dem 
    11. September hatte die amerikanische Regierung das Office of Strategic 
    Influence (OSI) eingerichtet, eine Propagandamaschine, die gezielt 
    Desinformationen an ausländische Medien übermittelte. Nachdem 2002 die 
    Existenz dieser Behörde bekannt wurde, musste sie schnell geschlossen 
    werden, denn hier wollten die amerikanischen Medien ihre konstitutionell 
    garantierte Freiheit doch nicht aufgeben: Viele Nachrichtenorganisationen in 
    den USA arbeiten mit ausländischen Medien zusammen und bekamen die falschen 
    Informationen aus dem OSI postwendend in ihre eigenen Redaktionen zurück. 
    Das ist ein Effekt der Globalisierung und neuer Kommunikationstechnologien: 
    Während die US-Regierung im Inland keine Propaganda betreiben darf, darf sie 
    durchaus falsche Informationen an ausländische Medien weitergeben. Da jedoch 
    ein großer Teil der Medien international von nur wenigen Konzernen 
    kontrolliert wird, lässt sich die nationale Grenzlinie nicht mehr ziehen, 
    und die Wirkungen der amerikanischen Propaganda im Ausland betreffen auch 
    das inländische Publikum. Von der Regierung in die Medienwelt gesetzte 
    Fehlinformationen gelangten also auch in amerikanische Redaktionen, und es 
    gibt wenige Anzeichen, dass sich die verantwortlichen Herausgeber und 
    Redakteure die Mühe machten, die Mitteilungen der Bush-Regierung zu 
    hinterfragen. Während der Rest der westlichen Welt gespannt den 
    Waffeninspektoren der UNO lauschte, berichtete die amerikanische Presse von 
    Saddams Massenvernichtungswaffen und seiner Beteiligung an den 
    Terroranschlägen auf das World Trade Center. Es ist fraglich, ob die 
    Bevölkerung der Invasion ebenso enthusiastisch zugestimmt hätte, falls die 
    Presse die Position der US-Regierung zur unmittelbaren Bedrohung durch den 
    Irak stärker hinterfragt hätte. Es lässt sich ebenfalls spekulieren, ob der 
    allgemeine Glaube an ein Atomwaffen-Programm im Iran ähnliche Ursachen hat. 
     
    Nancy Snow und Philip Taylor, Spezialisten für Propaganda-Forschung, 
    erklären den Erfolg der Gleichschaltung der amerikanischen Presse nach den 
    Terroranschlägen mit der wirtschaftlichen und politischen Abhängigkeit der 
    Medien. Die Inhaber von Medienorganisationen gehörten oft selbst zur 
    politischen Elite und hätten daher die gleichen Ziele wie die 
    Bush-Regierung. Profit sei wichtiger als die Wahrheit – aber die Presse sei 
    nun mal nicht schon dann frei, wenn Herausgeber rhetorisch auf dieser 
    Freiheit bestehen.  
     
    Möglicherweise ist es ja sogar das Ideal der objektiven Berichterstattung, 
    das die amerikanischen Journalisten zumindest eine Zeit lang zu Sprachrohren 
    der PR-Strategen im Weißen Haus gemacht hat. Brent Cunningham, Herausgeber 
    des Columbia Journalism Review, fragte 2003, ob der Versuch, fair und 
    ausgewogen zu berichten, die Journalisten zu passiven Befehlsempfängern der 
    Regierung gemacht hätte. Der Druck der täglichen Publikations-Deadlines 
    könne dazu verleiten, das Recherchieren auf nur wenige Quellen zu 
    beschränken. Eine tiefere Analyse falle dem Primat der Aktualität zum Opfer. 
    Seit 2001 verließen sich amerikanische Journalisten deshalb deutlich 
    häufiger auf offizielle Quellen als in den Jahren des investigativen 
    Journalismus.  
     
    Im Geburtsland der freien Presse haben mehrere Jahre lang Zensur und 
    Propaganda über die Ideale von Objektivität und Aufklärung dominiert. Snow 
    und Taylor nennen diese Dominanz einen Sieg autoritärer über demokratische 
    Werte. Eine ganze Weile schien es in der amerikanischen Medienlandschaft 
    keine Oase der Vernunft zu geben, selbst die New York Times und die 
    Washington Post blieben lieber auf Regierungslinie. Immerhin, die 
    Berichterstattung über Bush und seine Getreuen ist mittlerweile wieder etwas 
    kritischer geworden. 2004 hat sich die New York Times öffentlich dafür 
    entschuldigt, in den ersten Jahren des Irak-Krieges das Vorgehen der 
    Regierung nicht ausreichend hinterfragt zu haben. 
     
    Mit „watchdog journalism“ oder Presse als vierter Gewalt im Staat hat die 
    derzeitige Arbeitsweise etlicher amerikanischer Journalisten nicht viel zu 
    tun. Bleibt abzuwarten, ob mit dem bevorstehenden Regierungswechsel auch 
    die Manipulationsversuche aus Weißem Haus und Pentagon aufhören, und ob eine 
    neue, quasi Nachkriegsadministration auch eine neue Ära des Journalismus 
    einläuten wird, eine Ära nach der Selbstzensur.   | 
    
     
    Die Autorin 
     
    
    
     
    
    
      
     
     
    Anne-Katrin Arnold 
     
    Jahrgang 1978, hat in Hannover, London und Philadelphia 
    Kommunikationswissenschaft studiert und promoviert derzeit an der University 
    of Pennsylvania in Philadelphia. In Deutschland hat sie mehrere Jahre in 
    Zeitungs- und Radioredaktionen verbracht und widmet sich nach einem kurzen 
    Ausflug in die internationale Diplomatie nun wieder ganz der Wissenschaft. 
    Hier dreht sich ihre Arbeit um Öffentlichkeit, öffentliche Meinung und 
    Journalismus.  |