Street 
    Art:  
    Die Straße als Medium
     
     
    
      
     
    Text: 
    
    
    
    Christoph Platz und
    
    Kristina Schneider     
     
    Illustration: 
    
    Kristina Schneider
      
    
     
    
    
      
     
    
    Schriftzüge an 
    öffentlichen Verkehrsmitteln, Figuren auf Reklametafeln, Aufkleber an 
    Regenrohren: Street Art heißt die subtile Form der kleinen Eingriffe in den 
    städtischen Raum, die sich seit einigen Jahren mit wachsender Verbreitung 
    und medialer Aufmerksamkeit konfrontiert sieht.  
     
    Ohne offensichtlichen Autor und Anlass stören Sticker, Schriftzüge oder 
    Installationen die wohlgeordnete Oberfläche des Stadtraums. Während das 
    Feuilleton anlässlich des Kunstsommers und internationalen Großausstellungen 
    wie den Skulptur Projekten noch debattiert, ob Kunst durch (Stadt-)Marketing 
    und Eventtourismus vereinnahmt wird oder nicht, lohnt sich ein Blick auf die 
    kleine, urbane Kunst jenseits von Kunstmarkt und musealer Institution. 
    Street Art lebt, pulsiert und vermehrt sich außerhalb von Museen, Galerien 
    und Akademien. 
     
    Die Geschichte dieser anonymen Interventionen in den urbanen Raum beginnt in 
    den späten 1960er Jahren mit der Graffiti-Art (Writing) in amerikanischen 
    Großstädten. Früh begannen Gangs, ihre Namen und Zeichen an öffentlichen 
    Stellen anzubringen und so ihr Revier in der Stadt abzustecken. Zunehmend 
    entdeckten Jugendliche das gezielte Verbreiten ihres Nicknames auch aus 
    anderen Motivationen, etwa um die eigenen Wege und ihre Präsenz in der Stadt 
    zu dokumentieren – oder einfach, um ihre Freundin zu beeindrucken. Cornbread 
    soll einer der ersten gewesen sein, der seinen Namen als Schriftzug (Tag, 
    früher Hit) mit dem Ziel der größtmöglichen Verbreitung überall in 
    Philadelphia hinterließ. Andere eiferten ihm nach, bildeten Crews (wie die 
    von Cornbread gegründete Delta Phi Soul) und bald entstand ein Wettbewerb um 
    die größte Verbreitung, spezielle Orte, die besten Stile und Techniken. Das 
    Phänomen erreichte New York und verbreitete sich wie ein Lauffeuer –
    ausgehend 
    von sozialen Brennpunkten. Öffentliche Verkehrsmittel dienten als Medium, um 
    ein möglichst breites Publikum zu erreichen, bis sich 1971 ein Writer namens 
    Taki 183 in der New York Times wieder fand. Dieser Artikel rückte das bisher 
    subkulturelle Phänomen in den Fokus der Massenmedien. Während die 
    bürgerliche Berichterstattung vorrangig die Illegalität des Sprühens 
    betonte, entstand gleichzeitig eine der Szene nahe stehende Dokumentation. 
    Fotoreporter wie Martha Cooper und Henry Chalfant gehörten zu den ersten, 
    die das Phänomen aus einer Außenperspektive erfassten. Von der 
    Medienaufmerksamkeit voran getrieben, entwickelte sich in den Folgejahren 
    eine gesellschaftliche Ablehnung, einhergehend mit staatlicher Bekämpfung. 
    Auf der anderen Seite wurde Writing auch außerhalb der USA aufgegriffen und 
    entwickelte sich innerhalb eines Jahrzehnts von der schwer greifbaren 
    Subkultur zu einem internationalen Phänomen. Neben der Dokumentation durch 
    Fotos machten Filme wie Wild Style (1982), Beat Street (1984) und vor allem 
    Style Wars von Tony Silver und Henry Chalfant, der 1983 landesweit im 
    amerikanischen Fernsehen ausgestrahlt wurde, Writing einem breiteren Publikum 
    bekannt und die Ästhetik der Schriftzüge populär.  
     
