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    Teil 1
    
      
    
    
    
    Zu 
    Teil 2  
      
     
     
     
    
    1. Abendmahlsinstallation statt Abendmahlstisch 
    
    Wer die mehrjährige 
    Bielefelder Kunst-und-Kirche–Szene kennt, wird sich sicherlich an die 
    Abendmahlsinstallation des Stuttgarter Professors Wolfgang Knoll 
    (Bild) erinnern, die im Sommer 2000 in der 
     Süsterkirche der
    ev.-reform. Gemeinde Bielefeld ausgestellt war. Pfarrer Uwe Moggert-Seils 
    (Bielefeld) hatte sie anlässlich der EXPO 2000 nach Bielefeld geholt. 
     
    Sie sollte keine Provokation 
    sein! 
     
    Die Abendmahlsinstallation brachte es aber fertig, die ev.-reform. Gemeinde 
    in zwei Lager zu spalten: 
    in wenige Begeisterte und viele Ablehnende. Nie gab es so viele Meinungsäußerungen 
    ans Presbyterium wie zu diesem Kunstwerk – die meisten wünschten es sich 
    schnellstens wieder vom Halse und sehnten die Klarheit des Kirchenraumes 
    zurück: kein Bild, kein Kreuz, kein Altar – das Bibelwort allein 
    [11]. 
     
    Als nach den 
    Sommerferien die Installation immer noch nicht abgebaut war, waren einige 
    Gottesdienstbesucher um ihre Fassung gebracht: Das war nicht mehr ihre 
    Kirche – mit diesem hässlichen Ding anstelle des gewohnten, schmuckarmen 
    Abendmahlstisches [04]. 
     
    Doch es gab eben auch die, 
    welche in der Ambiguität des Kunstwerks den zentralen Gedanken des Christums erkannten: Tod und Auferstehung, die Doppeltgerichtetheit des 
    christlichen Abendmahls [05], parallel (zum Beispiel) der Doppelsinnigkeit 
    der Taufe: Ertränken und Vergebung/Neuanfang. Entsprechend verstörte der 
    beschädigte Abendmahltisch, aber und umso mehr tröstete die Feier des 
    Abendmahls. Die Beziehung des teilweise brüchigen und zertrümmerten 
    Menschentisches zu dem Abendmahl Christi konnte ihnen zum Anzeichen der 
    göttlichen Gnadentat werden: Ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt 
    Ende (Mt 28,20). 
     
     
     
    
    
    2. Symbol und Konvention 
    
    
     
    Es wurde angesichts dieser 
    Situation nötig, die Aufstellung der Abendsmahlsinstallation in das Licht 
    einer Argumentation zu stellen. Begründungen machen schließlich Kultur, auch 
    christliche Kultur: Sie ersetzen menschengleichgültige Kausalität durch 
    menschengemäße Konvention. Konvention entspricht demokratischer Überzeugung: 
    Sie schafft Sicherheit auf Zeit, und sie ist überwindbar wie alle 
    begrifflichen „Mauern“ . Es ist Menschenart, auf Konventionen zu setzen, um 
    sie sogleich wieder für unzureichend zu halten und sie abzuwickeln. „Wir 
    alle sind Agnostiker“ [02]. 
     
    Das Theoriespiel: 
     
    Der kirchliche 
    Abendmahlstisch in der reformierten Kirche ist ein Gebrauchsgegenstand, und 
    er wird zugleich genutzt als Zeichen. Der Abendmahlstisch in der Kirche 
    symbolisiert den Tisch, an dem Jesus mit den Jüngern gesessen hat  – „am 
    Tage als er verraten ward“ (1.Kor 11,23b-26). Nur das soll der 
    Abendmahlstisch anweisen: die Einladung zur Abendmahlsfeier.  
     
    Symbolisieren heißt: Der 
    reale Tisch, der jedem Gottesdienstbesucher sichtbar ist, wird mit der 
    Tatsache verknüpft, das der historische Jesus an ihm gesessen hat. Das ist 
    eine Verknüpfung von Unvereinbarem, aber genau das konstituiert ein Symbol. 
    Die Verknüpfung von Unvereinbarem ist Ergebnis einer Konvention und nur so 
    ist sie verständlich und akzeptiert. Jede Änderung würde die 
    Verständlichkeit gefährden [06]. Ein solcher Eingriff ins Symbol war aber 
    die Abendmahlsinstallation: Der Abendmahlstisch des Künstlers Knoll hat das 
    entfernte Aussehen eines Tapeziertisches und er ist zudem stark beschädigt. 
    Die zwölf Jünger sind in Abbildungen und Stelen angedeutet, Jesus wird von 
    einer „Tür“ verkörpert  [08,09].  
     
