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    Steilvorlage für die Fantasie 
     
    
    
     
     
    Text: 
    
    
    
    Christoph König 
    Illustration:
    
    
    
    Kristina Schneider für Neue Gegenwart 
     
    
    
    Es ist eben doch 
    die gute Idee: Die Online-Fußballmanager-Simulation Hattrick kommt völlig 
    ohne Spielsequenzen und Animationen aus und zieht doch immer mehr Menschen 
    in ihren Bann. 
     
    Die Stadionuhr zeigt die 79. Minute an. Im Kampf um den Klassenerhalt steht 
    es 1:1 zwischen dem SC Steinbüchel 06 und meinem Team, den Sportfreunden 
    Hostenbach. Die zehntausend Zuschauer in der Rheinland Arena Leverkusen 
    treiben ihren SC Steinbüchel nach vorne. Aber Ingo Grille, mein linker 
    Mittelstürmer und Goalgetter, behält wieder einmal die Nerven. Ein Fehler im 
    Abwehrzentrum der Heimmannschaft, eine kurze Körpertäuschung und das Leder 
    zappelt im Netz. Führung, Abpfiff, Auswärtssieg.  
     
    Ich ertappe mich dabei, dass ich aufspringe, dabei den Stuhl umwerfe und 
    laut brülle. Nein, ich bin nicht im Stadion. Noch nicht mal der Fernseher 
    läuft. Der Jubel vollzieht sich vor dem Computerbildschirm. Grund für meine 
    Freude sind ein paar nüchterne schwarze Zeilen auf weißem Hintergrund, ein 
    virtueller Live-Ticker. Der Kampf um den Ball spielt sich allein in meinem 
    Kopf ab. Mein Aktionsfeld ist nicht der grüne Rasen, sondern die biedere 
    Benutzeroberfläche der Online-Fußballmanager-Simulation Hattrick. 
     
    Kicken im Kopf 
     
    Ein Logo, ein paar grüne Rahmen und ein übersichtliches Benutzermenü, das 
    ist 
     hattrick.org, 
    keine Videos, Spielsequenzen, Sound oder Flash-Animationen. Das Spielprinzip 
    ist einfach: Nach der kostenlosen Anmeldung erhält jeder Spieler eine 
    Mannschaft, Startkapital ein vergleichsweise kleines Stadion. Ein festes 
    Ziel gibt es nicht. Der Neuling beginnt in der untersten Spielklasse und 
    lässt sein Team gegen andere Manager spielen. War die Strategie wohl 
    durchdacht und haben die Finanzen für neue Spieler gereicht, dann stehen die 
    Chancen gut, dass der Neu-Manager als Meister seiner Klasse in eine höhere 
    Liga aufsteigt. Nach Jahren der sorgsamen Trainingsplanung und vielen 
    gewinnbringenden Transfergeschäften winkt die oberste Spielklasse, die 
    Bundesliga. Die Champions der über hundert nationalen Ligen kämpfen dann im 
    Hattrick-Masters-Turnier um den Titel der besten Mannschaft. 
     
    Über Sieg und Niederlage entscheidet ein Rechner irgendwo in Schweden, dem 
    Hattrick-Mutterland. Der Computer berechnet anhand der Entscheidungen des 
    Managers, wie zum Beispiel Training, Strategie und Aufstellung, und 
    Zufallswerten wie Mannschaftsstimmung, Wetter oder Glück einen Spielverlauf, 
    der in dem virtuellen Live-Ticker abgebildet wird. Dann haben die Manager 
    keinen Einfluss mehr auf das Match. Trotzdem loggen sich viele zehntausend 
    Spieler zu den Ligaspielen am Samstag ein, bejubeln Siege und schieben 
    Niederlagen auf angebliche Fehler in der Spiel-Engine. 
     
    Mehr als 800.000 Spieler weltweit 
     
    Hattrick ist eine Idee des Schweden Björn Holmér. Seit dem Start ist die 
    Zahl der Spieler ständig gewachsen. In den vergangenen Jahren hat sie sich 
    auf weltweit 800.000 vervielfacht bei stark steigender Tendenz. Allein in 
    Deutschland sind 57.541 Manager registriert. Holmér ist immer noch 
    Chef-Spieldesigner; die Rechte liegen bei seinem Landsmann Johann Gustafsson 
    und Hattrick Ltd. Nach Angaben der Betreiber lebt die Seite aber heute noch 
    vom ehrenamtlichen Engagement vieler Teilnehmer, Gamemaster und Moderatoren.
     