    Mit der wachsenden Szene wächst auch die stilistische 
    Ausdifferenzierung. Comic-Elemente (Character) und andere illustrative 
    Bestandteile ergänzten die Schriftzüge. Ein wichtiger Impuls kam mit der 
    Schablonentechnik (auch Pochoir, Stencils) aus Frankreich. Künstler wie Blek 
    le Rat schnitten sich Schablonen zurecht, mit deren Hilfe sie Motive 
    aufsprühten. Neben die gestalterische Arbeit und 
    die Reproduktion durch 
    singuläres, unmittelbares Sprühen auf eine Oberfläche tritt die Möglichkeit, 
    Bilder ausgiebig vorzubereiten und mittels Schablonen dann schnell und 
    gleichförmig zu reproduzieren. Weitere Formen vorgefertigter Zeichenträger 
    entstehen: Auf  öffentlichen Bänken, Verkehrsschildern oder 
    Kaugummiautomaten tummeln sich Aufkleber mit Schriftzügen und Figuren aller 
    Art. Kleine Sticker oder großformatige, plakatierte Illustrationen bevölkern 
    die funktionale Oberfläche der Stadt und kommunizieren oft simple, auch 
    außerhalb der Szene verständliche Botschaften und Geschichten. Die 
    Klebecollagen und Logosticker zeugen von verschiedenen Motivationen: 
    individuelle Erzählungen mit Soapcharakter, grafisch ausgefeilte Logos, 
    gesellschaftskritische Kommentare und fotokopierte Plakate treffen sich auf 
    öffentlichen Flächen und treten häufig miteinander in Dialog. Der von 
    Werbeflächen dominierte Stadtraum wird von Street Art durchbrochen und 
    kritisch ergänzt. Zu den derzeit bekanntesten Streetartists zählen  
    
     Obey und vor allem 
    
     Banksy, 
    der mit seinen Guerilla-Aktionen mittlerweile sowohl in der internationalen 
    Presse als auch prominenten Auktionshäusern hoch gehandelt wird. Dem größten 
    deutschen Kunstmagazin Art waren Banksys subversive Arbeiten jüngst eine 
    Titelstory wert. 
     
    Im Gegensatz zu den herkömmlichen Stars der Kunstszene stehen die Urheber 
    von Street Art nicht selbst als Repräsentanten ihrer Arbeiten im 
    Mittelpunkt. Die Künstler bleiben, nicht zuletzt wegen der Illegalität der 
    meisten Aktionen, anonym und schwer greifbar. Street Art entzieht sich einer 
    eindeutigen Archivierung und Zuordnung, die Werke sind flüchtig, tauchen 
    unerwartet irgendwo auf und sind vielleicht ebenso schnell wieder 
    verschwunden. Die Arbeiten sind nicht gut bewacht ausgestellt, sondern 
    existieren unmittelbar im öffentlichen Raum: Andere Künstler erweitern 
    vorhandene Arbeiten, reagieren darauf, schreiben Fortsetzungsgeschichten.
     
     
    Neue Formen der szeneinternen Interaktion ermöglicht das Internet. Durch 
    Wahrung der Anonymität können Streetartists und Writer hier virtuelle 
    Galerien betreiben, Techniken besprechen, eigene und fremde Arbeiten 
    archivieren. Portale wie Flickr, Myspace oder Fotolog dokumentieren neue 
    Stile und innovative Arbeiten und dienen der Szene zum Austausch und zur 
    Vernetzung. Daneben gibt es unzählige kleine Homepages, die sich mit dem 
    Thema befassen. Längst muss man nicht mehr vor die Tür gehen, um die 
    verschiedenen Spielarten von Street Art zu entdecken. Online steht 
    ausuferndes Bildmaterial zur Verfügung, das Street Art, sortiert nach 
    Städten, Techniken oder Künstlern, archiviert und noch zeigt, wenn die 
    Originale längst durch die Stadtreinigung entfernt wurden. 
     
      
    Die Prinzipien von tagging und Social Bookmarking kommen dabei der 
    unübersichtlichen Struktur von Street Art entgegen. Die verschiedenen Stile 
    und Techniken werden auffindbar, ohne das Reisen in fremde Städte zwingend 
    notwendig sind. Das Netz fungiert so als Showroom und Triebfeder für den 
    Wettbewerb um den innovativsten Style und die ausgefallensten Arbeiten. 
    Portale wie 
    
     woostercollective oder  
    
     Artcrimes diskutieren Street Art und tragen zur 
    kreativen Auseinandersetzung mit dem städtischen Raum bei. Ganz neue 
    Techniken wie Laserprojektionen und LED-Leuchtsysteme (so
    genannte 
    LED-Throwies) zur Verwendung in der Stadt stellt die Website 
    
     Graffiti 
    Research Lab zur Verfügung. 
     
    Gleichzeitig lässt sich beobachten, wie die Ästhetik von Street Art 
    kommerziell aufgegriffen wird. Musiksender wie MTV und Viva arbeiten mit 
    Writing- und Collagenoptik. Die Puppen des Streetartists Boris Hoppek wurden 
    zu Opel-Werbemaskottchen. Die Verwendung der Straßenästhetik für Werbe- und 
    Verkaufszwecke führt den Begriff Street Art jedoch ad absurdum. Street Art 
    bleibt nur die Kunst, die auf der Straße stattfindet – und das gerade mit 
    dem Effekt, die von Funktions- und Werbeflächen dominierten öffentlichen 
    Räume um kleine Spielereien, Geschichten und Überraschungen zu bereichern.   | 
    
       
 
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