    Für die 
    Gemeindemitglieder schien bei der Abendmahlsfeier gar kein Platz mehr. Sie 
    stellten sich die Frage: Soll man den Abendmahlstisch angucken oder soll man 
    sich um ihn versammeln? Ein Dilemma. Selbst die Aufforderung des Pfarrers 
    konnte das Zögern nicht überwinden. 
    
     
     
     
    
    3. Ambiguität als 
    Kunstmerkmal 
    
    
     
    Ambiguität tritt ein, wenn die konventionalisierte Beziehung zwischen 
    Zeichen und Gemeintem aufgegeben wird. Der Gottesdienstbesucher fragt sich: 
    Was beabsichtigt die intellektualisierende 
    Ambiguierung der Situation, wenn doch der Zweck, nämlich die geistliche 
    Abendmahlshandlung, weiterhin fraglos bleibt? Die gängige pragmatische Klärungsmethode 
    besteht in solchen Fällen darin, den Versuch zu machen, die Situation so zu 
    interpretieren, dass man ihre praktischen Konsequenzen untersucht [13]. Der 
    pragmatische Schluss bestätigte den meisten Besuchern die Überflüssigkeit 
    der Kunstinstallation. Die Konsequenz dieses Schlusses war die Ablehnung der 
    Installation überhaupt.  
     
    Eine Abendmahlsfeier hat 
    mit Kunst nichts zu tun. Der kirchliche Abendmahlstisch ist ein konventionalisiertes, normbestimmtes Symbol, eingegliedert in ein religiöses 
    Zeichensystem, das etwas Bekanntes anweist. Die „erhabene“ Wirkung dieses 
    Symbols ist rezeptionsästhetisch eindeutig. Ambiguität aber im Gebrauch von 
    Zeichen wird um der ästhetischen Wirkungsproduktion willen artifiziell 
    erzeugt und soll oft Kunst von Nicht-Kunst unterscheiden [14]! Der Künstler 
    spielt mit Beziehungen, die sich aus den unterschiedlichen 
    Gebrauchs-Restriktionen von Zeichen-Norm und Zeichen-System ergeben. Das 
    lenkt bei der Abendmahlsfeier ab. 
     
     
    
    4. Norm und System, 
    Arbitrarität 
     
    Da der Abendmahlstisch ein 
    Symbol ist, ist er der Struktur nach Sprachsymbolen vergleichbar, deshalb 
    darf der Blick zur weiteren Argumentation auf „Sprachnorm“ und 
    „Sprachsystem“ gelenkt werden. Ein Sprachsystem lässt weit mehr 
    Möglichkeiten zu, als eine Sprachnorm beansprucht. Diesen Umstand nutzt der 
    Künstler. Die Norm regelt in der Sprache die Gebrauchskonvention der 
    Zusammensetzung von Morphem, Syntagma und Satz. Das System stellt das 
    Inventar der Elemente und die Regeln der Syntagmatik im Sinne 
    mereologisch-errechenbarer Möglichkeiten. Dieses System zum Zwecke völlig 
    zufälliger Synthesis zu verlassen und aufzugeben brächte nur Unsinn hervor. 
     
    Muss in der Alltagswelt 
    ein Zeichen, ob nun eigentlich im Gebrauch oder idiomatisiert, der 
    Konvention gehorchen und in dieser Hinsicht möglichst eindeutig sein, so 
    spielen in der Kunstwelt alle Zeichen mit loser Konvention, die sich bis zur 
    Anzeichenhaftigkeit relativiert. In der Sprachkunst wird die rigide, 
    sprachliche Gebrauchsbedingungsnorm aufgehoben, und es gelten fortan alle, 
    auch die von der Norm nicht genutzten Gebrauchsmöglichkeiten, die das 
    System zulässt. Allerdings ist die so erzeugte Vagheit von Zeichen nur 
    einschätzbar, wenn der Sprecher/Hörer die Kompetenz für Eindeutigkeit hat. 
    Das Verständnis ist auf die oppositionale Gleichzeitigkeit beider Zustände 
    angewiesen. Wer das System nicht kennt, erkennt auch keine nicht-genutzten 
    Möglichkeiten. Kunst ist kreativer Umgang mit den Möglichkeiten des Systems. 
     
    Systementbundener Umgang 
    brächte – wie gesagt – Irrsinn hervor.  
     