     
    Vor gut einem Jahr habe ich mein Team angemeldet, obwohl ich für so etwas 
    eigentlich keine Zeit haben sollte. „Du brauchst vielleicht ein paar Minuten 
    pro Woche“, hatte mich Jan, seit Jahren begeisterter Hattrick-Spieler 
    überredet. Aus den paar Minuten ist längst mehr geworden. Viel mehr. Stunden 
    verbringe ich jede Woche auf Hattrick.org, analysiere die Aufstellungen 
    meiner Gegner, diskutiere mit anderen Managern im Forum oder ersteigere 
    Spieler auf dem Transfermarkt und freue mich wie ein Kind, wenn ich einen 
    Nachwuchsstürmer von den Fidschis zum Spottpreis bekomme. Aus den 
    unerfahrenen Jungkickern werden im Lauf der Zeit Pokalhelden, und die 
    wachsen einem ans Herz.  
     
    „Nur ein paar Minuten pro Woche…“  
     
    Grundlage dafür ist das System von Spieler-Eigenschaften, die einen 
    Hinweis auf Stärken und Schwächen des Spielers geben. Jede Fähigkeit wie 
    Torschuss oder Verteidigung bekommt eines der insgesamt 20 Attribute auf 
    einer Skala zwischen „katastrophal“ und „göttlich“. Das habe ich 
    mittlerweile so sehr verinnerlicht, dass ich Vorlesungen als „erbärmlich“ 
    bewerte und mich erst nach längerem Nachdenken für das bessere „armselig“ 
    entscheide, Kaffeegebäck als „passabel“ bezeichne und die körperlichen 
    Vorzüge von Kommilitoninnen als „galaktisch“.  
     
    Nicht nur Fähigkeiten, sondern auch die Persönlichkeit der Spieler wird im 
    Hattrick-Universum festgelegt: Der Charakter reicht von der 
    Integrationsfigur bis zum Ekel, vom introvertierten Mauerblümchen bis hin 
    zum aufbrausenden Führungsspieler. Alle Bezeichnungen sind eigentlich nur 
    verbalisierte Zahlenwerte, die der Computer für die Simulation benötigt. In 
    den Köpfen der Hattrick-Manager aber formt sich im Laufe der Jahre daraus 
    ein Spielerkader aus wortkargen Raubeinen, unverbesserlichen Querulanten und 
    den Lieblingen der Fans – die eigene Mannschaft.  
     
    Vom Nachwuchskicker zum Pokalhelden 
     
    Manch einer überlegt ernsthaft, ob er seinem kleinen Sohn dieser Tage 
    eine Mannschaft aufbauen soll, die er ihm dann an seinem 18. Geburtstag 
    feierlich übergeben will. Werktätige Familienväter schälen sich nachts aus 
    dem Bett und verärgern Gattin und Nachwuchs, weil die Versteigerung eines 
    Spielers um 3.00 Uhr endet. Andere suchen selbst im Urlaub in Nordafrika 
    noch Internetcafés, um mehrmals in der Woche nach dem rechten zu schauen.
     
     
    Verstehen kann das nur, wer selbst die Geschicke eines Hattrick-Teams 
    leitet. Aber Mitmachen kostet ja nichts. Sie brauchen auch nur ein paar 
    Minuten pro Woche. Ehrlich.   | 
    
    AUSGABE 48 
    DIE GESELLSCHAFT DER SPIELER 
     
     
      
     
    
    
    STARTSEITE 
     
    EDITORIAL VON BJÖRN 
    BRÜCKERHOFF 
    
    DIE ZUKUNFT DES SPIELENS 
    ENDLICH MAL 
    RUNTERKOMMEN 
    
    SNIPERN, ROTZEN, RAUSROTZEN 
    INNOVATION UNTER DRUCK 
    MEIN LEBEN MIT (UND OHNE) DR. 
    JONES 
    FLUCHT IN DIE TRAUMWELT 
    
    SCHLEICHWERBUNG IN COMPUTERSPIELEN 
    HEIMWEH NACH ZUKUNFT 
    MOBILE GAMING 
    LILA GEGEN GRÜN 
    STEILVORLAGE FÜR DIE FANTASIE 
    
    DIE FASZINATION DER STEINE 
    SPIELE UND 
    JUGENDMEDIENSCHUTZ 
    FRÜHE ZEICHEN DER GLOBALISIERUNG 
    CYBERSPORT, CHEATS UND VIEL 
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