    Die Besonderheit bei der 
    Konventionalisierung von Symbolen ist die Arbitrarität, die zwischen 
    Ausdruck und Gebrauchsbedingung (Inhalt) sowie dem nicht-sprachlichen 
    Gemeinten besteht. Arbitrarität (Unvereinbarkeit von Fremdem und 
    Nicht-Zusammengehörigem) und ihre Nutzung ist systemische Bedingung von 
    Symbolbildung durch Konvention. So haben das Wort „Tisch“ und der 
    Gegenstand „Tisch“ nichts miteinander zu tun, nur dass sie willkürlich 
    aufeinander bezogen sind. So hat auch das Wort „Abendmahl“ mit der Absicht 
    Jesu nichts zu tun, nur dass sie zufälliger Weise aufeinander bezogen sind. 
     
     
    
    5. Wahrheit vs. Wirkung: 
    Wirklichkeit 
    
    
     
    Sprachliche „Wahrheit“ versteht sich in der Sprachkunst allein als 
    sprachliche „Wirkung“; was wirkt, erscheint „wirklich“. Das Kunstwerk 
    referiert allein in diesem Sinne auf Wirklichkeit“, es referiert nicht auf einen objektivierbaren 
    Sinnverhalt [14]. Die „Wahrheit“ der Kunst ist allein ihre Wirkung, völlig 
    getrennt von Richtigkeit und Falschheit im wissenschaftlichen Sinne. Es gibt 
    immer wieder die Aufforderung, in der Kunst Wahrhaftigkeit zu erleben, aber 
    das ist ein „Munkeln und Dunkeln“. Wer von der Kunst „Wahrheitsoffenbarung“ 
    erwartet, sieht sich früher oder später belogen. 
     
    Kunst hat nachweisentbundene und ausschließlich subjektive Wirkung. Kunst ist ein 
    Placebo, eine wirkungsmächtige Einbildung, und somit wider Erwarten dem 
    verwandt, was wir im Alltag „Wirklichkeit“ nennen. Die Wirklichkeit des 
    Alltags wird nämlich allein durch das Gelingen und Nicht-Gelingen einer 
    Situation zu einer Vorstellung. Kunst bedarf der Interpretation ebenso wie 
    die Situation des Alltags. Beide „Wirklichkeiten“ sind Sinn-Setzungen, die 
    Differenz liegt in der Konventionsgenauigkeit  und im besonderen in den 
    Konsequenzen. Die Kunst sollte nicht Konsequenzen haben, die 
    Alltagsentscheidungen beeinflussen. Die Alltagssituation fordert 
    Konsequenzen, die sich ausschließlich am Gelingen der Situation 
    orientieren, unabhängig von jeglicher „Wahrheits-“annahme und jeglichem „Wahrheits"-nachweis. 
     
    Der 
    Wirklichkeits-Begriff, der sich von „Wirkung“ ableitet und nicht von  
    „Wahrheit“ ist für Kunst und Alltagssituation somit vergleichbar zutreffend. 
    Kunst-Sinn und Alltags-Sinn binden sich an eine pragmatische 
    Zugangseinstellung, jener ist am subjektiven Empfinden orientiert, dieser 
    am Gelingen, am situativen Erfolg. Die Gebrauchsgenauigkeit wird – 
    wissenschaftlich gesehen – meistenteils sogar völlig „unzureichend“ sein; es 
    genügt, wenn sie der Situationsanforderung oder Betroffenheitsabsicht 
    entspricht. 
     
    Die Wissenschaften sind 
    der Feind dieser Placebo-„Wirklichkeiten“. Wissenschaftliche Erkenntnisse 
    haben es schwer, ins Alltagsleben integriert zu werden; in der Kunst verlieren 
    sie jede Funktion. Die Wissenschaften arbeiten mit anderen 
    Genauigkeitsvorstellungen als die Alltags- und die Kunstwahrnehmung. Doch 
    auch sie erzeugen, mit agnostischer Skepsis betrachtet, auch wieder nur 
    „Wirklichkeiten“ mit einer eigenen Konsequenzebene [6]. 
    
     
     
     
    
    6. Der Abendmahlstisch als 
    Anzeichen 
    
    
     
    In der Sprachkunst 
    verlieren die Zeichen ihre Eindeutigkeit oft bis zur Unkenntlichkeit. 
    Sprachwissenschaftlich spricht man dann von einem Verlust an Kongruenz der 
    Bedeutungsmerkmale (Seme). Man denke beispielsweise an Verse Gottfried 
    Benns. Allein eine raffinierte Wirkung steht bei diesem Verfahren im 
    Vordergrund. Zeichen werden in solchen Momenten anzeichenhaft gebraucht: 
    Ein „Abendmahlstisch“ mit religiöser Funktion ist ein eindeutiges Zeichen, 
    das problemlos verstanden wird. Bei einer „Abendmahlstisch-Installation“ 
    aber ist die Anweisung ins Anzeichenhafte verschoben. Man kann sie nicht 
    mehr identifizieren, man muß sie interpretieren. Ein Kunstwerk ist stets 
    anzeichenhaft und bleibt als Artefakt prinzipiell mehrdeutig bis ein 
    Interpret es zeichenhaft gemacht hat. Anzeichen werden dabei je nach 
    psychischer Intentionalität des Rezipienten in Zeichen zurückverwandelt. 
    Eine Interpretation ist eine Zeichen-Sinnsetzung für den jeweiligen 
    Augenblick, gebunden an zufällig bestehende rezipientelle Voraussetzungen 
    und Kontexte. Ein Artefakt provoziert Interpretationen und entzieht sich 
    ihnen gleichzeitig [9]. 
    
     
     
     
    
    7. Interpretationskompetenz 
     
    Interpretationskompetenz 
    ist nicht die Fähigkeit, ein als fertig angesehenes Kunstwerk in seiner 
    ureigenen, essentiellen Bedeutung zu erfassen, sondern sie besteht darin, 
    ein bedeutungsoffenes Artefakt, im Rahmen des gebotenen und gestalteten 
    Kunstmaterials verbleibend, auf einen hier und jetzt wirkungsoptimalen 
    „Sinn“ festzulegen. Eine Interpretation darf sich nur mit einer optimalen 
    Wirkung zufrieden geben, sonst tritt Langeweile ein. Langeweile ist das 
    Gegenteil von Kunst. Wer ein Artefakt nicht auf optimale Wirkung hin für 
    sich zum Kunstwerk zu Ende 
    führen kann, sollte daran vorbeigehen oder darüber 
    gesellschaftsgeeignete Konversation betreiben. Lichtenberg fasst die 
    Situation drastisch zusammen: Wenn ein Esel in ein Kunstwerk hineinschaut, 
    könne nur Eselhaftes herausschauen. 
     
    Die „offene“ 
    Abendmahlsinstallation muss vom Gottesdienstbesucher somit wie zuvor der 
    gewohnte Abendmahlstisch als eindeutige Aufforderung zur Abendmahlsfeier 
    festgelegt werden, wobei eine hinzutretende optimale Wirkungsempfindung die 
    Motivation verstärkt. Diese Verstärkung sollte nun nicht durch eine 
    weltliche „Schmonzette“ (zum Beispiel eine Verdi-Arie bei einer Beerdigung, 
    die ausschließlich innerhalb einer Oper ihren Wert hat), wie man es oft bei 
    Beerdigungen erlebt, erfolgen.  Bei der Abendmahlsinstallation könnte 
    es die „Brüchigkeit“ des Heils-Tisches sein, die das 
    christliche Verständnis von Tod und Auferstehung betont. 
     
    Bei einer solchen 
    Symbolfestlegung würde die Anzeichenhaftigkeit auf die religiöse Intentionalität, 
    Gottes Wort, ausgerichtet. Gelingt diese Symbolsetzung nicht, wird die Installation 
    als fremdartig, autonom und ablenkend abgestoßen. Der Gottesdienst könnte 
    daran scheitern. Die aufs Erleben ausgerichtete Interpretationskompetenz 
    eines Rezipienten muss darüber entscheiden. 
     
    
     
    8. Laizismus 
     
    Die Kunst-Installation des 
    Abendmahltisches von Knoll hat für die meisten reformierten 
    Gemeindemitglieder die Wahrnehmungserwartung eines Kirchenraumes 
    durchbrochen und eine förderliche Interpretationskompetenz konnte nicht 
    aufgebracht werden.  
     
    Sehen wir als 
    entscheidenden Grund dafür die übliche skepsisferne Eingliederung aller 
    Gottesdienstbesucher in einen Gottesdienstablauf: Die Funktion einer 
    reformierten Gottesdienststätte ist die Reduktion aller Akzidentien als 
    Zufälligkeiten, bis sich – so die Hoffnung – der Zugang zum Gotteswort 
    einstellt. So gesehen erscheint eine Kunstinstallation, die erst festgelegt 
    werden muß, gegenläufig und Irritation ist die Folge.  
     
    Die Gegenwart des 
    Kunstwerkes in der reformierten Kirche fordert, erzwingt geradezu die 
    Bewältigung eines bekannten Dilemmas. Nach heutiger zivilgesellschaftlicher 
    Vorstellung gehören Kunst und Glaube so wenig zusammen wie Kultur (Freiheit) 
    und Religion (Lehre) überhaupt. Die bekannte Laizismus-Forderung bezieht 
    sich im demokratischen Zusammenleben westlicher Art nicht nur auf die 
    Trennung zwischen Kirche und Staat.  
     
    Kunstwerke agieren mit 
    weltlichen Erlebensbedürfnissen, sie wollen kunstästhetisch und nicht glaubensorientiert wahrgenommen sein. Die Ästhetisierung von 
    Glaubensinhalten ist der Weg zum Götzentum und zu Fundamentalismen, wie wir 
    es bei den Bewegungen von Opus Dei, Islamismus und Scientology beobachten 
    können. 
     
    Laizismus ist die 
    notwendige Folge des „aufgeklärten Glaubens“, hinter den der Gläubige bei 
    aller Glaubenserfahrung nicht mehr zurück kann. Glaubenszweifel und Glaubensgewissheit 
    bestimmen in ihrer Gemeinsamkeit die Glaubwürdigkeit christlicher Existenz, 
    und diese Glaubwürdigkeit kann sich in einem zweiten Schritt auf die 
    weltliche Lebensform übertragen. Christlicher Glaube kann Entwürfe einer 
    christlichen Kultur in der Welt nach sich ziehen. Elazar Benyoetz, der 
    israelitische Rabbi und Aphoristiker, kondensiert diese Auffassung in den 
    Worten: Wer Gott verlässt, verlässt sich auf Gott. 
     
     
    
    9. Die ästhetische 
    Wahrnehmung 
     
    Auf diesem Hintergrund 
    führte die „Abendmahlsinstallation“ in der ev.-reformierten  Gemeinde in 
    Bielefeld unvermeidbar zu einer Diskussion über die Feier des Abendmahls. 
    Besondere Aufmerksamkeit bekam zunehmend die Frage, ob mit der Forderung 
    nach Interpretationskompetenz die ästhetische und gottesdienstliche 
    Wahrnehmung nun doch kompatibel sein sollten. Über den Zweck einer 
    ästhetischen Einstellung und Wahrnehmung im Gottesdienst wurde permanent 
    gestritten.  
     
    Das Schöne/das 
    Hässliche, weiterhin das Fremde und das Erhabene sind 
    ästhetische Werte. Schön ist mir, was mir entspricht; hässlich 
    ist mir, was mir nicht entspricht. Diese Empfindung wendet sich mit der 
    Erfahrung des Fremden [3] und Erhabenen in Richtung eines 
    Erschreckens, wobei existentielle Bedrohung als solche bei der ästhetischen 
    Erfahrung ausgeschaltet bleibt. Das Fremde-Schöne ist ungewohnt, 
    entspricht mir nicht, könnte mir aber entsprechen; das Fremde-Hässliche 
    entspricht mir nicht und stößt mich ab; das Erhabene-Schöne ist in 
    seiner übermenschlichen, außerordentlichen Fremdheit und unendlichen Ferne 
    erschreckend und „göttlich“; das Erhabene-Hässliche ist 
    übermenschlich, teuflisch und erschreckt zutiefst. Sowohl bei der 
    kunstästhetischen als auch bei der religionsästhetischen Wahrnehmung sind 
    diese Werte gleich [9]. 
     
    So das Résumé moderner 
    Geschmackseinstellungen. Diese ästhetische Wertung ist auf den hier 
    gemeinten Abendmahlstisch zu beziehen. 
     
    
     
    10. Noch einmal: die 
    gottesdienstliche Wahrnehmung 
     
    Eine kunstästhetische und 
    religionsästhetische Wahrnehmung haben bei aller strikten Trennung doch eine 
    Wertegemeinsamkeit, die funktional genutzt wird. 
     
    Für den Gottesdienst werden 
    kunstästhetische Gegenstände gewählt, da Schönheit, Fremdheit und 
    Erhabenheit  auch bei der Erfahrung des Gotteswortes auftreten. Die 
    ästhetische Erfahrung kann somit eine einleitende Funktion haben: Mit der 
    ästhetischen Erfahrung werden die existentiell personale Beziehung und die 
    unmittelbare existentielle Bedrohung aus dem Gotteswort genommen. Die 
    Ästhetik bewahrt die menschentypische Schwäche vor der Überwältigung durch 
    die Erhabenheit des Gotteswortes und bereitet zugleich die Zuwendung vor. 
    Friedrich Schiller sieht in der Aufhebung von Unmittelbarkeit, im besonderen 
    in der Ausschaltung existentieller Bedrohung eine notwendige Voraussetzung 
    kultureller „Veredlung“. Diese Vorstellung kann man vielleicht auf die „Glaubensveredlung“ 
    übertragen. Der Umgang mit Kunstwerken verfeinert die kognitiven Fähigkeiten 
    im allgemeinen und bereitet damit die Gottgerichtetheit als „intentionalen 
    Zustand“ vor [10]. 
     
     
    Der intentionale Zustand der ästhetischen 
    Wahrnehmung, diese ästhetische Grundgestimmtheit bewirkt 
    – 
    wie oben 
    skizziert  
    – eine Art phänomenologischer Reduktion und bereitet den Grund für 
    die religionsästhetische Erfahrung des Gotteswortes. Ist der intentionale 
    Zustand der Wahrnehmung des Gotteswortes erreicht, muß sich die ästhetische 
    Komponente auflösen. Die reformierte Auffassung ist: 
     
    Kunstwerke haben eine 
    Werteparallelität, gehören aber nicht zur Grundausstattung der Kirche. Kunst 
    vermittelt das Verhältnis zwischen Mensch und Welt; das Gotteswort vermittelt 
    zwischen Mensch und Gott [12]. 
    
     
     
    11. Die gottesdienstliche 
    Leistung der Installation 
     
    Es war – wie gesagt – vielen Kirchenbesuchern nicht möglich, das Kunstwerk 
    „Abendmahlstisch“, 
    das mit dem schlichten Stil des gewohnten Abendmahlstisches der Süsterkirche 
    brach, als fremd-schön zu empfinden. Das wäre eine Wertung für einen 
    sich öffnenden Zugang zu Gottes Wort gewesen. Die ästhetischen Wertung lief 
    wegen der Irritiertheit zumeist auf das Werturteil: fremd-hässlich zu. 
    Damit war die oben skizzierte Vorbereitung auf die gottesdienstliche 
    Funktion gescheitert und damit hatte sich [leider] auch die Ablehnung des 
    Abendmahl-Kunstwerks für gottesdienstliche Abendmahlszwecke durchgesetzt.
    
    
     
     
    
     
    12. Abendmahlstisch zerstört, Mensch verstört 
     
    Die Abendmahls-Installation 
    besteht aus einem Tisch, der seitlich starker Zerstörung ausgesetzt ist. 
     
    Der Blick auf die Feier des Sakramentes an diesem verstörenden Tisch drängte 
    (interpretierend) 
    offenbar auch den Blick auf das eigene Selbst auf. Wer bin ich, der da an 
    diesem heruntergekommenen Tisch steht und Abendmahl feiert, und: Wer ist 
    dieser Gott, der sich das gefallen lassen muß? Die Gleichsetzung 
    bürgerlicher Ordentlichkeit und  Seriosität mit göttlichem „Geschmack“ ist 
    eine nicht auszuschaltende Erwartungshaltung. Sie bleibt mit der 
    Abendmahlsinstallation uneingelöst. 
     
     
     
    
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    Teil 2  
      
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    Die Autoren 
     
     
      
     
    
    Pfarrerin Erika Edusei 
     
    Studium 
    der Theaterwissenschaft, Germanistik, Philosophie und Theologie in Köln, 
    Münster, Bielefeld-Bethel. Pfarrerin in der 
    ev.-reform. Gemeinde in Bielefeld seit 1997. 
     
     
     
    
      
     
    
    
    Dr. Fritz U. Krause 
     
    Geboren 1938 in Berlin. Studium der Germanistik, Philosophie 
    und Sport in Bonn. 1976 Promotion. 1972-1989 und 2002 Lehrauftrag an der 
    Universität Münster, Fachbereich Germanistik.  1990-2003 
    Gym-nasiallehrer (Studiendirektor).  1994-1998 Vize-Präsident, 1998-2001 
    Präsident der Christian-Dietrich-Grabbe Gesellschaft e. V.. Detmold. Leiter des 
    Privattheaters an der Süsterkirche (THEATER-tankstelle Bielefeld).
    Regisseur seit 1997.  |